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Entweder alle oder keiner – zur Porträtausstellung der Oberbürgermeister im Neuen Rathaus

Man darf unterstellen: Alle wollten nur das Beste. Alle wollten die demokratischen Traditionen stärken, indem sie sichtbar und mit Köpfen verbunden werden – zum Beispiel durch die Porträts der „demokratisch gewählten“ Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. Da hängen sie nun im fotographischen Porträt im Neuen Rathaus – die Oberbürgermeister von Otto Georgi (gewählt bzw. ernannt 1877) bis Wolfgang Tiefensee. Doch die Reihe weist erhebliche Lücken auf: Es fehlen die Oberbürgermeister der Nazi-Zeit (nach dem Rücktritt von Carl Goerdeler 1937) und die Oberbürgermeister, die in der DDR-Zeit amtierten. Vor allem aber fehlt einer: Erich Zeigner, der erste Oberbürgermeister (zuerst ernannt und dann gewählt) nach dem Ende der Nazi-Zeit, einer der im Faschismus Haltung bewiesen hat und dafür ins KZ musste. Da kehrt sich eine hehre Absicht ins Gegenteil. Denn das Kriterium „demokratisch gewählt“ ist hoch angesiedelt und stimmt dann doch nicht: Was war an einer Oberbürgermeisterwahl bzw. -ernennung 1877 „demokratisch“? War es demokratisch, 1882 Carl Bruno Tröndlin zum Oberbürgermeister auf Lebenszeit zu wählen? Können wir vor 1919 überhaupt von „demokratischen Wahlen“ sprechen angesichts der Tatsache, dass Frauen von Wahlen ausgeschlossen waren?

Oberbürgermeister einer Stadt im Porträt auszustellen, geht entweder nur vollständig oder gar nicht. Denn es kann für eine solche Galerie nur ein Kriterium geben: das Amt. Wer hat es wie lange und mit welchen Nachwirkungen bekleidet? Natürlich können, ja müssen Abstufungen vorgenommen werden: Oberbürgermeister im Kaiserreich, in der Demokratie, in den beiden deutschen Diktaturen. Aber das ändert nichts an dem Erfordernis, die Porträts aller Oberbürgermeister auszustellen. Geschichte kann man nicht mit Nachhinein korrigieren. Wer das versucht, wird scheitern – wie die jetzige Ausstellung im Neuen Rathaus unter Beweis stellt. Geschichte aber kann kommentiert und bewertet werden. Das hätten die Aussteller wissen und danach handeln können. Sie hätten aufzeigen können, wie die Oberbürgermeister in ihr Amt gelangten: durch Ernennung, durch Wahl im Stadtrat, durch direkte Wahl der Bürgerinnen und Bürger oder durch undemokratische Machenschaften. Doch was jetzt im Rathaus zu sehen ist, das ist reine Geschichtsklitterung. Denn das Kriterium, das nun zur Rechtfertigung dafür, dass Erich Zeigner nicht im Porträt zu sehen ist, herhalten muss, die demokratische Wahl, wendet sich gegen die Oberbürgermeister vor 1919. Die aber sind zu sehen. Was uns diese Posse lehrt? Wer Epochen und Personen aus welchen Gründen auch immer in der historischen Darstellung ausklammern will, der trägt dazu bei, dass die Gründe, warum diese sehr kritisch zu bewerten sind, immer mehr verblassen. Es geschieht dann genau das Gegenteil von dem, was die Initiatoren der Ausstellung beabsichtigten: das demokratische Bewusstsein zu stärken. Es wäre gut, wenn die Ausstellung umgehend einer gründlichen Revision unterzogen wird.

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