Gerade ging in Karlsruhe die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zu Ende. Über 4.000 Vertreter*innen christlicher Kirchen aus 120 Ländern haben 10 Tage getagt. Unter dem Motto „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ haben sie über die Aufgaben und die Verantwortung von Christinnen und Christen sowie der Kirchen in einer von Krisen geschüttelten Welt diskutiert. Welches Zeugnis wird von den Kirchen erwartet? Dabei kamen die dramatischen Folgen des Klimawandels, der Nahost-Konflikt und die Grundrechte von indigenen Bevölkerungen ebenso zur Sprache wie der Ukraine-Krieg. Leider kam es in Karlsruhe zu keinem Dialog zwischen Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche und der orthodoxen Kirche in der Ukraine. Metropolit Job von Pisidien (Ökumenisches Patriarchat von Konstantinopel) legte das skandalöse Dilemma, durch die Rechtfertigung des Angriffskrieges Russlands durch den Moskauer Patriarchen Kyrill I provoziert, schonungslos offen: „Ein christliches Land greift mitten in Europa ein anderes christliches Land an, und Christen töten andere Christen. Ist das wirklich das christliche Zeugnis, das wir der säkularen Welt geben wollen?“ https://www.katholisch.de/artikel/40906-oerk-treffen-beendet-resolutionen-zu-nahost-ukraine-und-klimawandel
Ja, was sollen Menschen, die keinen Bezug zum christlichen Glauben haben, von den Kirchen denken, die noch nicht einmal in der Lage sind, für ihren Bereich Krieg als grundsätzlich gegen den Gottes Willen gerichtet und also als verwerflich zu betrachten? Wenn die weltweite Christenheit in der Friedensfrage nicht mehr unzweideutig den Grundwerten des Glaubens und der Botschaft Jesu folgen kann oder will – welche Daseinsberechtigung haben dann noch die Kirchen? Dabei können wir uns doch auf die grundsätzliche, unbedingte Gewaltlosigkeit Jesu berufen. Diese hat Jesus auch in der Machtauseinandersetzung mit der Staatsgewalt nicht aufgegeben. Der Religionsstifter des Christentums, Jesus Christus, ist eben nicht als Kriegsherr aufgetreten. Er ist am Kreuz gestorben. Dort, vom Kreuz herab, in absoluter Ohnmacht, hat er die Gemeinde gebildet (vgl. Die Bibel: Johannes 19). Das hat einen Gewaltmenschen wie den römischen Hauptmann, der an der Exekution Jesu beteiligt war, dazu veranlasst auszurufen: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ (Die Bibel: Matthäus 27,54) Wenn die christlichen Kirchen ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen, dann werden sie davon weltweit und in ökumenischer Eintracht Zeugnis ablegen müssen – zum Segen für die Menschheit …
… und in deutlicher Distanz zur neuen religiösen Rechten.* Diese folgt einem konservativ-völkisch bestimmtem Weltbild (Familie, Nation, Christentum) als Bollwerk gegen den Liberalismus, „Multikulturalismus“ und moralischen Verfall (Abtreibung und LGBTQ-Bewegung). Die religiöse Rechte hat kein Problem damit, Rassismus, Nationalismus, privaten Waffenbesitz, identitäre Ideologie, Krieg als kompatibel mit christlichen Werten anzusehen. Bezeichnenderweise werden die politischen Ideen der Religiösen Rechten nicht aus der Reflexion biblischer Grundüberzeugungen abgeleitet. Der christliche Glaube wird nur als ideologischer Überbau für eine extrem rechtskonservative, autokratische Politik ge- bzw. missbraucht. Dafür stehen Donald Trump, Jair Bolsonaro, Viktor Orbán, Steve Bannon, Alexander Dugin und ein Kyrill I. Leider ist es in Karlsruhe nicht zu einer erkennbaren kritischen Auseinandersetzung mit dieser religiösen Rechten gekommen, die inzwischen weltweit agiert.
Dafür hat sich die Vollversammlung des ÖRK am letzten Tagungstag Gott sei Dank zu einer grundsätzlichen Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine durchgerungen (https://www.oikoumene.org/de/node/73255) . Die Delegierten bekräftigten in Karlsruhe am Donnerstag nachdrücklich, dass Krieg mit dem Wesen Gottes unvereinbar ist. In einer Resolution riefen sie dazu auf, den „illegalen und ungerechtfertigten Krieg“ sofort zu beenden. Die russischen Truppen müssten sich zurückziehen. Der Weltkirchenrat beklagt das Leiden und Sterben sowie die Vertreibung der Zivilbevölkerung. Und er benennt die globalen Folgen der Konfrontation mit Russland, darunter beispielsweise die steigenden Lebensmittelpreise, die vor allem arme Gesellschaften hart treffen. In der Resolution werden die russischen Christen aufgefordert, dem Krieg laut und deutlich zu widersprechen.
Trotz der klaren Worte ist auffällig: Diese Resolution hat in der Öffentlichkeit kaum Resonanz gefunden. Das ist wenig verwunderlich: Denn wenn eine Resolution mit keiner Aktion, mit keinem sichtbaren Friedens- und Versöhnungszeichen verbunden ist, bleiben es Worte ohne Substanz. So bitter es ist: Die christlichen Kirchen haben es bis jetzt nicht vermocht, den biblischen Auftrag zum Frieden wenigstens zeichenhaft zu verdeutlichen. Es gab in Karlsruhe auch nicht den Hauch einer Friedensgeste zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und der orthodoxen Kirche in der Ukraine. Auch hat es bis jetzt keine nennenswerten Initiativen der Kirchen gegeben, dem Angriffskrieg Russlands entschlossen entgegenzutreten und gleichzeitig auf ein sofortiges Ende des Tötens und Zerstörens zu drängen. Weder haben sich Kirchenführer wie Papst Franziskus oder leitende Bischöf*innen aus der Ökumene nach Kiew noch nach Moskau auf den Weg gemacht. Solange dies so bleibt und solange die Kirchen ihr Reden und Handeln nicht an ihrem eigenen Glaubensgut ausrichten, werden sie sich weiter in der Spirale eines dramatischen Glaubwürdigkeitsverlustes verheddern und der „säkularen Welt“ wenig zu sagen haben. Es wird höchste Zeit, dass wir Christ*innen vor Ort und jenseits von politisch-militärischen Überlegungen bewusst wieder an das anknüpfen, was Ursprung unseres Glaubens ist: die Hoffnung und das Vertrauen auf den Gott, der dem Menschen mit Gnade, also Leben erhaltend und erneuernd, begegnet. Er beruft ihn zu einem Leben, das sich an den Zielen des Schalom orientiert: Keine Gewalt, Schwerter zu Pflugscharen, Option für die Schwachen (Witwen, Waisen, Fremde), Bewahrung der Schöpfung.
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* zu diesem Thema: Annika Brockschmidt, Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet, Hamburg 2022
7 Antworten
Hans, wir müssen den Frieden suchen. Ich vermisste das Kritische auch. Es ist in der Tat, dass wir aufgerufen sind, dem Frieden nachzujagen – unbedingt!
Karlsruhe war angesichts der aktuellen Kriegs Euphorie ein Erfolg.
Hier der Link: https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/st-wendel/sanktwendel/ministerpraesident-hans-haelt-neujahrspredigt-in-evangelischer-stadtkirche_aid-35426397
Und so wie es in den Kirchen kein Aufeinanderzugehen gibt, gibt es auch keine Friedensbotschaften in der Politik. Unsere Politiker sind nicht weniger friedenswllig als die Gegenseirte. Auch von Seiten des Westens wird gelogen, daß sich die Balken nur so biegen, ausgegrenzt, diffamiert, beschimpft und effektivste Waffen zu Hauf geliefert. Von einer Suche nach dem Gespräch kann gar keine Rede sein. Auch für den innenpolitischen Bereich hält der Mainstream Diffamierungen bereit, wie z.B. „Putinversteher“. Wir sind auch nicht friedensfähig; ich habe en Eindruck, daß unsere westliche Gesellschaft bei so vielen Problemen die moralische Phantasie ausgeht – für mich ist es schlicht verrückt, was z.Zt. auch bei uns im Westen abläuft. Unsere Regierung wird 100 Milliarden € Steuergelder für’s Töten ausgeben, unsere Wirtschaft wird vor die Hunde gehen, die Armen und selbst der Mittelstand gehen vor die Hunde und auch unser dringlichster Auftrag der Klimaschutz fällt hinten runter. Nicht nur, daß es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht voran geht, nein es werden Kohlekraftwerke wieder zurückgeholt und Atommeiler nicht abgeschaltet und für viele Milliarden dreckiges Öl aus Amerika gekauft, die dann von der Bevölkerung bezahlt werden. Unsere Politiker und große teile der Gesellschaft haben völlig den Bezug zur Wirklichkeit verloren und sind Traumtänzer, die dem Abgrund entgegen taumeln und alles mitreißen, anstatt sich zu fragen: „was würde mir Christus jetzt empfehlen ?“ Christus hat uns vorgelebt, wie man mit Existenzproblemen umgeht. Aber wahrscheinlich würde man ihn dann auch beschimpfen als Putinversteher. Aber geht es nicht auch zuletzt darum, auch seine Gegner zu verstehen und nicht auszugrenzen sondern eine gemeinsame Basis zu finden ?
Man sollte vielleicht stärker berücksichtigen, aus welcher Kultur die jeweiligen Kirchen kommen. Jesus nachfolgen müsse wir schon selber. Die Glaubwürdigkeit der „säkularen Welt“ ist im Woke-Kapitalismusb jedenfalls noch geringer.
Bezüglich Israel hat der Weltkirchenrat in seinem diesbezüglichen Statement erwähnt, dass einige Mitgliedskirchen den Begriff „Apartheid“ nach wie vor auf Israel beziehen.
Die scharfen Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, und der Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland, Petra Bosse-Huber, kann man hier nachlesen:
https://www.juedische-allgemeine.de/politik/uneinigkeit-bei-wort-apartheid/
Der künftige Generalsekretär des Weltkirchenrats, Jerry Pillay, ein Presbyterianer aus Südafrika, publizierte 2016 einen Aufsatz mit dem Titel „Apartheid in the Holy Land“.
„Der Nahostkonflikt bietet dem Theologieprofessor die Gelegenheit, dem allmählich verblassenden Apartheid-Diskurs und damit nicht zuletzt seiner eigenen akademischen Relevanz wieder auf die Sprünge zu helfen.“ schreibt die FAS vom 11. 9. 22
Lieber Christian,
Du benennst den wunden Punkt wunderbar – die Außenwirkung der Kirchen, wenn sie innerhalb an Zerrissenheit leiden. Ich war auch enttäuscht, wie wenig in Funk, Fernsehen und Presse (die mir zugänglich sind) von Karlsruhe berichtet haben. Sehr erleichtert war ich über die Resolution vom letzten Tag, ich hatte schon gebangt, ob überhaupt ein Wort zu: Kried darf nach Gottes Willen nicht sein, verfasst wird. Gott sei Dank, sind diese Worte gesagt und geschrieben worden. Und nun wird es darauf ankommen, dass sie auch bei uns in den Gemeinden ankommen, zu Herzen genommen und „tatkräftig“ werden. Ich werde mich in meiner Gemeinde dafür einsetzen, dass wir unser Friedensgebet, das wir seit Beginn des Krieges an jedem Samstag halten, weiter führen.
Wir dürfen am Friedensengagement nicht nachlassen und gut ist, wenn wir wieder neu die Worte Jesu bedenken.
Herzliche Grüße
Hans Scheffel