Am 30. Mai wird in Leipzig der schändlichen Sprengung der Universitätskirche St. Pauli vor 46 Jahren gedacht. Doch wie präsent ist dieses Ereignis bei denen, die es vor allem angeht: die Universitätsangehörigen? Welcher Dozent oder Ordinarius wird in seiner Vorlesung oder im Seminar an die Zerstörung der Universitätskirche erinnern und wer wird sich dazu auch inhaltlich äußern? Wer wird zur Gedenkfeier einladen oder seine Lehrveranstaltung zugunsten dieser ausfallen lassen, damit dort außer dem Universitätschor auch andere Studierende anwesend sind und vielleicht sogar das Wort ergreifen? Leider ist davon auszugehen, dass wie in den vergangenen Jahren die Universitätsleitung die Erinnerung eher als lästige Pflicht und die meisten Studierenden und Professorinnen diese nicht als ihre Aufgabe ansehen – auch ein Ausdruck davon, dass Universitäten wie die in Leipzig zum mehr oder weniger Demokratie- und Politik freien Raum verkommen sind – mit nahezu feudalistischen Zügen, wenn man an das Ernennungsprozedere der Positionen und Gremien denkt und die weitgehende Abwesenheit einer Streitkultur erstaunt zur Kenntnis nimmt. Da kann es nicht mehr verwundern, dass die Universitätsleitung den Zeitpunkt der Gedenkstunde wieder auf 11.00 Uhr gelegt hat (und nicht zum Zeitpunkt der Sprengung 1968: 10.00 Uhr) – mit der ebenso lächerlichen wie entlarvenden Begründung: damals hätte es noch keine Sommerzeit gegeben. Auf die Idee muss man erst einmal kommen. Aber sie zeigt, dass die Rektorin der Universität genau in der Sackgasse gelandet ist, aus der sie eigentlich einen Weg hätte finden sollen. Inzwischen taktiert sie genauso geschichtsvergessen wie ihr Vorgänger. Sie hat alles getan, um die (verbindlich und schriftlich zugesagte) Aufstellung der Kanzel zum Zeitpunkt der Einweihung der neuen Universitätskirche zu verhindern. Daran ändern auch die neuesten Winkelzüge der sog. Kanzelkommission nichts. Sie hat den Kustos der Universität Leipzig schalten und walten lassen. Dieser tischt der Öffentlichkeit seit Jahren das Ammen- und Lügenmärchen auf von der angeblich klimatischen Notwendigkeit einer Trennwand aus Acryl, obwohl der Gesamtraum der neuen Universitätskirche allein im Blick auf die große Orgel im Langhaus ein einheitliches Klima benötigt. Und im Fundus der Kustodie zeigt er den Besucher/innen mit verächtlichem Unterton die „tausend Einzelstücke“ vom „Ding“, eben der Kanzel, die so gar nicht mehr existiere. Das vollkommen erhaltene Kanzelpodest samt Brüstung hat er vorsorglich in einen Nebenraum verfrachtet, um so suggerieren zu können: „das Ding“ sei gar nicht restaurierbar und könne nur mithilfe eines inneren Stahlgerüstes aufgestellt werden. Was ihm bei den stolz präsentierten Epitaphen kein Problem bereitet, wird in Sachen Kanzel als „Totschlagargument“ genutzt. Also meinen Rektorin und Kustos nun eine grandiose Lösung des Problems gefunden zu haben: Die Kanzel soll erst einmal ins Grassi-Museum verfrachtet werden. Warum nicht gleich auch den Universitätsgottesdienst dorthin museal entsorgen? Genug Altäre sind im Grassi-Museum vorhanden. So entledigt man sich universitär der Geschichte: ab ins Museum oder – wenn wir an das voraussichtliche Ende geisteswissenschaftlicher Fächer denken: ab in den Orkus der Nichtfinanzierbarkeit. Genau diese opportunistisch-ideologische Geisteshaltung führte auch zur Sprengung der Universitätskirche 1968 und ihrer Rechtfertigung durch die erdrückende Mehrheit der Universitätsangehörigen: Universitätskirche – brauchen wir nicht. Kritischen Diskurs zwischen Religion und Wissenschaft – brauchen wir nicht. Rückbindung an die Quellen der Zivilisation, eben re-ligio – brauchen wir nicht. Es kann einen nur schaudern angesichts dieser Geistlosigkeit in einer Institution, in der die Führungskräfte unserer Gesellschaft für die nächsten Jahrzehnte ausgebildet werden sollen.
Und was ist mit denen, die es eigentlich besser wissen müssten? Wo ist der deutliche, hör- und nachvollziehbare Einspruch der Theologischen Fakultät und der Universitätsprediger gegen das peinliche Hinhalten und Taktieren der Universitätsleitung? Wo bleibt die klärende Stimme des Oberbürgermeisters, der mit der neuen Universitätskirche einen zentralen Ort des geistigen und geistlichen Lebens gerade im Blick auf das Stadtjubiläum 2015 profilieren könnte? Wo bleibt der Vertragsentwurf über die Finanzierungszusage der Landeskirche für die Kanzelrestaurierung, gebunden an ihre Aufstellung im Langhaus der Universitätskirche? Bis jetzt weitgehendes Schweigen und Leisetreterei von denen, die es seit Jahren in der Hand haben, Entscheidungen zu befördern. Da wird am kommenden Freitag zwar wieder wortreich und vollmundig die Sprengung der Universitätskirche vor 46 Jahren als Verbrechen der SED-Diktatur gebrandmarkt, aber auf ein deutliches Wort zur neuen Universitätskirche werden wir wohl vergeblich warten – wie auch, wenn der ehemalige Dekan der Theologischen Fakultät und Kirchengeschichtler Klaus Fitschen seit Neuestem vom „Baukörper“ statt von der neuen Universitätskirche spricht.
Wenn es stimmt, dass sich in der Universitätskirche Leipzig seit ihrer Weihe 1545 die wechselvolle Geschichte der Universität widerspiegelt, dann geht es bei der Gestalt und dem Innenleben der neuen Universitätskirche um eine inhaltliche Weichenstellung: Versteht sich die Universität als eine Lehr und Forschungseinrichtung in einem freiheitlichen und demokratischen Staatswesen und stellt sie sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung, oder passt sie sich wieder einmal den jeweils herrschenden Verhältnissen mehr oder weniger willenlos an und schüttet so ganz nebenbei ihre Quellen zu. Die neue Universitätskirche wird nur dann ihrer Funktion gerecht, wenn sie sich zum Ort des freien Wortes, der herausragenden Musik, der akademischen Debatte und auch der Auseinandersetzung zwischen Religion und Wissenschaft entwickelt – mit der historischen Kanzel, mit gottesdienstlicher Nutzung, mit der Universitätsmusik, mit kritisch-wissenschaftlichem Diskurs in einem multikulturellen und multireligiösen Umfeld. Noch ist es Zeit, die Weichen in die richtige Richtung (um)zustellen.
7 Antworten
Dröhnendes Schweigen, Aussitzen, Abwiegeln, Verharmlosen – sich der Kritik nicht stellen: Dieser fortwirkende Angriff auf die Vernunft, welche eigentlich in einer Universität beheimatet sein könnte, untergräbt die Gesellschaft. Hannah Arendt schrieb: Für eine vernünftige Meinungsbildung bedarf es des Meinungsaustausches; um sich eine Meinung zu bilden, muss man dabei sein.“ (Vgl.: Alois Prinz 2013, S. 262)
Möge die Übung gelingen!
Dr. Heinz Kapp, Singen am Hohentwiel
Naja, vielleicht findet Frau Schücking mal zwei Minuten Zeit den Artikel zu lesen.
Ihr Zagen war auch auf der eben beendeten Gedenkveranstaltung deutlich zu vernehmen.
Ein bissel Haltung darf schon erkennbar sein.
Das von Kirche und Fakultät niemand Einspruch erhebe, stimmt nicht.
Der Bischof hat sich deutlich für die Aufstellung der Kanzel im Kirchenraum ausgesprochen (http://www.evlks.de/aktuelles/nachrichten/23616.html) und die Universitätsprediger der theologischen Fakultät haben ebenfalls ein deutliches Statement abgegeben (http://www.evlks.de/doc/22_3_2014_Erklaerung_Kanzel_Lpz.pdf).
In dem man der Paulinerkirche die sakrale Bestimmtheit in Abrede stellt, stellt man sich mit in die Reihen der Bilderstürmer und der kommunistischen Diktatoren, die unheilbare Felder der Verwüstung in unserer Kultur und unseren Seelen hinterlassen haben. Es sollte uns heilige Freude sein, alles, aus der alten Paulinerkirche errette, in die neu entstandene zurück zu bringen, und somit das in unseren Seelen zerrissene Band zwischen 1968 und 2015 wieder zusammen zu fügen. Eine Leipzigerin
Ich höre dann auf , wenn eine der Universität angemessene Debatte um die wesentlichen Fragen beginnt und ernsthaft geführt wird. Das Dilemma: diese Debatte wird seit Jahren angemahnt – bis jetzt leider vergeblich.
Christian Wolff
Ich hätte gerne eine ausführliche, ernst zunehmende Entgegnung von Herrn Löbler gelesen. Was ist unhaltbar?
Wann hören Sie endlich auf mit Ihren unhaltbaren und unerträglichen Unterstellungen gegenüber anderen?