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Das (scheinbar) Unvermeidbare

Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich am Beginn dieses Jahres: das Gefühl des (scheinbar) Unvermeidbaren. Rational ist mir klar: Die demokratischen Parteien müssen allen Unterschieden zum Trotz bei den Bundestagswahlen möglichst eine Dreiviertel-Mehrheit erhalten, damit aus einem solchen Ergebnis eine stabile Regierung hervorgehen kann. Sie müssen einen profilierten Wahlkampf führen – und gleichzeitig die Bereitschaft signalisieren, mit anderen demokratischen Parteien in eine Koalition einzutreten können. Dabei wird den Mitgliedern der demokratischen Parteien abverlangt, nicht hinter jedem Kompromiss den Verrat an den eigenen Zielen zu wittern.

Doch die Signale in Deutschland wie in Europa weisen derzeit in eine andere Richtung: Rechtnationalistische und demokratiefeindliche Parteien wie die AfD verfügen inzwischen über ein beachtliches Wähler:innenpotential. In Ländern wie Frankreich, Österreich, Holland, Italien sind rechtsextreme Parteien zur stärksten politischen Kraft angewachsen. Hinzu kommt, dass über Europa hinaus der Autokratismus an Kraft gewonnen hat: Ab dem 20. Januar 2025 wird Donald Trump mit Oligarchen wie Elon Musk die amerikanische Demokratie systematisch in ein autokratisches System versuchen umzubauen – mit unabsehbaren Folgen. Wladimir Putin in Russland, Benjamin Netanjahu in Israel, Viktor Orbán in Ungarn, Javier Milei in Argentinien werden das Ihrige dazu beitragen, dass auch viele der (noch) vorhandenen demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen, die dem Autokratismus im Wege stehen, beseitigt werden. Alle diese Entwicklungen kamen und kommen zustande, weil zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Mehrheit der Wähler:innen zu diesem Ansinnen der Autokraten JA gesagt haben.

Droht dies bald auch in Deutschland? Sind wir schon an dem Punkt, da eine solche Entwicklung nicht mehr aufzuhalten, nicht mehr vermeidbar ist? Sind wir in Deutschland 2025 Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts angekommen? Ist eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland bereit, denen per Wahl das politische Mandat zu erteilen, die die parlamentarische, repräsentative Demokratie dazu benutzen, sie langfristig abzuschaffen, die europäische Friedensordnung weiter zu zerstören und durch den Nationalismus neue Keimzellen für kriegerische Auseinandersetzungen zu schaffen – und das auf dem Hintergrund, dass die wirtschaftlichen Handlanger der Autokraten auf ihrem Gebiet die gleiche korrupte Selbstbereicherungs- und Plünderungspolitik betreiben wie ihre politischen Förderer/Zöglinge? Manche werden solche Fragen für übertrieben halten. Aber angesichts dessen, was in den USA oder in Österreich vor sich geht, halte ich es für überfällig, dass wir uns damit jetzt auseinandersetzen – auch auf dem Hintergrund dessen, dass der Verweis auf die Verheerungen, die der nationalsozialistische Terror zwischen 1933 und 1945 über Deutschland und Europa gebracht hat, bei vielen Menschen immer mehr seine abschreckende Wirkung zu verlieren scheint.

Als vor einem Jahr in Deutschland Millionen Menschen auf die Straße gingen, um ein deutliches Zeichen gegen den Rechtsnationalismus der AfD und seine rassistisch-völkischen Bereinigungspläne zu setzen, empfanden das viele, ich auch, als ein überfälliges Votum der Bürger:innen für die bedrohte, freiheitliche Demokratie. Leider führten die Demonstrationen nicht dazu, antidemokratische Parteien wie die AfD nachhaltig zu schwächen – und das aus zwei Gründen:

  • Insbesondere die Parteien der Ampel-Koalition haben in dem Aufbegehren vieler Büger:innen nicht die Rückenstärkung erkannt, endlich zu einer überzeugenden Regierungspolitik zurückzukehren, durch die die Demokratie gestärkt wird.
  • Durch die dauernde Übernahme von politischen Narrtiven der AfD insbesondere durch die CDU werden die extremen Ansätze der AfD normalisiert.

Doch es wäre zu kurz gesprungen, im scheinbar Unvermeidbaren nur die Folgen eines Versagens der demokratischen Parteien zu sehen. Vielmehr wird in der Akzeptanz demokratiefeindlicher Politikansätze und in der Abkehr auch von Grundwerten der Verfassung deutlich, dass das Wertegefüge bei sehr vielen Menschen erodiert ist und zunehmend dem Opportunismus kurzfristiger Interessen untergeordnet wird. Das ist insofern nicht verwunderlich, als wertestiftende Institutionen wie die Kirchen rapide an Bedeutung und Einfluss verloren haben. Heute wird immer wieder als Grund für das Erstarken autokratischer Bewegungen angeführt, dass viele Bürger:innen kein Vertrauen mehr in die Politik, in die demokratischen Parteien haben. Das spielt sicher eine Rolle. Aber ich denke, der Grund ist ein anderer (zumal das Vertrauen in Politiker:innen schon immer begrenzt war): Viele Menschen verfügen über wenig Grundvertrauen in ihr eigenes Leben – ein Grundvertrauen, das nicht abhängig ist von materiellen Lebensbedingungen und politischen Entscheidungen; ein Grundvertrauen, das sich nicht nur aus dem eigenen Selbst speist, sondern der Meta-Ebene Gott bedarf. Dieses mangelnde Grundvertrauen hat viel damit zu tun, dass die Kirchen und ihre Glaubensbotschaft an Überzeugungskraft verloren haben, ohne dass es dafür einen Ersatz gibt. Genau dieses Vakuum bietet nun die Einflugschneise für autokratische und rechtextreme Ideen. Diese stärken nicht das Ich des einzelnen Menschen an sich, sondern das Ich durch die Abwertung des anderen. Das seit Jahren systematisch und international aufgebaute Netzwerk antidemokratischer, autokratischer, „illiberaler“ (Orbán) Bewegungen und Parteien basiert ideologisch auf drei Säulen: Gott, Nation, Familie. Das gilt für das Putin-Russland genauso wie für das Trump-Amerika.

  • Gott wird eingesetzt als religiös-ideologische Schokoladensauce, die über alles, vor allem das Verbrecherische, gegossen wird; des Weiteren dient Gott als Chiffre für religiöse Militanz und Intoleranz;
  • die Nation dient der Ausgrenzung anderer und der Identifikationsmöglichkeit der ideologisch Eingesperrten;
  • die Familie steht für die Konformität der Gesellschaft, die andere Lebensformen als unnatürlich und Angriff versteht.

Es muss eigentlich nicht verwundern, dass angesichts der Komplexität politischer Vorgänge Menschen empfänglich sind für diese, auf den national überschaubaren Bereich angewendete ideologische Säulen. Aufgabe muss es also sein, zum einen das Zerstörungspotential dieser Ideologie aufzuzeigen und zu entlarven, zum andern müssen wir gesellschaftlich einen Beitrag leisten, um das Grundvertrauen des Einzelnen in sein eigenes Leben zu stärken. Dieses ist nicht über Brot und Spiele, sondern nur über sinnstiftende, die Würde eines jeden Menschen achtende Angebote zu erreichen. Nicht nur als Kirche haben wir alle Hände voll zu tun, damit das scheinbar Unvermeidbare nicht eintritt.

25 Antworten

  1. Vielleicht haben die Kirchen auch deshalb an Überzeugungskraft verloren, weil sie im März 2020 weder die Glaubensfreiheit noch die Demokratie verteidigt haben? Damals hatten Sie abwartend (und nicht so negativ wie später) auf meinen Brief geantwortet, in dem ich fragte, ob die Gottesdienstverbote nicht der Status Confessionis seien. Aber nur wenige (später als „Querdenker“ diffamierte) verteidigten Menschenrechte und Demokratie. Das hat verständlicherweise nicht nur zu Vertrauensverlust, sondern sogar zu Hass auf das Establishment geführt. Leider tritt nur das BSW für einen vernünftigen Ausweg an: Radikale Kehrtwende in der Außenpolitik, Aufarbeitung der Corona-Katastrophe, Meinungsfreiheit und Vielfalt im ÖRR – mit anderen Worten, eine Rückkehr zu den Idealen von Willy Brandt. Anders als durch Stärkung dieser Kräfte ist eine AfD-Regierung nicht mehr zu verhindern.

  2. Zunächst den Bloggern/Herren J. Schade, R. Festerra, M. Käfer, Kl. Plätzsch und vor allem Chr. Wolff und allen anderen positiv und respektvoll kommentierenden Mitstreitern in diesem online-Debattenforum ein gutes, hoffnungsstarkes und vor allem friedvolles Jahr 2025!
    Mich beeindruckte sehr die Analytik von Dr. Schade, und alle darauf souverän und klug argumentierenden Diskursaffinen im Blog signalisieren genau diese unberechenbarer werdenden Welt, in der wir Konfrontationen erleben, die erschreckend destruktiv sind und zunehmend unsere Wertegesellschaft zerstören. Einst formulierte ich meine Erfahrungsbilanz, dass Kapitalismus und Demokratie nicht kompatibel seien; mit Herrn Schades Ausführungen werde ich darin bestätigt. Dass der reichste Mann der Welt (auch ich kann dies bald nicht mehr hören; der real existierende Kapitalismus explodiert hier in gewaltigster Art und Weise!!) ungehindert in politische Entwicklungen massiv eingreifen kann und ihn keiner daran zu hindern vermag, spricht für Destruktion. Und die Ohnmacht der Politik, deutlichst auszumachen an den wirren Äußerungen der Herren M. Söder und A. Dobrindt im derzeit anachronistisch ablaufenden und grobschlächtig verbalisiertem Wahlkampffieber, offenbart, dass ein seriöser, fundierter Diskurs mit überzeugenden Lösungsansätzen kaum möglich ist. Die Frage nur, wohin dies alles noch führen soll??
    Die geistig entgleisenden Geschichtstiraden einer A. Weidel, im nicht weniger abstrusen Video-Geschwätz mit E. Musk müssen nun wirklich und endlich alle aufwachen lassen:
    Für sie als Ökonomin ist es völlig klar, dass Adolf Hitler ein Linker war“. Und der „größte Erfolg“ nach 1945 sei gewesen, Hitler „als antisemitischen Sozialisten als rechts zu bezeichnen“. Sogleich setzte Weidel die Bundesrepublik mit der NS-Zeit gleich und resümiert: „Adolf Hitler war ein Linker, mit den gleichen Methoden wie heute. Mit Gleichschaltung von Medien, Einschränkung der Meinungsbildung und sonstigen Verboten und Ausgrenzung von anderen Meinungen.“.
    Diese AfD, ab heute in Riesa die Zukunft DEU auf deren Parteitag planend, liegt bei ca. 21 % Wählerzustimmung. Ist es nicht höchst dringend, dass diese noch existierende Zivilgesellschaft aufsteht und unmissverständlich sagt: STOPP.
    Ich denke zunehmend an Elias Canetti mit seinem: „Masse und Macht“. Darin wird z.B. deutlich, wenn er meint: „In der Masse könne es zu einem Zustand der „Entladung“ kommen, zu einem Moment, an dem alle „ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen“. Der Verlust jeder Individualität werde dabei als befreiender Akt betrachtet. Was da bedeutet, wurde in DEU nach Zerfall der Weimarer Republik und dem Faschismus 1933 – 1945 ausgelöst. Und das mag Frau Weidel.
    Bernd Ulrich beschreibt seine Besorgnis in der aktuellen DIE ZEIT-Ausgabe in seinem Titelbeitrag: „Noch wach?“ und fordert genau das, was jetzt SEHR nötig sei: Lösungen.
    Ein Letztes:
    Solche äußerst respektlosen Diffamierungen wie jüngst die eines Schwerdtfegers gegenüber Andersdenkenden stimmt genau die Tonlage an, derer sich Populisten bedienen: Aufschreien, Aggressionen kanalisieren, Scheinlösungen postulieren, aber substanzlos!
    Einen Guten Tag den Klugen, Vernünftigen und Anständigen, auch in diesem Blog! Jo.Flade
    PS/ Dank nochmals an Chr. Wolff – mit dieser seiner Debattenplattform öffnet er den Willigen eine gute Möglichkeit des streitbaren Diskurses zu den Problemen, mit denen wir allesamt mehr und mehr konfrontiert werden. Weiter so !!

  3. Es ist gut, immer wieder mal daran zu erinnern, dass das massive Aufkommen populistischer Strömungen in der westlichen Welt eng mit den wirtschaftlichen Verwerfungen verbunden war, die die neoliberalen Exzesse der modernen kapitalistischen Wirtschaft hervorgebracht haben. Herrn Schade ist da unbedingt zuzustimmen. Insbesondere die Deregulierung der Finanzwirtschaft beginnend in den 1980ger Jahren bescherte uns 2007/2008 die Weltfinanzkrise mit all den katastrophalen Folgen, die heute noch spürbar sind. Weiterhin ist die Klarstellung richtig, dass nicht die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise auf der Tagesordnung steht, sondern es vorrangig um Widerstand gegen die neoliberale Deformationen des kapitalistischen Systems geht. Es sei hier nochmal an die Worte des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis erinnert, der auf die Frage, warum er sich als Linker so stark für die Stabilisierung der europäischen (kapitalistischen) Wirtschaft einsetzt, sinngemäß antwortete, die Krise in Europa (es war die Zeit der Euro-Krise) würde wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten (https://www.woz.ch/1509/yanis-varoufakis/rettet-den-kapitalismus) .

    Wie neoliberale Tendenzen in der heutigen Wirtschaft konkret wirken, sollte man sich ab und zu vor Augen führen: Die Jagd nach leistungslosen Gewinnen treibt Immobilien- und Aktienpreise und verteuert damit jede materielle Güterproduktion. Unternehmen konkurrieren nicht mehr über Preise und Qualität, sondern versuchen Oligopole oder Monopole zu schaffen, um mehr Geld verlangen zu können, ohne einen nennenswerten Mehrwert zu bieten. Bestes Beispiel sind Firmen der (digitalen) Plattformökonomie (z. B. Amazon), die binnen kürzester Zeit überragende Marktstellung erlangt haben, den massenhaften Zulieferern Niedrigpreise diktieren und die hohen Gewinnmargen zentralisieren. KI, dieser Tage in aller Munde, kann in gewisser Weise auch als Maschine zum Diebstahl von geistigem Eigentum angesehen werden, der sich gegen kleine Produzenten wie Schriftsteller und Künstler richtet. Wer dagegen sehen will, wie Kapitalismus in den 50er und 60ger Jahren in den USA funktioniert hat, sollte z. B. nach China schauen, wo die Flexibilität einer effizienten Marktwirtschaft dem Gemeinwohl zugutekommt.

    Die Genossen aus Hamburg hatten natürlich Recht, als sie auf die Größe der Aufgabe verwiesen, sich gegen die Macht des Kapitals zu behaupten. Warren Buffett, der bekannte Großinvestor aus den USA, hatte es vor einiger Zeit auf den Punkt gebracht: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“ (https://beruhmte-zitate.de/zitate/126606-warren-buffett-es-herrscht-klassenkrieg-richtig-aber-es-ist-mei/). Ökonomische Macht bringt eben auch politische Macht. Dafür steht nicht nur Elon Musk, sondern es ist auch zutreffend bei Leuten wie Georg Soros und den Koch-Brüdern aus den USA, die seinerzeit mit ihrem Geld eine „Demokratie-Bewegung“ zusammengekauft haben, um die linke brasilianische Regierung unter Dilma Rousseff zu stürzen.

    Für Defätismus gibt es aber m. E. keinen Grund. Es ist ja nicht so, als gäbe es keine fundierten Ideen, wie neoliberalen Auswüchsen in der Wirtschaft begegnet werden könnte. Es sind nicht nur heterodoxe Ökonomen wie Heiner Flassbeck oder der Österreicher Stephan Schulmeister, die seit Jahren z. B. für eine Re-Regulierung der Finanzmärkte, für mehr Wettbewerb in der Wirtschaft eintreten oder gegen Netzmonopole Front machen, sondern auch einige Politiker (siehe z. B. S. Wagenknecht, „Freiheit statt Kapitalismus“, Campus 2011 und „Reichtum ohne Gier“, Campus 2015). Warum kommen diese Leute so wenig zu Wort? Warum sind diejenigen, die am lautesten über den vermeintlichen Niedergang der Demokratie im Lande klagen, die ersten, die sich z. B. mit dem geistlosen Verteilen von Populismus-Etiketten an deren Diskreditierung beteiligen oder mit der Organisation nutzloser Demonstrationen von dringend zu lösenden Problemen ablenken? Ich sehe hier erhebliche Glaubwürdigkeitsdefizite.

    1. „Wer dagegen sehen will, wie Kapitalismus in den 50er und 60ger Jahren in den USA funktioniert hat, sollte z. B. nach China schauen, wo die Flexibilität einer effizienten Marktwirtschaft dem Gemeinwohl zugutekommt. “
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      So einfach ist es nicht. Ich empfehle den „Zeit“-Artikel vom 13. Februar 2022
      „Die Reichen werden reicher, die Armen bleiben perspektivlos“ https://ogy.de/x75l

  4. Lieber Herr Wolff,

    ich möchte auch zu der Diskussion beitragen und an ein Wort von Horkheimer erinnern. „Wer aber über den Kapitalismus nicht reden will, der sollte auch über den Faschismus schweigen“.
    Ich möchte es variieren: Wer über den weltweiten Vormarsch des Rechtspopulismus reden will, sollte auch über den Kapitalismus nachdenken
    Ich finde es überdeutlich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen in der Welt auf bestimmten Entwicklungstendenzen des Kapitalismus beruhen. Das ist besonders deutlich in Amerika zu sehen, betrifft aber die gesamte kapitalistische Welt. Der alte – insbesondere der europäische – Konkurrenzkapitalismus hatte sich mit der Liberalen Demokratie einigermaßen angefreundet, sie akzeptiert, wenn auch nie wirklich von Herzen unterstützt, aber sich immerhin mit ihr arrangiert. Der moderne Kapitalismus, also der globalisierte Finanzkapitalismus und Datenkapitalismus ist mittlerweile fast monopolistisch aufgestellt. Er hat kein Interesse mehr an der Aufrechterhaltung einer Liberalen Demokratie, an der Gewaltenteilung, an einer lebendigen Zivilgesellschaft an einer wirklich unabhängigem Justiz und eine unabhängigen vierte Gewalt. Er glaubt, die Demokratie nicht mehr zu benötigen und ist aktiv bestrebt, sie zu zerstören. Er nimmt die Zerstörung nicht nur billigend in Kauf, sondern er betreibt die Demokratiesabotage aktiv. Er setzt deshalb auf autoritäre Führungsstrukturen und auf faschistische Entwicklungen. Besonders in den USA ist doch deutlich zu sehen, dass er die Stimmung in der Bevölkerung seit Jahrzehnten systematisch manipuliert. Es ist eine gigantische Verdummungsindustrie entstanden, die die Menschen veranlasst gegen ihre Interessen zu agieren und zu wählen. Das ist keine zufällige Entwicklung. Sie ist seit Jahrzehnten systematisch und sehr schlau vorbereitet worden.
    Sie streben eine Plutokratie an (nennen sie aber heuchlerisch Meritokratie) und gehen davon aus, dass eine autoritär strukturierte Gesellschaft ihren Geld- und Machtinteressen am besten dient. Und durch die systematische Manipulation der öffentlichen Meinung ist ihnen tatsächlich das schmierige Kunststück gelungen, die Massen einzuhämmern, dass ihren Interessen am besten gedient ist, wenn Sie die reichsten und mächtigsten Leute der Welt gewähren lassen.
    Darüber gäbe es viel zu sagen. Es gibt mittlerweile gute Literatur darüber, die ich auch gerne empfehlen würde. Ein herausragendes Beispiel ist das Buch von Joseph Vogl: Kapitalismus und Ressentiment. Ein schwieriges, aber überaus gescheites und anspruchsvolles Buch. Ein anderer Autor, der diese Entwicklungen grundsätzlich und kritisch begleitet ist Noam Chomsky
    Dezidiert kapitalismuskritische Autoren tragen heute am meisten zu einer korrekten Erklärung für die gegenwärtige Entwicklung bei. Klagen über die Entwicklungen im „Überbau“ also z.B. über die Verminderung religiöser Einstellungen oder ethischer Überzeugungen oder eine Zunahme des Narzissmus scheinen mir dagegen ganz an der Peripherie anzusetzen.
    Diese erklärung ist in den der Veränderungen der ökonomischen Basis und Produktionsweise zu suchen ist. Das ist natürlich ein marxistische Gedanke – aber korrekt und erklärungsmächtig..
    Ich möchte noch ein paar Assoziationen hinzufügen, die diese Gedanken unterstützen.
    Ich denke, die Autokraten und Plutokraten haben mit Interesse beobachtet, dass auch autoritäre Regimes wie China wissenschaftliche und technische Entwicklungen vorantreiben können, die denen einer Demokratie gleichwertig sind. Der ehemals so tröstliche Gedanke, dass eine moderne Wissensgesellschaft nur prosperieren kann auf der Grundlage von Individuen, die nur in politischer Freiheit innovativ und kreativ sein können, hat sich als falsch herausgestellt. Das haben Trump und Musk und „Genossen“ erkannt. Sie denken: Wir brauchen keine Demokraten, wir bevorzugen begabte und nützliche Fachidioten, die die wissenschaftliche Entwicklung in unserem Sinne voranbringen. Und wir werden die Herren dieser Gesellschaft sein und die totale Kontrolle ausüben. Die modernen Medien geben uns erstmals in der Menschheitsgeschichte ausreichend technische Möglichkeiten, Menschen zu kontrollieren, zu überwachen (Überwachungskapitalismus – Zuboff) und zu manipulieren.
    Im Informationskapitalismus haben einige Akteure Zugang zu großen Mengen an Daten, die sie nutzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Feindbilder zu konstruieren. Die Ermöglichung von Fake News und gezielter Desinformation über soziale Medien verstärkt politische Polarisation und das Misstrauen in bewährte Institutionen. Der Überwachungskapitalismus sammelt persönliche Daten um sie zu analysieren und um Verhalten zu steuern. Die Akzeptanz von Überwachung als Teil des täglichen Lebens führt zu einer Entwöhnung von Freiheitsrechten. (Einige von den Protagonisten des Hightech-Kapitalismus vertreten ganz offen krude autoritäre Ansichten z.B. Mark Andressen, Peter Thiel und zitieren stolz Ayn Rand und sogar Nietzsche. Vom dem natürlich nur die albernsten Überzeugungen.)
    Das ist alles überdeutlich und überlebensgroß in Amerika, dass es fast schon wie eine Karikatur anmutet, aber die USA war immer nur der Vorläufer für weltweite Entwicklungen. Sie mögen sich in Europa nicht auf diese radikale Weise vollziehen, aber die Entwicklung zu autoritären Strukturen ist ja bei uns auch überdeutlich und der Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus ist nicht so schreiend offensichtlich, aber bei genauer Recherche gut nachweisbar.

    Mit freundlichen Grüßen

    Jochen Schade

    1. Lieber Herr Schade, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich habe ihn aufmerksam gelesen. Nur frage ich mich: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihrer Analyse, dass der aufstrebende Rechtsextremismus das Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise ist? Vor allem aber frage ich mich: Wenn Ihre Analyse richtig sein soll, warum hat es dann jemals demokratische Aufbrüche, Bewegungen und Systeme gegeben? Oder sind das nur kurzfristige Ergebnisse einer „Irrtumsphase“ des Kapitalismus? In diesem Zusammenhang ist Ihre Bemerkung, dass „die modernen Medien … uns erstmals in der Menschheitsgeschichte ausreichend technische Möglichkeiten (geben), Menschen zu kontrollieren, zu überwachen“, sehr aufschlussreich. Sie suggeriert, dass es erst jetzt die Möglichkeit gibt, Menschen zu überwachen und zu manipulieren. Die Möglichkeit aber war schon in der Nazizeit, in der DDR, in Nordkorea gegeben, demokratische Aufbrüche zu verhindern bzw. zu unterdrücken. Natürlich sind die heutigen Möglichkeiten, den einzelnen Menschen zu überwachen und zu manipulieren, um ein vielfaches höher. Nur: Wer kann dem entgegensteuern? Doch wohl nur der einzelne und sich mit anderen verbindende und verbündende Mensch? Oder sollen wir darauf warten, dass irgendjemand den Kapitalismus beseitigt? Aber auch dann stellt sich die Frage: Was kommt danach? All das veranlasst mich dazu, mich weiter dafür einzusetzen, dass die einzelnen Menschen dazu befähigt werden, sich auf der Grundlage universaler Werte wie Menschenwürde, Nächstenliebe, Gerechtigkeit für ein demokratisches, gleichberechtigtes Zusammenleben einzusetzen und dieses zu gestalten. Darum in aller Deutlichkeit: Es geht mir nicht um „Erklären“, um ein Rechtbehalten in analytischen Richtigkeiten oder um ein Klagen über „Verminderung religiöser Einstellungen oder ethischer Überzeugungen oder eine Zunahme des Narzissmus“ (was Sie mir unterstellen). Vielmehr möchte ich alles dazu beitragen, dass sich der einzelne Mensch nicht als bloßes „Rädchen im Getriebe“ des Kapitalismus versteht, sondern als ins Leben gerufenes und zum Leben berufenes Geschöpf Gottes, der dieses nur verantworten kann in einem einigermaßen gerechten Zusammenleben mit anderen. Das politisch umzusetzen, ist nur unter Bedingungen der freiheitlichen Demokratie möglich. Diese gilt es gegen kapitalistische Plünderer a la Trump und Musk zu verteidigen. Beste Grüße, Christian Wolff

      1. Herr Schade legt eine dunkle, beängstigende, aber leider auch ziemlich überzeugende Analyse der gegenwärtigen Entwicklung vor. Die entscheidenden Faktoren sind für ihn: (1) Ein Kapitalismus, der sich von der Demokratie löst und der scheinbar auch ohne Demokratie funktioniert.
        (2) Die systematische Manipulation und Verdummung der Massen. In der Tat erscheinen auch mir die Manipulationsmöglichkeiten der Nazis gegenüber den heutigen Möglichkeiten (soziale Medien) geradezu als harmlos.
        Zu 1 merke ich an: Vor dem Aufstieg des heutigen China waren autoritäre Systeme den pluralistischen demokratischen Systemen immer eklatant unterlegen. Das zeigt zum Beispiel ein Vergleich zwischen dem stets autokratischen Russland und den westlichen Staaten. Im Westen gab es da über Jahrhunderte einen stetigen Fortschritt und Aufschwung (natürlich mit schrecklichen Unterbrechungen und Rückschlägen). In Russland dagegen war zugleich ein stetiger Niedergang und schließlich Untergang festzustellen. Der Liberalismus, die Demokratie waren stets viel innovativer, flexibler, krisenresilienter, weil sie in der Lage waren, das Engagement der einzelnen zu motivieren. Das scheint (!) jetzt anders zu sein. Ist das aber schon das letzte Wort? Ich möchte schon noch ein wenig abwarten, um zu sehen, wie die Autokraten auf die Dauer zurechtkommen! Da werden schon die nächsten Trump-Jahre einiges an Aufschluss bereithalten. Wir werden bald sehen, ob das für die USA wirklich alles so glanzvoll und erfolgreich wird.
        Aber selbst wenn Trump und Co. (vorerst) Erfolg haben, bleiben die Impulse von Christian Wolff wichtig. Manchmal muss man Möglichkeiten postulieren, selbst wenn man sie nicht hat. Leicht wird die Rückgewinnung der Demokratie als Leitidee aber vermutlich nicht werden. Das wird mit sehr schmerzhaften, langwierigen Erfahrungen und Kämpfen verbunden sein. Und vielleicht noch einmal revolutionäre (!) Strategien erfordern, die sich jetzt noch keiner vorstellen will.

        1. Entscheidend ist für mich nach wie vor: die rechtsstaatliche Demokratie ist die Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die dem biblischen Menschenbild am ehesten entspricht. Denn ihr liegt der Schutz und die Würde des einzelnen Menschen zugrunde. Alle anderen Formen und Systeme des gesellschaftlichen Zusammenlebens können letztlich unter dem Label „Die Vergottung des Menschen“ subsummiert werden. Diese erleben wir derzeit in einer bizarr-monströsen Weise bei Putin, Trump, Kim, Musk – und spätestens da sollte man erkennen, dass der Kapitalismus ein, aber eben nicht das einzige Erklärungsraster für die derzeitige Situation ist.

          1. Lieber Herr Wolff,

            ich habe mit keinem Wort gesagt, dass es sinnlos sei, sich für Menschenliebe und Gerechtigkeit zu engagieren und eine selbstbewusste Zivilgesellschaft zu stärken. Das käme mir nicht in den Sinn. Ich bewundere Ihre Leistungen auf diesem Gebiet sehr und bin da ganz solidarisch.
            Andererseits sollte es neben diesem Engagement auch diagnostische und analytische Bemühungen geben, die zu den Einschätzungen führen kann, die ich oben mitzuteilen versuchte.
            Ich habe nicht von dem Kapitalismus geredet, sondern von diesem modernen Kapitalismus, der monopolistische Tendenzen hat und der überwiegend ein Geld- und Datenkapitalismus ist. Das ist ein ganz anderer Kapitalismus als der „rheinische Kapitalismus“ in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren.
            Die moderne Entwicklungen sind absolut neu, disruptiv und ohne Beispiele der bisherigen Geschichte und in ihrer Macht und Durchsetzungsfähigkeit ungeheuer. Davor sollte man nicht die Augen verschließen, sondern das realistisch einschätzen.
            Die Manipulation und Kontrollmöglichkeiten dieser modernen Mediengesellschaften sind unendlich viel größer als die der Stasi. Gesetzt, die Entwicklung der KI macht weiter so unglaubliche Fortschritte, dann können wir uns überhaupt keine angemessene Vorstellung mehr machen über die ungeheure Macht der Medien und ihrer Besitzer und Herren. Ich gehe davon aus, dass diese Männer diese Entwicklung sehr wohl begreifen, bewusst lenken und strategisch einsetzen.
            (Schauen Sie sich das würdelose Verhalten von Bezos, Zuckerberg nicht zu reden von Musk in den letzten Tagen einmal an!).
            Ich denke, wir haben das Recht und die Pflicht Diagnosen zu stellen, bevor wir eine Therapie zur Hand haben. In den meisten Vorschlägen zur Therapie bin ich ganz bei Ihnen: Gesellschaftliches Engagement, Eintreten für Menschenrechte usw.
            Eine grundsätzliche „Kur“ gegen den Kapitalismus oder auch nur gegen den Kapitalismus in seiner modernsten Gestalt kenne ich natürlich auch nicht. Wer kennt die schon?
            Allerdings sollten wir uns trotzdem mit antikapitalistischen und neomarxistischen Alternativen auseinandersetzten Ich weiß, dass niemand ein Rezept dafür hat. Und ich weiß auch, dass die bisherigen Versuche zur Überwindung des Kapitalismus kläglich gescheitert sind. Aber d.h. ja nicht, dass es so bleiben muss!
            In der Zeit, als ich mich für den demokratischen Aufbruch engagierte, hatten wir einmal bei einer unserer Versammlungen eine Gruppe von kommunistischen Gewerkschaftsfunktionären aus Hamburg zu Gast. Sie hörten sich unsere Überlegungen zur Entwicklung einer neuen DDR Verfassung an und schienen, amüsiert. Als ich sie fragte, warum sie denn so süffisant lächelten, sagten sie ungefähr: „Der entwickelte Kapitalismus ist die mächtigste Formation der Menschheitsgeschichte und ihr wollt mit eurem dünne Papieren und abgestandenen Utopien dagegen angehen. Das ist irgendwie lächerlich“. Das habe ich mir gemerkt und deshalb weiß ich auch um die Naivität von systemüberwindenden Fantasien.
            Aber es gibt zunehmend mehr theoretische Ansätze in der politischen Literatur, die als Fernziel die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise für unbedingt notwendig halten.
            Ich gestehe allerdings, dass man angesichts der Macht des modernen Kapitalismus daran schon resignieren möchte.

            Mit freundlichen Grüßen
            Jochen Schade

          2. Lieber Herr Schade, diesem Kommentar kann ich weitgehend zustimmen. Sie haben natürlich darin Recht, dass die Möglichkeiten der Kontrolle und Manipulation durch die digitalen Medien und Netzwerke unheuer viel größer sind als jemals zuvor. Und das „würdelose Verhalten“ von Musk u.a. stellt einen Generalangriff auf die freiheitliche Demokratie dar. Dem möchte ich mich nicht einfach ergeben bzw. darauf so reagieren, wie 1989 Ihre Gäste aus Hamburg, nämlich mit einem süffisanten Lächeln. Dieses Lächeln/Grinsen ist mir aus der Studentenbewegung 1968ff sehr vertraut. Es kam damals vor allem von denen, die theoretisch alles wussten über die zerstörerische Kraft des Imperialismus und Kapitalismus – aber sie vermochten mit ihrer Theorie keine Massen zu erreichen, geschweige denn den einzelnen Menschen. Dafür verpassten sie 1989/90 die Friedliche Revolution, die so keinem theoretischen Strickmuster entsprach – und hatten dann doch nur ein müdes Lächeln für die übrig, die ihre Freiheit nutzten zum Aufbruch zur Demokratie. Für mich kommt in dem, was Sie damals offensichtlich als Entlarvung Ihrer angeblichen Naivität empfunden haben, vor allem eine Arroganz zum Vorschein, die einfach über das, was Menschen vermögen, hinweggeht, weil es in Theorie nicht vorkommt. Nach wie vor sind mir „dünne Papiere und abgestandene Utopien“ von Menschen, denen es um eine offene Gesellschaft und freiheitliche Demokratie geht, lieber als die schlüssigste Theorie über das kapitalistische System mit all ihren Richtigkeiten. Was nutzt Letzteres, wenn die Theorie nicht die Massen ergreift, sondern in ihrem Richtigkeitskäfig gefangen bleibt? Für mich bleibt die vornehmste und vordringlichste politische Aufgabe, dass von der Vision von einer offenen, demokratischen Gesellschaft und einem friedlichen Zusammenleben in einer Staatengemeinschaft ausgehend Treppenstufen in die Wirklichkeit gebaut werden. Aber vielleicht liegen wir da gar nicht weit auseinander. Beste Grüße, Christian Wolff

    2. Herr Dr. Schade, hier ein Gespräch mit Prof. Joseph Vogl »Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart« (Buchpremiere) https://www.youtube.com/watch?v=wz25706zZYs Ich werde sehen, ob ich es mir komplett anhören werde. Im Jahr 1989 war ich u. a. bei Ihnen in der Psychotherapie der Universität Leipzig in Behandlung. Ich sagte zu Ihnen „Es ist doch immer gegangen.“ Sie antworteten: „Es geht eben nicht mehr!“ Ist es jetzt wieder so weit? Ich hoffe nicht, obwohl ich mit dem Bloch’schen Begriff nichts anfangen kann.

  5. Danke für den funktionierenden Link zum FAZ-Artikel von Prof. Richard Schröder, in der Tat sehr lesenswert!

    Ansonsten: ich habe die letzten 28 Tage ohne die erleuchtenden, inhaltlich stets sauber argumentierten (also niemals persönlich herabwürdigenden) Beiträge des allwissenden Lautsprechers genossen, NICHTS vermisst.

    Die „heiße“ Phase des BT-Wahlkampfs hat begonnen. Da ist es nicht verwunderlich, wenn ein Merz-Groupie die ewig gleichen Tiraden immer und immer wieder wiederholt (in Amerika glauben ja auch viele Trump-Groupies nach wie vor, Biden habe ihm vor 4 Jahren den Sieg gestohlen). Bemerkenswert allenfalls: nicht mehr „die Ampel“ ist an allem Schuld, jetzt sind es nur noch „die SPD und die Grünen“! Denkt man dies konsequent weiter, könnte Merz als erster Bundeskanzler mit einer Vizekanzlerin regieren, ein „geeintes Kern-Europa“ aus D, Italien, Österreich, Ungarn, später vielleicht noch Frankreich anführen. Klimawandel, soziale und Generationen-Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit der Bildung, Infrastruktur und Wirtschaft werden sich dann schon irgendwie von selbst ergeben…

    1. Danke für den funktionierenden Link zum FAZ-Artikel von Prof. Richard Schröder
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      Bitte sehr!

  6. Einen Jahreswechsel kann man zum Innehalten und Nachdenken nutzen. Man kann ihn auch einfach vergessen:
    Wolff hat sich für Letzteres entschieden. Nach seinem Polit-Weihnachtsbrief hat er uns einige Beiträge geschickt, die eines – aber eben auch nur eines – verdeutlichen: Die Angst lähmt seine politische Übersicht (so vorhanden), seine Doppelbödigkeit bleibt unübersehbar, seine Bereitschaft zur Unterscheidung zwischen demokratischen Gemeinsamkeiten bei unterschiedlicher Meinung und radikalen Rändern bleibt unterdurchschnittlich, seine Fähigkeit zum Entwickeln von Lösungsvorschlägen ist nicht existent. Alles schade!
    Seine Angst zeigt sich in der ewigen fruchtlosen Warnung vor den Rechten unter gleichzeitiger Blindheit gegenüber den Linken und Islamisten (man schaue nur auf die Silvestergewalt, die bei ihm nicht vorkommt) ohne auch nur einen einzigen Hinweis darauf, wie man gemeinsam über Meinungsgrenzen hinweg der Probleme Herr werden könnte.
    Seine Doppelbödigkeit zeigt sich erschreckend in der Art und Weise, wie er sich über alle Personen äußert, die ihm nicht passen – und nicht nur ihm, denn Trump, Musk, Orban, etc, gefallen ja nun wirklich Vielen nicht – und die er aber gleichzeitig offensichtlich nicht in sein Petitum „Was immer ein Mensch getan hat, er bleibt doch ein Mensch“ einbeziehen will.
    Seine mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit zur Unterscheidung beweist er ständig; im aktuellen Beitrag durch den völlig unnötigen und unberechtigten Ausfall „Übernahme von politischen Narrativen der AfD insbesondere durch die CDU“. Schon vorher wurde hier über Jens Spahn hergefallen, den Frau Faeser jetzt gerade, drei Wochen später, mit ihren Vorschlägen kopiert.
    Und dass Wolff noch nie einen wirklich praktikablen politischen Vorschlag zur Lösung unserer Probleme gemacht hat, ist über die Zeit nachlesbar.
    Wolffs Angst spiegelt die der SPD, die mit dem Rücken zur Wand jetzt lauter Plakate vorstellt, die inhaltliche Leere und Konzeptlosigkeit aufzeigen. Merz ist da ehrlicher, denn er verweist auf die Notwendigkeit zur Leistungssteigerung – er verbreitet ja im Gegenteil zu Scholz auch keine Angst, sondern Aufbruch.
    Was wir jetzt brauchen, ist
    – Eigenverantwortung in sozialer Marktwirtschaft statt Unmündigkeit in sozialer Abhängigkeit,
    – mehr individuelle Leistung (-sbereitschaft) statt wohlfeiles „Zeichen setzen“ auf der Straße,
    – kein billiges Verunglimpfen der bösen Anderen, sondern realpolitische Vorschläge,
    – Einsicht in die Notwendigkeit von Prioritätensetzung und also Hinnahme von Defiziten,
    – Anerkenntnis der Realitäten an Stelle illusionärer Ideologien als Grundlage überzeugender Politik,
    – Auskommen mit den Mitteln, die wir generieren, und nicht Leben aus der Substanz unserer Enkel. Es ist ja interessant, dass die engagiertesten Vertreter einer genau solchen Klima- und Umweltpolitik diese in finanzieller Hinsicht für völlig falsch halten.
    Für alles dieses stehen SPD und Grüne nicht. Sie trauen sich nicht, der Bevölkerung, dem Wähler, die Wahrheit über den Zustand der Republik zu sagen. Und sie trauen sich nicht, linke Phantasien über sozialen Zusammenhalt zu bekämpfen, der sich in Wirklichkeit aus Familie, nationaler Identität, Traditionen und Gemeinsamkeiten sowie gewachsener Kultur generiert. Einwanderung bleibt willkommen, aber sie muss sich integrieren und sie muss die Regeln akzeptieren. Inzwischen haben dies ja auch die augenblicklich noch regierenden Parteien begriffen – nur Wolff noch nicht, wie seine Schlussbemerkungen zeigen.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Da hat Herr Schwerdtfeger offensichtlich große Probleme, mit Texten und Überlegungen umzugehen, die nicht in sein politisches Raster passen und die versuchen, gesellschaftspolitische Entwicklungen und Vorgänge abseits der gängigen Erklärungsmuster zu betrachten und zu analysieren – und nicht zuletzt die Perspektive des Glaubens in Worte zu fassen. Insofern liest sich sein holzschnittartiger Kommentar mit seinen immer gleichen Überlegungen (Wolff schreibt Unsinn – ich selbst weiß, was jetzt geboten ist) sehr hölzern und bietet leider wenig Erkenntniszuwachs. Auch scheint es für Herrn Schwerdtfeger nur schwer nachvollziehbar zu sein, dass ethische Grundsätze wie „Was immer ein Mensch getan hat, er bleibt ein Mensch.“ nicht bedeuten, dass ich Menschen nicht mehr hart kritisieren bzw. ihr Tun und Denken nicht mehr als gefährlich, tyrannisch, obszön betrachten darf. Ich frage mich nur: Was kann Herrn Schwerdtfeger dazu veranlassen, diese Dauerschleifen einmal zu überspringen?

      1. Ganz einfach: inhaltsreiche und vorwärtsschauende Beiträge, die nicht in regelmäßig hetzerische Einseitigkeit ausarten! Auf die Dauerschleife kann man nur mit der Dauerschleife antworten, denn das Falsche lässt sich eben immer wieder nur mit dem Richtigen widerlegen.
        AS

    2. „… Was wir jetzt brauchen, ist….“:

      – Analysen, die den Nagel auf den Kopf treffen
      – wenig Lärm mit leeren Phrasen und Wortgeklingel
      stattdessen
      – ein Lösen der Schuldenbremse
      – Mut für Investionen in Bildung und Infrastruktur
      – Zusammenhalt und gemeinsame Ziele für die Weiterentwicklung der liberalen Demokratie und des Sozialstaatsgebotes wie vom GG verlangt

      PS:
      Warum hat Merz gegen Merkel und AKK eigentlich immer „den Kürzeren“ gezogen? Ist Merz ein „Spätzünder“ oder die Union? Wer hat 2015 die Grenzen geöffnet? Wer hat den Verteidigungshaushalt zusammengestrichen? Wann flogen die Hubschrauber bei der Bundeswehr nicht mehr? Welche Minister haben die Infrastruktur der Bundesbahn nicht weiterentwickelt?

    3. Vielen Dank für den nachdenklichen, ausgewogenen und in keinster Weise hetzerischen Ausblick auf das neue Jahr.
      Leider muss ich der pessimistischen Analyse zustimmen. Auch ich sehe unsere Gesellschaft und unsere Demokratie auf einer abschüssigen Ebene hin zu einer (Zwischen-)Zeit, in der autoritäre, antidemokratische und antiliberale Kräfte die Politik bestimmen werden. Es ist einfach tragisch, dass unserer Demokratie, die nach 1945 die schwierigsten Herausforderungen bewältigt hat, jetzt nichts mehr zugetraut wird. Ich bin überzeugt, die Demokratie hätte auch das Potenzial, den Rahmen für die Bewältigung unserer gegenwärtigen Probleme bereitzustellen . Doch leider ist der Glaube daran zerstört worden. Meines Erachtens vor allem durch überzogene Erwartungen und maßlos übertriebene Kritik. (Den Begriff „Lösung“ lehne ich übrigens kategorisch ab. Für die meisten unserer Probleme gibt es keine „Lösung“ in dem Sinne, den der Begriff suggeriert. Dieser Begriff gaukelt den Menschen etwas vor, was es leider nicht gibt und programmiert die Enttäuschung vor.)
      Es gäbe m.E. nur eine Möglichkeit, der autoritäre Wende entgegenzutreten: die Demokraten müssten in der Situation des massiven Angriffs von rechts und von außen zusammenstehen, sie müssten das betonen, was sie verbindet. Stattdessen wird die Auseinandersetzung auch in diesem Wahlkampf wieder destruktiv und mit bösartigen Unterton geführt.
      Und wie soll die Einheit der Demokraten auch ausgedrückt werden, wenn die zur Zeit stärkste Partei, nicht einmal in ihren eigenen Reihen zu Gemeinsamkeit in der Lage ist? Es ist verstörend zu beobachten, wie offen Markus Söder Friedrich Merz demontiert: Söder definiert die Migrationspolitik der zukünftigen Regierung. Söder legt fest, mit wem Merz (nicht) koalieren darf. Das alles lässt Merz schwach aussehen. Es dürfte der CDU jetzt schon messbare Stimmenanteile kosten und stellt vielleicht sogar ihren Erfolg bei den Bundestagswahlen infrage. Schon bei den letzten Wahlen hat Söder in dieser Hinsicht erfolgreich agiert.
      Das führt mich zu einer Frage, die mich seit Beginn des russischen Angriffskrieges bewegt: Ist Demokratie in der Lage, in einer Zeit der Krise auch Einheit auszudrücken über Parteienstreit hinweg? Ist sie in der Lage, auch zu verbinden oder nur zu trennen? Auseinandersetzung, „Kampf“ und Kritik gehören zum Wesen der Demokratie, das ist mir klar. Aber was, wenn die Demokratie und die Demokraten massiv angegriffen wird? Sind Demokraten dann ihren Konkurrenzritualen ausgeliefert? Oder können Sie auch Gemeinsamkeit ausdrücken und die Menschen verbinden? Sind Sie überhaupt in der Lage, positive Visionen zum Ausdruck und zum Strahlen zu bringen, die noch stärker wirken als ihre Kritik am politischen Gegner?
      Im Blick auf die Lage Deutschlands bin ich folgender Überzeugung: Wenn die Lage zur Zeit tatsächlich desolat ist, dann kann hier meiner Meinung niemand mit dem Finger auf den/die anderen zeigen und sagen: Die sind schuld. Den Zustand Deutschlands im Jahr 2025 haben alle demokratischen Kräfte einschließlich der Wähler/innen auf unterschiedliche Weise gemeinsam hervorgebracht. Wie dumm ist es zum Beispiel, die Ampel für alle Probleme verantwortlich zu machen, obwohl sie gerade einmal drei Jahre unter besonderen Bedingungen an der Macht ist? Wie falsch ist es auch, wenn Teile „der Wirtschaft“ „die Politik“ für ihre Probleme verantwortlich machen! Deutschland-AG, das hieß doch: Die Wirtschaft ging aus und ein im Kanzleramt und Wirtschaftsministerium. Ich sehe noch die Bilder vor mir, wie Bundeskanzler begleitet von Delegationen der Wirtschaft nach China und Russland gereist sind und dort unsere Wirtschaft in die Abhängigkeit geführt haben. Gab es irgendeine wesentliche wirtschaftliche Entscheidungen in Deutschland, die nicht eng mit der Wirtschaft abgestimmt war?
      Aber natürlich gab es auch Versagen auf der linken Seite. Insbesondere die scheinbar doch große Bedeutung der nationalen Identität ist hier übersehen und zu wenig reflektiert worden.
      Und der Wähler? Der hat doch 16 Jahre lang die Regierung des Stillstands immer wieder bestätigt. Der hat auch 2020 das Wahlergebnis hervorgebracht, dass nur die Ampel als Option noch zugelassen hat. Auch wir Wähler können nicht einfach nach oben zeigen und sagen, die sind schuld. Nein, diese ganze gegenseitige Zuweisung von Schuld verfehlt die gemeinsame Verantwortung. Die gegenwärtigen Probleme haben wir uns alle gemeinsam eingebrockt und wir werden diese Probleme auch nur alle gemeinsam bewältigen können oder wir überlassen es eben den Autoritären.

    1. Danke. Der Artikel ist aufschlussreich. An einer Stelle bin ich hängen geblieben: In der dritten Spalte spricht Schröder – für mein Empfinden etwas zu lässig – ein wichtiges Thema an, das der Migration und Integration. Damit stellt er zugleich das Postulat einer deutschen Identität in den Raum. Schröder meint, manche deutsche Linke würden die Existenz einer „deutschen Kultur“ bestreiten. Ich habe aber den Eindruck, dass in dieser Frage unsere ganze Gesellschaft und auch die Politik auf einem Lernweg ist. Wir lernen gerade, dass die Frage der Identität einer Gesellschaft wichtig ist. Wir sehen, dass eine Gesellschaft, die nicht weiß, was sie verbindet, verunsichert und anfällig ist für alles mögliche. Das wurde lange nicht nur von links vernachlässigt. Aber wir sind auch weit von einer Einigung darüber entfernt, was eine deutsche Kultur und Identität denn sei. Wir leben doch in einer Gesellschaft von Individualisten, in der es 1000 verschiedene Lebensstile gibt. Gibt es in einer Gesellschaft, die kulturell so segmentiert ist wie die unsere überhaupt eine gemeinsame Kultur? Gibt es bei uns noch allgemein gültige und verbindliche „kulturelle Üblichkeiten“ wie Schröder meint? Ist z.B. der Begriff „Leitkultur“ wirklich mehr als ein Kampfbegriff, mit dem einige Politiker versuchen, Stimmungen aufzufangen und in Stimmen für die eigene Partei umzumünzen? Warum wird eine offene Debatte darüber, was uns in Deutschland kulturell verbindet, immer gleich so polemisch vergiftet? Das Gespräch darüber würde ich sehr gerne führen. Vielleicht ja einmal auf dieser Plattform.

  7. Die alten und eigentlich zeitlosen Ziele der Sozialdemokratie sind ein gerechter Friede mit den Nachbarn und ein solidarisches Zusammenarbeiten, um dien Bürgern und Menschen im Land Freiheiten und Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen. In der sozialdemokratische Gedankenwelt finden sich dazu die richtigen Strategien um auch die Probleme der heutigen Gesellschaft anzugehen.

    Die sozialdemokratischen Programme benennen auch Voraussetzungen für eine soziale und liberale Demokratie. Kirchen, Gewerkschaften, Vereine, Verbände können Beiträge leisten. Wichtige Orte der Willensbildung sind aber die demokratischen Parteien und Bündnisse/Koalitionen auf dem Boden unseres Grundgesetzes.

    Das Problem unserer Demokratie ist der ständige steigende Narzissmus der Gesellschaft, die Zerstörung des Gemeinsinns und die Bestätigungen in den Echokammern der neuen Medien von Mythen und Verschwörungstheorien. Obszöner Reichtum ohne soziale Verantwortung mit offener Manipulation und Bedrohung und Eingriff in die Wahlen sehen wir deutlich in den USA. Das amerikanische Beispiel lähmt auch bereits in Deutschland die Teilhabe, die Qualität der Debatten und letztlich die Entfaltung der Demokratien genauso in weiteren wesentlichen westlichen Ländern.

    Die Herausforderungen und Krisen unserer Welt erfordern jedoch mehr denn je Wissen, Vernunft, Teilhabe und Partizipation.

    Die Rechten & Populisten haben es verstanden Wut, Emotionen, Hass auf dem Boden von verletztem Gerechtigkeitssinn, Zukunftsangst, dem Abgehängtsein ein gefährliches Narrativ zu konstruieren. Man kann es drehen und wenden wie man will, dagegen hilft nur Zivilcourage, Aufklärung, Engagement und die Mittel und Wege, die unser GG auch konkret benennt.

    In Deutschland hängt sehr viel von dem Erfolg der Sozialdemokratie ab.
    Das Experiment mit der Ampelkoalition war im Ergebnis jetzt ein Fehlschlag. Es fehlte der Mut, die Koalition früher zu beenden, als der Handlungsspielraum durch die Folgen des Ukrainekrieges und der Schuldenbremse nicht mehr vorhanden war.
    Die Sozialdemokratie steht geschwächt vor einer größeren Herausforderung als vor 3 Jahren. Die EU ist uneinig. Trump und Putin wissen um die Schwächen Deutschlands und der EU. Nur klare realistische Ziele für gemeinschaftliches gesellschaftliches Handeln und der soziale Zusammenhalt werden weiterhelfen. Aktuell muss es darum gehen diese Ziele konkret zu formulieren.

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