Sie hat ein Buch geschrieben – Antje Hermenau, bis 2014 Landtags- und Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen, jetzt Geschäftsführerin der Freien Wähler in Sachsen. In den nächsten Tagen erscheint ihre Streitschrift „Ansichten aus der Mitte Europas. Wie Sachsen die Welt sehen“. Ob frau/man das Buch kaufen muss? Es bleibt jedem anheimgestellt. Allerdings lässt mich das Interview zum Buch, das heute in der LVZ erschienen ist, daran zweifeln, ob 10 Euro gut angelegt sind (http://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Wer-offene-Grenzen-will-schafft-den-Sozialstaat-ab). Denn das Buch ist wahrscheinlich in genau dem Duktus geschrieben, wie das Interview von Hermenau geführt wird. Der geht ungefähr so:
- Wir Sachsen wissen, was für uns gut ist. Da lassen wir uns von niemandem reinreden – schon gar nicht von den „Beutesachsen mit westdeutscher Sozialisation“. Zack – eigentlich darf ich gar nicht weiterschreiben …
- Hermneau stellt zum gesellschaftlichen Zusammenleben fest: „Wir stehen als Gesellschaft an einem Scheideweg.“ Da wartet man natürlich auf einen Hinweis, welchen Weg wir denn wählen sollen. Hermenau verweist auf „Handwerksmeister, Menschen, die Unternehmen führen, Ärzte, Anwälte“ (damit ist ja Gesellschaft umfassend beschrieben!). Die haben Fragen und wenig Zeit – und die Politik antwortet ihnen nicht.
- Natürlich ist Hermenau nicht ausländerfeindlich. Sie war mit einem Amerikaner verheiratet und hat sich um Geflüchtete gekümmert. Aber „Loofen musses!“ ist ihr Credo. Dazu gehört für Hermenau, dass die Sachsen „zu einem Menschenschlag, einer Region, einem Dialekt, einer Religion, einer Kultur gehören“. Da fragt sich natürlich derjenige, der nicht in Sachsen geboren wurde, aber seit Jahrzehnten hier lebt: Gehört er nun zu diesem „Menschenschlag“ oder doch nicht? Darf er Sachsen seine Heimat nennen, oder ist das schon übergriffig? Und: Was ist eigentlich die Religion der Sachsen?
- Dann sind da noch die „offenen Grenzen“, die „den Sozialstaat zerbröseln lassen“. Von welchen Grenzen Hermenau spricht, ist nicht klar: „Denn mit offenen Grenzen ist ein Sozialstaat wie der deutsche, der weltweit mit am teuersten ist, nicht zu halten.“ Dass der Sozialstaat auch etwas mit Europa, also mit offenen Grenzen, zu tun hat, kommt bei Hermenau genauso wenig in Betracht wie die Tatsache, dass der Sozialstaat vor allem durch soziale Ungleichheit gefährdet ist.
- Die Migration ist für Hermenau tatsächlich „die Mutter aller Probleme“ (Horst Seehofer): Der Sozialstaat verkraftet Geflüchtete ebenso wenig wie eine Grundrente. Schließlich versteigt sich Hermenau zu der Aufrechnung: „100 Milliarden Euro Integrationskosten (gehen) mit drauf. Mit dem Geld hätten wir heute leistungsstarkes Internet bis zu jeder Milchkanne durch finanziert gehabt.“ Ja, auch daran sind die Geflüchteten schuld.
Was in dem Interview deutlich wird: Hermenau bedient alle Stereotypen, die einen AfD- oder Pegida-Sympathisanten in seinen Vorurteilen bestätigen – verpackt in flotte Sprüche, garniert mit sächs’schen Kalauern: Politiker sind ziemlich unfähig; Geflüchtete verbrauchen das Geld, das uns Deutschen zusteht; sie lassen sich nicht integrieren und: „Wir sind doch keine Nazis“. Kein Wunder, dass sich gerade Letzteres wie ein roter Faden durch das Interview zieht. Ob es daran liegt, dass die ja intelligente Antje Hermenau im Unterbewussten sehr wohl spürt, welche Funktion ihre Äußerungen haben? Jedenfalls ist auffällig, dass Hermenau kein Wort zu den Gefahren des Rechtsnationalismus, zu den Übergriffen auf Geflüchtete, zu den Erfolgen der Integrationsarbeit in Sachsen verliert. Dafür müssen dann „Handwerker“ herhalten, die Hermenau gesteckt haben, wie arbeitsfaul und integrationsunwillig Geflüchtete sind. Hinter dem, was sie angeblich Hermenau berichtet haben „nach einem Tag hat der erste Rücken, spätestens in der nächsten Woche dann der Zweite, und den Dritten können sie vielleicht ausbilden“, verbergen sich die gleichen Plattheiten, mit denen schon vor 40 Jahren über erwerbslose Deutsche hergezogen wurde. Aber selbstverständlich: Antje Hermenau ist nicht ausländerfeindlich und nicht rechts. Solche Leute nennt sie „Brüllaffen“ – und damit ist dann das Problem des Rechtsextremismus abgehandelt. Dafür wird die Messlatte hochgelegt: „wer auf Dauer hier leben will, muss sich hier anpassen und arbeiten – dann ist er willkommen“, ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass inzwischen die Beschäftigungsquote bei Geflüchteten bei 30 Prozent liegt – Tendenz steigend, und dass Integration keine Einbahnstraße ist.
Bleibt zum Schluss noch die Merkwürdigkeit, dass unsere Gesellschaft nach Hermenau nur aus Facharbeitern, Selbstständigen, Handwerkern, Unternehmern, Ärzten und Anwälten besteht. Dass auch Schüler/innen, Studierende, Angestellte, Arbeitnehmer, Rentner, Nicht-Berufstätige, Migranten zu unserer Gesellschaft gehören, kommt bei ihr nicht vor. Offensichtlich schwebt Hermenau ein Sachsen vor, das sich vor Einwanderung jeder Art schützen will und ganz auf die genannten Berufsgruppen setzt, vorausgesetzt sie verfügen über sächsischen Stallgeruch. Mit ihrem Buch öffnet Hermenau kein Fenster und schon gar nicht lässt sie frische Luft rein, wie sie im Interview selbstbewusst behauptet. Vielmehr bleiben all ihre Gedanken im Mief eines verquast-selbstgenügsamen sächsischen Lokalpatriotismus hängen, um den Hermenau einen dicken Gartenzaun zieht. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass innerhalb dieses Geheges die Bachmanns, Maiers, Urbans und Hermenaus ganz gut miteinander auskommen. Gott sei Dank sind aber inzwischen immer mehr Bürgerinnen und Bürger Sachsens davon überzeugt: So geht sächsisch nicht.
Nachtrag: Inzwischen hat die Leipziger Volkszeitung (LVZ) drei Auszüge aus dem Hermenau-Buch abgedruckt. Leider habe ich keinen Grund, irgendetwas zu korrigieren – außer dass ich nun sicher bin, das Buch nicht zu kaufen. Es lohnt sich einfach nicht, für dieses hochnäsig-flapsige Geschreibe 10 Euro auszugeben. Wer in Sachsen leben Menschen kennen lernen und verstehen will, soll hierher kommen und mit den Menschen sprechen. Bleibt die Frage: Wer hat das Buch eigentlich subventioniert, dass es zu einem so günstigen Preis auf den Markt kommen kann? Denn Hermenau wird nicht – wie durchaus üblich – ohne Honorar bleiben und einen Teil der Auflage selbst kaufen.
11 Antworten
Antje Hermenau erinnert mich an eine Reihe von Pfarrfrauen, die ich im Laufe der Jahre habe kennenlernen dürfen. Mitten im Leben stehend, standhaft, klug und ’nicht auf den Mund gefallen‘, das Ohr stets an der Gemeinde habend, tatkräftig und großherzig. Hätte eine dieser Pfarrfrauen ein Buch geschrieben, ich hätte es bestimmt gelesen. Nicht, weil ich ‚hohe Literatur“ erwartet hätte, sondern weil ich diese Frauen kannte und es mich interessiert hätte, was sie zu erzählen gehabt hätten.
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„Es lohnt sich einfach nicht, für dieses hochnäsig-flapsige Geschreibe 10 Euro auszugeben.“ [Chr. W., s. o.]
Als ich diesen Satz las, bin ich dann doch regelrecht zusammengezuckt und habe mich gefragt, wann ich das doch recht selten und stets abwertend gebrauchte Wort „Geschreibe“ zuletzt gelesen hatte.
Schließlich fand ich die Stelle:
„Ich hegte einen lang verhaltenen Groll gegen diese Judenwirthschaft, einen Groll, der meiner Natur so nothwendig ist, wie Galle dem Blute. Eine Veranlassung kam, in der mich ihr verfluchtes Geschreibe am Meisten ärgerte, und so platze ich denn endlich einmal los: es scheint schrecklich eingeschlagen zu haben, und das ist mir recht, denn einen solchen Schreck wollte ich ihnen eigentlich nur machen.“ Mit diesen Worten hatte Richard Wagner in einem Brief an Franz Liszt vom 18. April 1851 versucht, seinen verhängnisvollen Aufsatz „Das Judenthum in der Musik“ zu rechtfertigen.
Lieber Christian,
Du machst eine politische Gegnerin lächerlich, die die Stimmung im Land aufgreift, um sie in demokratische Bahnen zu lenken. Hilfreich ist das nicht. Wundert es Dich wirklich, dass dies hochmütig wirkt? Du bringst unnötig eine verkniffene Schärfe in eine notwendige Debatte, die Antje Hermenau mit ihrem augenzwinkernden Stil zu vermeiden sucht. Sie schaut »dem Volk aufs Maul«, Du moralisierst. Macht aber nichts. Wir haben so manches Buch im Programm, das Deinen Ansprüchen vielleicht eher entgegenkommt. Zum Beispiel das von Ulrich H. J. Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Er schreibt im Vorwort seines Buches »Für die Vernunft. Wider Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Kirche« (Leipzig 2017): »Immer schon waren die Sprache der Moral und die Emotionen, die sie zu wecken vermag, ein Mittel der Politik. Gegenwärtig greifen Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Gesellschaft jedoch in einem für die moderne Demokratie bedenklichen Ausmaß um sich. … Sich aus hochmoralischen Gründen empören oder entrüsten zu dürfen, verschafft ein gutes Gefühl, enthält doch der moralische Imperativ die frohe Botschaft: Wir sind die Guten! Wer dagegen wie Max Weber für die Unterscheidung – nicht Trennung! – von Politik und Moral plädiert und Politik als nüchternes Handwerk, als beharrliches Bohren dicker Bretter versteht, hat in der moralisch aufgeladenen Gegenwartsstimmung einen schweren Stand.« Das bekommt Antje Hermenau derzeit zu spüren.
Und demnächst erscheint in unserem Hause ein Debattenbuch von Michael Bröning und Michael Wolffsohn unter dem Titel »Stadt, Land, Volk. Ein Streitgespräch über die Zukunft der Demokratie«, hrsg. von Reinhard Bingener. Bröning, Leiter des Referats »Internationale Politikanalyse« der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und Autor des Buches »Lob der Nation«, hält die Idee einer Europäische Republik als ersten Schritt auf dem Weg zur globalen Demokratie für gefährlich. Er schreibt: »Das Projekt [gemeint ist das in einem meiner vorigen Blog-Beiträge schon zitierte »European Balcony Project«| ist gefährlich, weil jede Umfrage zeigt, dass eine Europäische Republik auf den Trümmern der Nationalstaaten genau das ist, was die meisten Menschen in Europa nicht wollen. Die Aktivisten des Balcony-Projects wären deshalb nur erfolgreich, wenn sie sich im nächsten Schritt daranmachten, das Volk aufzulösen und sich ein neues zu wählen, um mit Bert Brecht zu sprechen. Deshalb versinnbildlicht die Aktion für mich genau die Art von „Hurra-Europäismus“, die nicht Teil der Lösung ist, sondern Teil des Problems. Und es ist traurig, ja letztlich ironisch, dass Europa auf diesem Weg nicht nur von den Rechtspopulisten infrage gestellt wird, sondern unbeabsichtigt auch von Europafreunden, die in ihrer visionären Begeisterung nicht verstehen, dass man manchmal eher weniger Europa braucht, um die europäische Idee zu sichern. Noch utopischer ist dabei die Vision einer globalen Demokratie. Ja, demokratische Staaten weltweit wären ein Segen. Aber ein demokratischer Weltstaat? Ein solcher wäre nicht nur ein bürokratisches Monstrum, sondern würde Selbstbestimmung unmöglich machen. Wie sollen in einem Weltstaat politische Präferenzen abgebildet werden? Pluralismus und Diversität jedenfalls ließen sich in einem solchen Gebilde kaum sicherstellen. Und: Bilden wir die Weltregierung dann mit Putin, Trump, Erdogan, dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro und Kim Jong-un?«
Vielleicht möchtest Du Dich als nächstes daran abarbeiten. Ich jedenfalls beende hiermit die Diskussion um Hermenaus Sachsenbuch auf diesem Blog. Genug ist genug.
Liebe Annette, Danke für die beiden Kommentare. Ich will mich nicht wiederholen. Was von Hermenaus „freundlicher Einladung zum Mittun an Menschen aller Herkunft“ zu halten ist, überlasse ich jedem, der diese „Einladung“ liest. Lass mich nur noch zwei Bemerkungen machen:
1. Bei mir leuchten alle Alarmsignale auf, wenn jemand versucht, Moral oder moralische Kategorien aus dem streitigen Diskurs auszugrenzen. Ich frage mich dann immer: Welches Interesse verfolgt der/die, der/die das versucht? Ein Plakat auf einer der Demonstrationen in Chemnitz im September des vergangenen Jahres, von jungen Menschen gestaltet, hat mich wach gerüttelt und sehr zu denken gegeben: „Wir haben keine Flüchtlingskrise. Wir haben eine Humanitätskrise.“ Eine Humanitätskrise ist aber per se eine Krise der Moral. Aber welchen anderen Beitrag, als den zu einer ethisch begründeten Moral, haben wir als Christen und Kirche in den Diskurs einzubringen? Und das nicht, um alle darauf zu verpflichten, sondern um sich mit ethisch-moralischen Grundpositionen auseinanderzusetzen, ohne die das Politische verkommt.
2. Genauso alarmiert bin, wenn jemand kritische Positionen als Erteilung von „Sprechverboten“ deutet. Das ist ja in Mode gekommen, in dieser Weise kritischen Einwänden zu begegnen und sich damit in eine Opferrolle zu begeben. Wenn ich jemanden kritisiere, durchaus auch polemisch, dann erteilen weder ich noch andere „Sprechverbote“, sondern liefere einen Beitrag zur Diskussion. Mit käme es niemals in den Sinn, Dir oder Hermenau zu unterstellen, sie würden „Sprechverbote“ aussprachen. Der Weg vom „Sprechverbot“ zur „Man kann ja nicht mehr frei seine Meinung sagen“ zur „Lügenpresse“ zur „Die Demokratie ist auch nicht besser als die DDR“ ist leider nur ein sehr kurzer. Darüber denke bitte einmal nach. Es ist nämlich auffällig, wie oft die Kritik an einer geäußerten Position aufgefasst wird als „Verbot“, diese nicht mehr äußern zu dürfen – und das durch Leute, die über alle Möglichkeiten verfügen, ihre Meinung zu kommunizieren.
Beste Grüße Christian
Lieber Christian,
immer noch stellst Du die politische Gegnerin in moralistischer Diktion in die Ecke und versuchst Sie lächerlich zu machen, weil sie die im Land verbreitete Stimmung aufnimmt, anstatt Sprechverbote zu erteilen. Es geht Hermenau dabei gerade nicht um Anpassungszwang, sondern um die freundliche Einladung zum Mittun an Menschen aller Herkunft. Das ist eindeutig. Um dieses Zieles willen votiert sie aber für die Aufrechterhaltung der Nationalstaaten. Das ist eine entscheidende sachliche Differenz zwischen Euch. Die Vorstellung, dass deren Abschaffung zu mehr Frieden führen würde, ist unrealistisch. Sie würde eher zum Kampf aller gegen alle führen und den Sozialstaat ins Wanken bringen. Empfehlen kann ich dazu das Buch von Michael Bröning (Leiter des Referats „Internationale Politikanalyse“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin) „Lob der Nation“ oder auch den demnächst in unserem Hause erscheinenden Titel „Stadt, Land Volk. Ein Streitgespräch über die Zukunft der Demokratie“ von Michael Bröning und Michael Wolffsohn, hrsg. von Reinhard Bingener. Uns allen (diesen Autoren, Antje Hermenau, Dir und mir) geht es um die Stärkung der Demokratie, die Zurückdrängung der AfD und eine vernünftige Gestaltung der EU. Über den Weg dahin muss debattiert, aber nicht moralisiert werden. Zum privaten Gespräch stehe ich Dir gern zur Verfügung, unser Streitgespräch auf diesem Blog beende ich aber jetzt mit einem Zitat aus „Für die Vernunft. Wider Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Kirche“ (Leipzig 2017) von Ulrich H. J. Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien: „Immer schon waren die Sprache der Moral und die Emotionen, die sie zu wecken vermag, ein Mittel der Politik. Gegenwärtig greifen Moralisierung und Emotionalisierung in Politik und Gesellschaft jedoch in einem für die moderne Demokratie bedenklichen Ausmaß um sich. Der moralische Imperativ hat Hochkonjunktur. »Empört euch!«, »Entrüstet euch!«, »Entängstigt euch!« Solche Buchtitel finden reißenden Absatz. Es lebe der moralische Imperativ! Sich aus hochmoralischen Gründen empören oder entrüsten zu dürfen, verschafft ein gutes Gefühl, enthält doch der moralische Imperativ die frohe Botschaft: Wir sind die Guten! Wer dagegen wie Max Weber für die Unterscheidung – nicht Trennung! – von Politik und Moral plädiert und Politik als nüchternes Handwerk, als beharrliches Bohren dicker Bretter versteht, hat in der moralisch aufgeladenen Gegenwartsstimmung einen schweren Stand.“
Lieber Christian,
natürlich gehörst Du zu Sachsen. Du verzeichnest Hermenau völlig, Du schreibst keinen diskursiven Blog, sondern agierst in einem Agitprop-Block aus Vorurteilen heraus, ohne das Buch auch nur gelesen zu haben. Dir muss je nicht alles gefallen, aber Sachlichkeit in der Auseinandersetzung wäre wünschenswert. Zitat aus Hermenau S. 8: „Für unsere Region wollen wir beibehalten, was wir als gut und richtig ansehen, indem wir es an moderne Gegebenheiten anpassen und Arbeitsmigranten wie Flüchlingen als lebenswertes Modell präsentieren. Hinterwäldler sind wir deshalb nicht. Wir waren immer begierig, von fremden Ländern und den neuesten Moden zu hören. Da sind Sachsen neugierig. Und was zu uns passt, wird »eingesachst«. Man lernt ja nie aus. Das ist wahre Weltoffenheit. Viele von uns kennen inzwischen die halbe oder gar die ganze Welt. Ich selbst war mit einem US-Amerikaner verheiratet, habe eine chinesische Schwägerin, betrachte die Nachkommen eines syrischen Kurden als meine Familie,
und eine meiner besten Freundinnen stammt aus dem Jemen. Sie alle leben hier. Sie arbeiten hier. Sie zahlen hier ihre Steuern und gehören zu meiner Familie und meinem
Freundeskreis. Das ist nicht die Frage. Wer etwas anderes behauptet, will ablenken von den Problemen, die es wirklich gibt.“
So ist es. Und wenn das klar ist, dann können wir streiten. Demokratie lebt vom Kampf der Argumente, nicht vom Kampf ideologischer Urteile, die in der Regel Vorurteile sind.
Liebe Annette, nach der Lektüre der drei Vorabdrucke in der LVZ sehe ich mich in meiner Kritik bestätigt: Dieses Buch ist eigentlich nur peinlich, weil es – im Gegensatz zum Beispiel zum Buch von Petra Köpping – nicht versucht, zu verstehen, zu erklären und Perspektiven aufzuzeigen, sondern es einen Kalauer nach dem anderen liefert (was für manchen sicher einen Unterhaltungswert hat und ihn/sie auf die Schenkel klopfen lässt), aber dennoch in plumpen Vorurteilen verharrt. Es läuft immer nach dem gleichen Muster: links und rechts spiele keine Rolle mehr, aber dennoch ergeht sich Hermenau ständig im links/rechts Schema; der Rechtsradikalismus wird auf „Brüllaffen“ reduziert und damit folklorisiert (damit wird der Sachse nach Hermenau natürlich problemlos fertig, quasi Randproblem); Hermenau ist weltoffen und keineswegs ausländerfeindlich, aber alle gesellschaftspolitischen Probleme (Rente, Internet, Wohnungsbau) führt sie zurück auf die Migranten und Geflüchteten – und das in einer Sprache, die nur noch abwertend und ausgrenzend ist; die Bundesrepublik solle nach Hermenau als GmbH geführt werden und benötigt eigentlich nur ein paar vernünftige Geschäftsführer, die „in Berlin oder Brüssel keinen Hintern … abküssen müssen“. Kein Wunder, dass Hermenau nur die Handwerker, Unternehmer, Ärzte und Anwälte im Fokus hat. Und schließlich: am Besten um Sachsen einen Zaun ziehen, denn wir sind doch ein besonderes „Völkchen“: „Für unsere Region wollen wir (wer ist das eigentlich?) beibehalten, was wir (wer ist das?) als gut und richtig ansehen … Und was zu uns (wer ist das?) passt, wird ‚eingesachst‘.“ Das ist nichts anderes als eine arrogante, lokalpatriotische Ausgrenzungsrhetorik, die billigste Ressentiments bedient. Mit all dem stärkt Hermenau – und das weiß sie natürlich ganz genau – die Geisteshaltung der Rechtsnationalisten.
Geradezu putzig (um ein sächsisches Idiom zu benutzen) ist Deine Anmerkung, dass ich einen „Agitprop-Blog aus Vorurteilen“ geschrieben hätte, und Deine Mahnung zur „Sachlichkeit“. Darf ich fragen, was der Begriff „Sachlichkeit“ mit dem Buch von Hermenau zu tun hat? Sie behauptet zwar, dass die Sachsen höflich und zuvorkommend sind – aber das hindert sie nicht daran, in Stammtischmanier die Welt zu erklären und kräftig auszuteilen. Das kann sie machen und damit auch Bücherregale füllen – aber dass ein seriöser Verlag wie die EVA ein solches Buch publiziert und dass dieses Geschreibe ein Lektorat passiert, das sollte doch zu kritischen Nachfragen führen. Jedenfalls ist Hermenaus Kommentar auf Twitter zu meinem Blog-Beitrag sehr aufschlussreich: „Hochmut kommt vor dem Fall – das gilt auch für Pfarrer. Ich wünsche gute Einsichten in der Fastenzeit.“ Ein wahrhaft großartiger Beitrag zum „Kampf der Argumente“. Beste Grüße Christian
Es steht einem Fleischer frei, in einer Zeitschrift für Veganer Werbung zu schalten – so denn die Zeitschrift die Toleranz dafür zeigen will. Vollkommen schräg wird es dann aber, wenn der Fleischer seine Ware dann als vegan anpreist. Dies tut, wer den Familiennachzug auch für Menschen, die hier einen anerkannten Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. nach der Europäischen Menschenrechtskonvention haben, allein deshalb schon in Frage stellt, wenn der nachziehende Ehepartner „kein Steuerzahler“ ist. Gleiches tut, wer die Aufnahme von Geflüchteten pauschal mit Verweis darauf in Frage stellt, dass man mit den Kosten auch „leistungsstarkes Internet bis zu jeder Milchkanne“ hätte finanzieren können. Nun bleibt interessant zu beobachten, inwieweit die Zeitschrift für Veganer am Ende die Werbung des Fleischers gar auch noch als Werbung für vegane Produkte einordnet!?
Lieber Christian,
die Überschrift Deines Blocks wirkt ein wenig arrogant, was Du sicher nicht beabsichtigt hast, allerdings durchaus die gefühlte Situation trifft, gegen die Frau Hermenau anschreibt. Sie selbst sitzt nicht hinterm sächsischen »Gartenzaun«, sondern kennt die Welt, reist und arbeitet in ihr und beherrscht neben dem Sächsischen viele ihrer Sprachen. Davon abgesehen muss man den Menschen einer Region zubilligen, dass sie ihre Vorstellungen von der Entwicklung ihrer Heimat haben. Anders wäre Bürgerengagement nicht möglich. Mitreden darf dabei aber jeder – egal ob er überhaupt in Sachsen lebt oder wie lange schon. Darum steht auch am Schluss des Hermenauschen Vorwortes: »Ich schreibe dieses Büchlein nicht nur für Sachsen, sondern für Menschen überall in Deutschland: für die einen, die manches ähnlich sehen, und für die anderen, die nicht verstehen können oder wollen.« Du siehst, Deine Frage nach der »Religion der Sachsen« könnte als Invektive betrachtet werden. Machen wir aber nicht. Viele Sachsen sind schließlich ziemlich höflich. Dafür, dass das so bleibt, und weder der AfD-Ton noch ein linker Agit-Prop-Verschnitt den nötigen Diskus behindert, schreibt Hermenau ihr Buch.
Übrigens sagt sie gerade nicht, die Migration sei die »Mutter aller Probleme«, sie schreibt: »Migration ist nicht die Ursache aller Probleme, aber sie verschärft sie.“ Das ist ein wichtiger Unterschied – was Dir bei ruhigem Überlegen sicher aufgehen wird. Was die »offenen Grenzen« betrifft, ist Hermenau sehr klar. Sie will eine reformierte EU mit offener Wirtschaft. Aber sie will keine »Vereinigten Staaten von Europa« oder gar den Weltstaat, der die »Weltdiktatur« bedeutete. Freie Nationalstaaten, die politisch und wirtschaftlich zusammenarbeiten, sind die Devise. Nationalstaaten aber haben definierte Grenzen, die Recht setzen und Recht schützen. Das meint sie, wenn sie sagt, dass offene Grenzen den Sozialstaat zerstören würden. Der Gegner an dieser Stelle sind Linksliberale wie Robert Menasse und Ulrike Guerot, die kürzlich alle »die sich in diesem Augenblick in Europa befinden«, zu Bürgern der »europäischen Republik« erklärten. »Wir sind uns bewusst«, heißt es in dem von ihnen mitgetragenen »Manifest« vom 10. November 2018, »dass der Reichtum Europas auf Jahrhunderten der Ausbeutung anderer Kontinente und der Unterdrückung anderer Kulturen beruht. Wir teilen deshalb unseren Boden mit jenen, die wir von ihrem vertrieben haben. Europäer ist, wer es sein will. Die Europäische Republik ist der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Demokratie.« Das eben würde zur globalen Diktatur werden.
Zum Rest ließe sich vieles sagen, lohnt aber nicht, da jeder verständige und unvoreingenommene Leser verstehen kann, was sie schreibt. Nur eines noch: Laut IAB-Kurzbericht 25/201 sind etwa 254.000 oder knapp 29 Prozent der Personen aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Darauf hebst Du ab. Das widerspricht aber nicht den Hermenauschen Beobachtungen und den Berichten der von ihr zitierten Handwerker. Denn von diesen 29 % sind sehr viele, leider wird das nicht näher aufgeschlüsselt, kurzzeitig, befristet und in Niedriglohnberufen beschäftigt. Darunter ist auch so mancher, der die Lehre abgebrochen hat, um scheinbar leichter und schneller Geld zu verdienen. Spätestens wenn wir einen wirtschaftlichen Abschwung bekommen, wird ein großer Teil dieser Leute auf der Straße stehen. Letztlich geht es Hermenau aber gar nicht nur um die Menschen, die jetzt hier sind. Sie gehören dazu, ihnen muss geholfen werden, sofern sie sich helfen lassen. Hermenau aber geht es um die Zukunft. Und zur Zukunft gehört die Frage, wie viele der zig Millionen wartender Migrationswilliger Deutschland gegebenenfalls noch wird aufnehmen wollen und können, wenn nach Jahren der Integration bestenfalls ein Drittel überwiegend in Niedriglohnjobs arbeitet und spätestens im Rentenalter Anrecht auf Grundrente hat, usw., usf.
Lieber Christian, lass uns im Interesse Sachsens, Deutschlands und Europas eine faire Debatte führen, in der Argumente getauscht werden und nicht der scheinbare politische Gegner in die Ecke gestellt wird. Annette Weidhas, Programm- und Verlagsleiterin der Evangelischen Verlagsanstalt
O je, liebe Annette, der Lektorin Rechtfertigung in allen Ehren – aber was soll ein Gedankengang wie der: „Davon abgesehen muss man den Menschen einer Region zubilligen, dass sie ihre Vorstellungen von der Entwicklung ihrer Heimat haben. Anders wäre Bürgerengagement nicht möglich. Mitreden darf dabei aber jeder – egal ob er überhaupt in Sachsen lebt oder wie lange schon.“ Gehöre ich nun, 27 Jahre in Sachsen lebend, zu „den Menschen einer Region“? Das ist doch ziemlich absurd, in solchen Kategorien zu denken. Alle Menschen, die hier leben, prägen diese Region. Gott sei Dank kommen sie aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands, Europas, dieser Welt und gehen auch wieder woanders hin. Das macht ein Land lebendig, und das macht eine Kultur reich, und das stiftet auf Dauer Identität – eine Identität, die sich ständig erneuert. Die Ausführungen von Hermenau, aber auch Deine, sind sehr ausgrenzend und nach dem Motto gestrickt: Passt euch gefälligst an. Hast Du Dir einmal darüber Gedanken gemacht, dass eine der wesentlichen Ursachen von Kriegen der Nationalstaat und die Erweiterung bzw. Verteidigung seiner Grenzen ist? Und was Europa angeht: Europa ist Staatsziel, siehe Präambel des Grundgesetzes: „… von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen …“. Selbstverständlich sind für mich die vereinigten Staaten von Europa ein erstrebenswertes Ziel. – Dass es Hermenau um die Zukunft geht, kann ich aus ihren Äußerungen nicht erkennen. Allein ihr Gesellschaftsbild, in dem – nicht zufällig – viele Gruppen gar nicht im Blick sind, zeigt mir, dass auf dieser Sicht weder ein Segen liegt, noch dieser in die Zukunft weist. Dafür lese ich ganz viel davon, dass an allen Problemen die Migration schuld ist. In einer Zeit wie dieser, erwarte ich von Leuten wie Hermenau und auch von Dir, dass sie bei aller Unterschiedlichkeit politischer Ansichten das in den Mittelpunkt stellen, was unsere Demokratie ausmacht: der soziale und freiheitliche Rechtsstaat, die europäische Einigung und die diese bedingende Friedenspolitik, die kulturelle Vielfalt und die Grundwerte unserer Verfassung. Das müssen wir streitbar verteidigen, aber uns nicht in einer eher peinlichen sächsischen Heimatduselei ergehen. Beste Grüße Christian
Schon nach Ihrer Einführung bekam ich Interesse an dem Buch, lieber Herr Wolff. Das wuchs sprunghaft nach dem überzeugenden Kommentar von Frau Dr. Weidhas. Obwohl weder Sachse, noch in Sachsen lebend werde ich das Buch bestellen, um mein Bild dieses sympathischen neuen Bundesländer vor der wichtigen Europawahl abzurunden.
Da kann ich bei der Evangelischen Verlagsanstalt noch eine Werbeprämie beantragen …