Nun hat auch Friedrich Schorlemmer im Streit darüber, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, seine Stimme erhoben. Unmissverständlich votiert er in der Süddeutschen Zeitung (SZ vom 25.10.14, Seite 5): Nein, die DDR war kein Unrechtsstaat, und begründet dies damit, dass die Menschen ihr Leben ganz gut in diesem System haben einrichten können. Schließlich gab es genug Lücken im Mauerstaat. Schorlemmer versteigt sich dann zu der These, dass man das Widerständige in der DDR sogar haben genießen können und er diesem System seinen aufrechten Gang verdanke. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen: Weil ich die Erziehung eines prügelnden, trinkenden Vaters überstanden habe und aus mir dennoch ein einigermaßen anständiger Mensch geworden ist, kann ich meinen Vater doch nicht einen notorischen Säufer und Gewalttäter nennen. Wer so wie Schorlemmer eine sachlich-politische Wertung – und um diese handelt es sich beim Begriff Unrechtsstaat – auf die moralische Ebene hebt, der entpolitisiert die Debatte und muss in der Konsequenz auch bestreiten, Nazi-Deutschland als Terrorstaat zu bezeichnen – denn schließlich gab es auch „Lücken“ in diesem Terrorregime und nicht jeder Deutscher war Terrorist. Offensichtlich merkt Schorlemmer gar nicht, wem er mit seiner Einlassung dient. Es sind all diejenigen, die nach wie vor eine positivistische Sicht auf das DDR-Unrecht haben – u.a. deswegen, weil sie in welcher Form auch immer darin verstrickt waren. Die Biografien und die Lebensleistung der Menschen, die im Unrechtsstaat DDR Haltung und Anstand bewiesen haben, werden aber nicht dadurch gerettet, dass irgendetwas an diesem Unrecht beschönigt wird. Vielmehr kann der Stolz der DDR-Bürger/innen in dem Maße wachsen, in dem die Realität des Unrechtes benannt wird. Denn schließlich waren es die Bürgerinnen und Bürger selbst, die dem Unrechtsstaat DDR den Garaus gemacht haben.
P.S.
Auch wenn ich gut nachvollziehen kann, dass es für viele kaum erträglich ist, Thüringen in Zukunft von einem Ministerpräsidenten regiert zu sehen, der der Nachfolgepartei der SED „DIE LINKE“ angehört, halte ich es für politisch opportun, dass die SPD dieses durchaus riskante Unternehmen angeht. Denn damit wird ja nicht nachträglich irgendetwas am Unrechtsstaat DDR gerechtfertigt. Vielmehr wird die Niederlage des SED-Staates besiegelt und seine Ideologie endgültig zu Grabe getragen. Die Frage ist nur, wer sich als besserer Totengräber erweist: die Linke oder die SPD. Je tiefer die SPD gräbt, desto besser.
2 Antworten
Lieber Herr Wolff,
zu Ihrem P.S., dem ich zustimme (dem Beitrag insgesamt sowieso), ein Kommentar:
Das Problem der SPD ist nicht, dass sie Steigbügelhalter für einen linken MinPräs wird. Das Problem der SPD ist, dass sie weder im Westen noch im Osten noch eine „Volkspartei“ ist. Es ist ja irreführend, heutzutage noch von einer „Grossen Koalition“ zu sprechen, wenn man CDU /SPD meint, denn in Wirklichkeit koaliert dann die – ebenfalls inzwischen geschwächte – CDU mit einer der vielen anderen Splitterparteien.
Die einst so stolze SPD – eine Partei, die gegen Bismarck die ersten wirklichen Sozialgesetze erkämpfte; die mit Friedrich Ebert im Chaos des Zusammenbruchs von 1918 Deutschland rettete und den Wiederaufbau einleitete; die mit Otto Wels als Einzige Widerstand gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz leistete; die mit Willy Brandt zur Aussöhnung mit dem Osten im Kalten Krieg den Grundstein legte; die mit Schmidt den Nato-Doppelbeschluss als Voraussetzung für das Ende des Kalten Krieges durchsetzte und die mit Schröder den Mut zu dringend notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Reformen hatte – diese stolze Partei degeneriert zur Bedeutungslosigkeit, weil sie heute ihren Wählern vor der Wahl nicht mehr sagt, wo es mit ihr hingehen soll; weil sie in einem Bundesland den Grünen, im anderen den Linken, im Bund and anderswo der CDU nachläuft und also kein eigenes Profil mehr zeigt. Ihre Führung sind honorige Leute, ohne Zweifel, aber sie inspirieren eben nicht mehr. Ein Linker als thüringischer MInPräs ist zwar schlimm, aber das traurige daran ist in Wirklichkeit der inhaltliche und – ja, man muss es sagen – auch taktische Verfall der SPD, die sich im Rennen um die (Beteiligung an der) Macht keine eigenen festen Standpunkte mehr zutraut. Deshalb ja auch das Kuriosum, dass sie angesichts von mehreren Millionen Wählern (in der Republik oder in einem Bundesland) die Verantwortung für das Endergebnis dann auf die Zustimmung einiger Tausender SPD-Mitglieder abwälzt.
Mit freundlichem Gruss!
Lieber Herr Wolff, sie kennen das System DDR nicht aus eigener Anschauung! Wenn man den Artikel von Schorlemmer in der SZ – und nicht nur Ihren Blog-Eintrag dazu – liest, muss man ihm zustimmen. – Die DDR wandelte sich von 1949 von totalitär (mit Exekutionen von Bürgern in Moskau, die 1952 nur Flugblätter zugunsten freier Wahlen verteilt hatten) bis 1989 zu einem autoritären Staat, der die Masse seiner Bürger (vor allem nach dem Mauerbau) zunehmends auch entpolitisierte (jede politische Propaganda stumpft nach einiger Zeit ihre Bürger ab, die später nur routiniert ihre Sprüche zum Lob der DDR und der SED heruntergerasselt haben). Die allerwenigsten waren doch damals Bürgerrechtler! Darunter faktisch niemand, der die DDR abschaffen wollte – NUR REFORMIEREN! Das wurde allerdings nach 1985 (Amtsantritt Gorbatschows) anders. Nicht die Solidarnosz in Polen – Gorbatschow hat in derr DDR die Diskursöffnung bewirkt, weil danach auch in der SED zunehmend mitdiskutiert und die geschlossene Parteilinie aufgebrochen wurde! Am Ende war es freilich zu spät. Das System war nicht zu reformieren. Und die Masse der DDR-Bürger wollten das auch nicht! – Die Ostdeutschen haben mit der Wiedervereinigung unglaublich (auch materiell – man sehe sich doch mal Bilder Leipzigs aus dem Jahr 1989 und von heute an) Glück gehabt! Aber Glück im privaten Bereich gab es auch in der DDR. Nicht alles ist hier immer auch politisch! Auch heute nicht. Gott sei dank!