Gewalt – niemand möchte ihr ausgesetzt sein, doch kaum einer will auf sie verzichten. Darum ist sie alltäglich. Auch in unserer Stadt. Kaum hatte sich die Erregung über die Zerstörungsschneise gelegt, die sog. Linksautonome Anfang Juni nicht zum ersten Mal in Leipzig geschlagen hatten, randalierten an einem Wochenende Fußballfans von Lok Leipzig mit ungeheurer Brutalität in Erfurt, räumten Jugendliche, die sich vor einem Unwetter Schutz suchend in einen Getränkemarkt geflüchtet hatten, diesen in kurzer Zeit aus und geriet ein sog. Junggesellenabschied völlig aus dem Ruder. Gewalt im öffentlichen Raum, motiviert aus nichtigen Gründen – und das in der Stadt, von der einst der Ruf „Keine Gewalt“ ausging und eine gesellschaftliche Umwälzung friedlich verlaufen ließ.
Sollen wir die krasse Widersprüchlichkeit dadurch glätten, dass wir uns mit dem Hinweis beruhigen: Schon auf den ersten Seiten der Bibel wird von einer Gewalttat erzählt, dem Mord des Kain an seinem Bruder Abel? Aber befördert dieser Hinweis nicht einen gefährlichen Fatalismus, der uns Gewalt als gegeben akzeptieren lässt und den Fokus allein auf den gewalttätigen Schutz vor Gewalt richtet? Sollen wir uns damit beruhigen, dass die Gewalt in unserer Gesellschaft eher ab- als zugenommen hat – auch wenn unser subjektives Empfinden anderes zu sagen scheint? Aber verbietet sich dieses selbstberuhigende Hinnehmen von Gewalt nicht, wenn – wie vor wenigen Tagen in Charleston (South Carolina) – ein junger weißer Rassist neun Schwarze während einer Bibelstunde in einer Kirche erschießt? Und was, wenn wir die trockene Mitteilung nicht einfach wegklicken, dass im vergangenen Jahr 1,735 Billion US Dollar weltweit für Waffenkäufe und Verteidigungsmaßnahmen ausgegeben wurden, um Kriege führen und deren Zerstörungsfolgen beseitigen zu können, ohne dass unsere Welt friedlicher geworden wäre?
Wie also der Gewalt begegnen? Wie die ungeheuren Gewaltexzesse noch in Einklang bringen mit den Werten, die wir nicht zuletzt der biblischen Botschaft verdanken: die Barmherzigkeit, die Ehrfurcht vor dem Leben, die Nächsten- und Feindesliebe? Vielleicht hilft ein Blick nach Charleston. Als der mutmaßliche Attentäter Dylann Roof dem Haftrichter vorgeführt wurde, kam es zu einer mehr als bewegenden Begegnung zwischen dem jungen Mann und Angehörigen der Ermordeten. Diese haben ihn nicht nur daran erinnert, dass er in der Kirche freundlich, als Kind Gottes empfangen wurde. Sie haben ihm flehentlich zugesagt, ihm vergeben zu wollen und Gott zu bitten, dass er sich gnädig seiner kranken Seele annehmen möge. Aus der betroffenen schwarzen „Emanuel African Methodist Episcopal Church“ kam kein Aufruf zur Rache. Da versammelte sich in Charleston auch keine Menschenmenge, um zu skandieren „Kill him“. Da wurde nicht die Todesstrafe gefordert. Diese Phantasielosigkeit überließ man der weißen, republikanischen Gouverneurin von South Carolina. Stattdessen sagte der baptistische Reverend Nelson Rivers:
Wir antworten nicht mit Gewalt. Nur jemand, der uns nicht kennt, kann etwas anderes erwarten.
Damit machte Rivers klar: Wir Schwarzen werden dem Täter nicht noch den Triumph gönnen, uns durch seine Gewalt zum gewalttätigen Aufstand provozieren zu lassen. Das war ja die Absicht von Dylann Roof. (Das ist auch die Absicht derer, die derzeit in Freital und an anderen Orten mit dumpfen Drohgebärden Asylsuchende zu vertreiben versuchen; ihr Hass soll Gewalt provozieren.) Damit folgten die Schwarzen in Charleston der Überzeugung eines Martin Luther King, der 1963 nach dem Bombenanschlag auf sein Haus in Montgomery ausrief:
Wir müssen der Gewalt durch Gewaltlosigkeit begegnen … Wir müssen unsere weißen Brüder lieben, gleichgültig, was sie uns antun … Wir müssen Hass mit Liebe vergelten.
Nun ist die Frage: Was hat die Menschen in Charleston zu dieser Haltung befähigt? Warum keine brennenden Barrikaden und geplünderte Supermärkte nach dem Massaker in Charleston? Die Antwort lautet: Die Menschen haben die das Leben verdunkelnde Tat eines Dylann Roof ins Licht Jesu gestellt. Sie haben sich leiten lassen von dem, was wir gemeinhin als Grundlage der Menschlichkeit ansehen: das Gebot zur Nächsten- und zur Feindesliebe, der Aufruf und die Befähigung zur Friedfertigkeit unter den Menschen. Jeden Tag spüren wir die fatalen Folgen, wenn wir unbarmherzig und eigennützig unsere Interessen durchzusetzen versuchen, wenn wir das Gebot der Gewaltlosigkeit ins Jenseits verfrachten, wenn wir Rassismus und Selbstbewaffnung befördern und wenn wir über kein inneres Krisenmanagement verfügen, mit unseren Niederlagen, Unzulänglichkeiten, Demütigungen, Aggressionen umzugehen. Leider meinen immer noch die meisten Mächte und Menschen, wir könnten nur überleben mit der Knarre in der Hand. Darum der irrwitzige Waffenbesitz in den Vereinigten Staaten, darum die Hochrüstung, mit der weltweit Kriege gefüttert werden, darum die Illusion, durch Gewalt irgendetwas Vernünftiges und Menschliches erreichen zu können – darum aber auch der immer neue Versuch, persönliche Probleme mit Gewalt lösen zu wollen und dafür Sündenböcke zu schaffen.
Die Christen von Charleston lehren uns: Das ist ein Irrweg. Sie folgen einem Gott, der es nicht nötig hat, sich mit Gewalt zu behaupten – so wie heute Religionen, Ideologien, Völker, Lebensentwürfe mit andere vernichtenden Gewalt um ihre Vormachtstellung ringen. Sie stellen das Besondere an dem Vater Jesu Christi heraus: Er begegnet uns Menschen nicht mit Heer oder Kraft, sondern mit seinem Geist: Er denkt das Böse in Gutes um; er ermöglicht Kain trotz seiner Schuld Leben; er will uns mit Jesus zur Gewaltlosigkeit überwinden. Cheryl Lawrence, die Freundin des ermordeten Pfarrers der Emanuel Church, sagte:
Wir sind stark: körperlich und moralisch. Wir mögen nicht viel Geld haben, aber wir haben ein Ziel im Leben. Und den Geist des Herrn mit uns.
Dieses Ziel sollte auch in Leipzig, in Tröglitz und in Freital niemand aus den Augen verlieren. Denn wie armselig nimmt sich gegenüber dieser menschlichen Größe das dumpf-gewalttätige Gebrülle derer aus, die durch Hasspogrom Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hoffähig machen wollen.
7 Antworten
Verehrter Herr Schwerdtfeger; meinerseits an Sie tatsächlich nunmehr eine letzte Wortmeldung: Wenn schon, nach Ihrer Darstellung, Pfarrer Wolff einst mit Ihnen direkt den Disput geführt hat, was offensichtlich seit längerem nicht mehr geschieht (wozu sonst Ihre hektischen Gegenreaktionen en masse?), stellt sich für dem unbeteiligten Dritten die logische Frage, warum Sie denn den direkten Dialog mit ihm nicht aufnehmen. Können, wollen Sie nicht?, das spärche wenig für Sie. Sie wissen – das gesprochene Wort war schon immer besser als das räumlich distanzierte Aufgeschriebene. Übrigens: Pfarrer Wolff braucht keine Stellvertreter, wahrhaftig nicht, und ich spreche, schreibe für mich und meine Auffassungen, und ich wehre mich gern dabei gegen dümmlichen Sarkasmus und permanente Aggressivität, die allein dazu dienen soll, den anderen verbal zu erniedrigen – das ist keine Dialogkultur! Adieu – Jo.Flade
Auch Ihnen, Herr Flade, ein frohes WoEnde. Ich dachte immer, ein Blog sei zum Diskutieren da und nutze gerne dieses Forum, das Herr Wolff anbietet. Und wen wundert’s, dass er immer seine (einseitige) Position ebenso darstellt, wie ich auch die meine (ebenso einseitige). Es gibt eben zu seiner Ansicht eine genau so legitime Gegenposition und es ist ja das Schöne, dass Herr Wolff den „demokratischen Diskurs“ fordert und mit seinem Blog fördert. Früher hat er ihn noch mit mir selbst geführt, jetzt hat er seine Stellvertreter – ist doch in Ordnung und prima.
Zusammengefasst: Mir scheint es wichtig, nicht Gegenrede zu führen um der Gegenrede willen, aber Gegenposition zu beziehen um Meinungspluralität darzustellen. Dem können Sie doch sicher mit Freuden zustimmen und werden also auch meinen Beitrag zu Herrn Wolffs nächstem Blog „Bermudadreieck“ lesen.
Gruß,
Andreas Schwerdtfeger
Verehrter Herr Schwerdtfeger; ganz offensichtlich gehören Sie zu den Unentwegten, die ohne einen Widerspruch, was Chr. Wolffs Aufrichtigkeit betrifft (darauf bestehe ich!; der aufrechte Gang ist freilich dafür Voraussetzung), nicht ruhig schlafen können. Mitunter ist es weise und souverän, lässt man einfach mal was stehen – ohne Kommentar. Und eines ist wohl eindeutig: Sie beschäftigen sich allzu gern mit Gegenreden, offensichtlich können Sie gar nicht anders; fast kein Wolff-Blog ohne Schwerdtfeger-Kommentar! Fröhliches Wochenende Ihen, vor allem fröhlich!!!
Nun ja, lieber Herr Flade, in Tunesien werden Touristen erschossen, in Meißen werden Häuser für Asylbewerber angezündet und wenn es nach Pfarrer Wolffs letztem Beitrag geht, dann ist hier Verzeihen gegenüber den Verbrechern der Königsweg und die Forderung nach Verfolgung und Bestrafung der Täter entsprechend dem Gesetz ist „Phantasielosigkeit“. Ich bezeichne das schon als einen Paradigmenwechsel. Und dies alles wäre eben nicht passiert, wenn man Glaubensdinge nicht mit Strafrecht in einen Gutmenschen-Brei vermischt hätte. Es hat wirklich wenig mit Souveränität oder nicht zu tun, wenn man darauf hinweist, dass Argumentationsketten dann unstimmig sind, wenn sie Unvergleichbares und miteinender nicht Verbundenes versuchen in einen Topf zu rühren. Und daß ich Herrn Wolff als tapferen, aufrechten (nicht mit aufrichtig zu verwechseln!) und engagierten Streiter für seine Ideale ansehe, steht außer Zweifel.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Geht es um den „wahren Geist Jesu“ oder um „Kirchenhass“, wenn man bedauert, daß das eine eine unzulässige – oder zumindest unrealistische – Vermischung von Glaube und Strafrecht, das andere eine Verwechslung angeblichen Hasses mit der Empörung über die Heuchelei der (evangelischen) Kirche ist, die à la Käßmann die Moral für sich gepachtet zu haben glaubt ohne je eine politisch und gesellschaftlich gangbare Lösung anzubieten? Es ist eben keine „Phantasielosigkeit“ der Gouverneurin, wenn sie auf die strafrechtlichen Folgen einer Mordtat wie in Charleston hinweist und die Anwendung des Gesetzes fordert (wie immer man im Detail dazu stehen mag), und es ist ein Bekenntnis zum Glauben an die strafrechtliche Gerechtigkeit in den USA, wenn die Opfer-Gemeinde dem Täter spirituell vergibt, dessen Verurteilung nach Recht und Gesetz sie selbstverständlich als gegeben annimmt.
Wenn Herrn Wolffs These – die im übrigen diametral seinen früheren Ansichten zur Gewalt widerspricht – Bestand haben sollte, dann wäre das Chaos garantiert:
– man fährt zu schnell auf der Autobahn und vertraut auf die Vergebung der Unfallopfer;
– man klaut und vertraut auf die Vergebung der Beklauten;
– man lügt und betrügt und vertraut auf die Vergebung der Betrogenen.
Die Liste lässt sich unendlich fortsetzen und buchstabiert die Durchsetzung der Macht gegenüber dem Recht! Richtig ist stattdessen, dass christliche Vergebung eine Sache ist – die davon völlig unabhängige strafrechtliche Verfolgung einer Tat nach dem Gesetzbuch ist eine andere und genauso wichtige; und sie erst macht die Vergebung möglich. Welchen Zweck hätten die 10 Gebote, wenn Vergebung bei Nichteinhaltung die edlere und einzige Konsequenz sein sollte? Also nochmal, lieber Herr Wolff: Mischen Sie nicht immer einen Brei aus Bergpredigt und realer Politik, der nur zu unaufrichtigen Schlüssen, Theoretisierei, moralischer Heuchelei und Verdammung derjenigen führt, die sich im Gegensatz zu Ihnen wirklich um eine Lösung bemühen.
Andreas Schwerdtfeger
Verehrter Herr Schwertfeger; die eine Sache ist die Ansicht zu den Dingen des Lebens, des Glaubens, der Moral, des Rechts und des Anstandes, eine ganz andere Sache ist, wie man darauf reagiert. Unterschiedliche Haltungen sind stets produktiv, wenngleich en detail das eine oder andere meine/Ihre Position nicht treffen kann oder soll (auch gar nicht treffen muss). Die gewiss nicht selten kräftigen Blogs des Herrn Wolffs sind seit jeher mutig, offen, wahrhaftig und ohne Scheu vorgetragen; derartige Wortmeldungen in die Öffentlichkeit sind nicht nur erwünscht, sondern allenthalben dringend nötig in einer Zeit, wo allerorten fade und dürftige Intentionen wohlfeil herausposaunt werden. Und einem muss hier widersprochen werden: mir sind keine Diametralansichten Pfarrer i.R. Wolffs erinnerlich, was sein gestern mit dem heute auf den Kopf stellte. Und ein letztes: gäbe es solcherart Einmischungen nicht, wäre es um unsere Gegenwart noch schlechter bestellt als ohnehin sie es ist. Seien Sie souverän mit den Auffassungen anderer; ich versuche es auch mit der Ihren Wortmeldung. Jo.Flade
Ja, das ist der wahre Geist Jesu, den die Angehörigen der Opfer da in Charleston gegenüber dem Täter an den Tag gelegt haben. Manche ertragen das aber offensichtlich nicht! Die sind seelisch und transzendent wie abgeriegelt. – Gewalt gibt es natürlich auch hier – siehe zuletzt Freital, wo sich auch ein Art Progromstimmung gegen Aylbewerber breit gemacht hat. Man kann über die Auswahl – nein, man muss über die Berechtigung der Asylanträge vieler Asylbewerber offen und kritisch diskutieren können (so kann Deutschland z.B. nicht den halben Kosovo oder halb Albanien aufnehmen, wo die Menschen für sich keine Zukunftsperspektive mehr sehen und wo Korruption und politisches Mißmanagement das ganze Land zerfressen). Aber wenn das im offenen politrischen Diskurs entschieden ist, sollte man denen, die dann Asyl erhalten, auch bei der Integration helfen! Wobei ich aus dem Nahen Osten ganz klar aber christliche Flüchtlinge Muslimen vorziehe (die in Syrien und dem Irak sowieso fast alle mit dem Tod bedroht sind). Diese Entscheidung darf ein Land sehr wohl treffen (Polen z.B. macht das so) – auch wenn das in halbatheistischen Deutschland mit seinem latenten Kirchenhass bei einigen sehr umstritten sein dürfte.