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Offener Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Glaubwürdigkeit wahren!

Die Öffentlichkeit scheint es wenig zu interessieren, und die schwarz-rote Bundesregierung will es beim Wortbruch belassen. Die nach Pakistan geflüchteten ehemaligen afghanischen Ortkräfte  und Menschenrechtsaktivist:innen dürfen das nicht, was ihnen versprochen wurde: nach Deutschland ausreisen. Bisher prallen alle Proteste an der Kältemauer der Bundesregierung ab. Darum habe ich am 3. Advent, 14. Dezember 2025, den folgenden Offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerichtet.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

es ist nicht das Aufreger-Thema – aber an der Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland mit den Menschen umgeht, die einstmals in Afghanistan in ihrem Dienst standen sowie vor Ort für Menschenrechte eingetreten sind und deren Leben nunmehr mehr als bedroht ist, entscheidet sich die Glaubwürdigkeit unseres Landes und seiner Repräsentant:innen. Derzeit warten 1.800 ehemalige sogenannte Ortskräfte und Menschenrechtsaktivist:innen, die während des Afghanistan-Krieges Aufgaben für die Bundeswehr und andere deutsche Institutionen und Organisationen übernommen, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten das Leben deutscher Staatsbürger:innen geschützt haben und in ihrem Land für die Menschenrechte eingetreten sind, auf ihre Ausreise nach Deutschland. Sie haben die Grundwerte unserer Verfassung in einem schwierigen politischen Umfeld gelebt. Nach dem Rückzug der westlichen Truppen und der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 wurde ihnen von der deutschen Bundesregierung die Ausreise nach und die Aufnahme in Deutschland zugesichert. Heute will die jetzt amtierende Bundesregierung davon nichts mehr wissen. Jetzt wurden sie aufgefordert, die ihnen in Pakistan zugewiesenen Unterkunftsmöglichkeiten in Hotels und anderen Einrichtungen bis zum Ende des Jahres zu verlassen. Gleichzeitig wurde ihnen mitgeteilt, dass es keine Grundlage mehr geben würde für ihre Aufnahme in Deutschland. Diesen Menschen droht nun die Ausweisung bzw. Abschiebung aus Pakistan zurück nach Afghanistan. Dort sind sie dann hilf- und meistens mittellos der Willkür der terroristischen Taliban-Herrschaft ausgeliefert.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, das Handeln der derzeitigen Bundesregierung stellt nicht nur einen eklatanten Wortbruch dar. Es widerspricht auch allen Wertvorstellungen, auf denen die Erziehung unserer Kinder und unser gesellschaftliches Zusammenleben basieren. Auch wenn derzeit über diese skandalösen Vorgänge nur eine sehr verhaltene öffentliche Debatte geführt wird – sie sind in ihrer langfristigen zerstörerischen Wirkung nicht zu unterschätzen. Im Positiven wie im Negativen entwickelt sich die Grundhaltung von einzelnen Menschen wie einer Gesellschaft ausgehend von kaum wahrnehmbaren Ereignissen im Hinterhof unserer Wirklichkeit. Das war vor 2000 Jahren in Krippe und Stall bei Bethlehem so. Da begann mit der Geburt Jesu eine neue Geschichte der Grundwerte des Lebens. Sie fand im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, mit dem Jesus an das Doppelgebot der Liebe wie an die Verantwortung für den bedrohten Nächsten appellierte, ihren tiefgreifenden und zuversichtlichen Ausdruck. In leider negativer Weise trägt der schändliche Umgang der Bundesregierung mit 1.800 Ortskräften und Menschenrechtsaktivist:innen in Pakistan zum Zerbröseln menschlicher Grundwerte bei, ohne die gemeinschaftliches Leben nicht gelingen kann. Dieses wird derzeit von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dennoch sind die langfristigen Folgen eines solchen Handelns verheerend. Denn hier wird alles einer zweifelhaften politischen Opportunität geopfert, was uns eigentlich heilig sein müsste: Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Barmherzigkeit.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, ich weiß sehr wohl, dass Ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf das politische Tagesgeschäft einer Bundesregierung aus gutem Grund beschränkt sind. In diesem Fall halte ich aber eine deutliche Intervention für angebracht. Denn mit der ausbleibenden Aufnahme der 1.800 Afghanen und Afghaninnen wird nicht nur der internationale Ruf der Bundesrepublik Deutschland beschädigt. Es werden auch die Grundwerte verletzt, auf denen unser gesellschaftliches Zusammenleben basiert und die immer mehr durch Autokraten weltweit unter Beschuss geraten. Wie aber wollen wir unsere freiheitliche Demokratie schützen und wie sollen sich Widerstandskräfte gegen autoritäre und das Recht und die Unveräußerlichkeit der Menschenwürde verleugnende Bestrebungen bei jungen Menschen ausbilden, wenn all dies bei den politischen Verantwortungsträger:innen im Fall der 1.800 Menschen keine Rolle zu spielen scheint? Darum möchte ich Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr herzlich und dringend bitten, das bevorstehende Weihnachtsfest zu nutzen, um die Bundesregierung zu einer deutlichen Korrektur ihrer Entscheidung zu bewegen. Rufen wenigstens Sie den 1.800 Afghaninnen und Afghanen ein „Willkommen in Deutschland“ zu und rufen Sie in gleicher Freundlichkeit und Zuversicht die Bundesregierung auf, dieses Willkommen zeitnah umzusetzen. Ich bin sicher: Dieser Ruf wird weite Kreise ziehen – und zwar im Positiven.

Mit den besten Wünschen für ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest
und herzlichen Grüßen
Ihr Christian Wolff

Diesen Offenen Brief kann man unterstützen durch eine entsprechende Mail an:

bundespraesidialamt@bpra.bund.de

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Während ich gestern den Offenen Brief geschrieben habe, erreichte mich die schreckliche Nachricht vom antisemitischen Terrorangriff auf eine Feier einer jüdischen Gemeinde an der Bondi Beach in Sydney/Australien. Das Verbrechen ist in seinem Ausmaß horrend. Nichts darf daran in irgendeiner Weise relativiert werden. Darum ist es wichtiger denn je, vor Ort jeder Form von Antisemitismus entgegen- und für jüdisches Leben einzutreten. Eine konkrete Möglichkeit in Leipzig ist, am Anzünden des 3. Lichtes am Chanukka-Leuchter am Gedenkstätte für die zerstörte Große Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße teilzunehmen. Da kann Solidarität mit der Israelitischen Religionsgemeinde und allen in Leipzig lebenden Jüdinnen und Juden gezeigt werden:
Wann:    Dienstag, 16. Dezember 2025  um 16.00 Uhr
Wo:        Gedenkstätte Gottschedstraße, 04109 Leipzig

12 Antworten

  1. Lieber Herr Wolff,
    Vielen Dank für Ihren Brief an den Bundespräsidenten, in dem Sie so klar benennen, wofür ich mich im Blick auf das Handeln der Bundesregierung einfach nur schäme. Danke, dass Sie auch die Konsequenzen so deutlich aufzeigen. Man kann nur hoffen, dass ihre Worte auf fruchtbaren Boden fallen und der Bundespräsident seine Möglichkeiten etwas zu verändern-falls er sie überhaupt hat – nützt. Ich möchte Ihren Brief unterstützen.
    Mit freundlichen Grüßen Christiane Weis-Fersterra

  2. Lieber Christian,
    DANKE!
    Nicht nur für den offenen Brief, sondern auch für die Mailadresse, um sich mit Deinem Brief solidarisch zu erklären.
    Gerade jetzt,  wo ein Cellist und Putin-Scherge mit Hackenschlag und Hitler-Gruß den Ruf der Stadt beschädigt, ist Dein Engagement (und Dein Blog) so wichtig!
    (I have a dream:) Auch Boris Pistorius erklärt seine Scham über den Verrat an mutigen Afghan:erinnen….

  3. Lieber Pfarrer Wolff!

    „ (…) hier wird alles einer zweifelhaften politischen Opportunität geopfert, was uns eigentlich heilig sein müsste: Glaubwürdigkeit, Menschlichkeit, Barmherzigkeit.“ Ja, das trifft es leider voll und ganz auf den Kopf.

    Ich bin seit Tag 1 der schwarz-roten Koalition durch und durch erschüttert, mit welch übler Skrupellosigkeit man gerade an dieser einen Stelle ans Werk gegangen ist.

    Vor allem anderen bin ich fassungslos, wie die SPD den Koalitionsvertrag unterschreiben konnte mit diesem von der CDU/CSU hineinverhandelten Passus auf Seite 67: „Wir werden freiwillige Bundesaufnahmeprogramme soweit wie möglich beenden (zum Beispiel Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen“.

    Wäre die Koalition gescheitert, wenn man
    seitens der SPD sinngemäß auf folgenden Zusatz bestanden hätte: „Bestehende Aufnahmezusagen finden dessen ungeachtet nach abgeschlossener Sicherheitsüberprüfung bei der Visumsvergabe Berücksichtigung.“? Wohl kaum!

    Richtig ist: Die SPD wollte mit Blick auf Umfragetrends gar nichts anderes bei den Aufnahmeprogrammen als der Koalitionspartner – weder bei Anfertigung des Koalitionsvertrages noch bei späteren parlamentarischen Initiativen der Grünen im Bundestag. Und ein Bundespräsident Steinmeier wird sich hier – so sehr ich den Inhalt Ihres Briefes zu 1000% gutheiße – selbstverständlich nicht gegen die Koalition unter SPD-Beteiligung positionieren. Diese überparteiliche Größe und klare Kante ist von Herrn Steinmeier leider nicht zu erwarten.

    Wer braucht eine SPD, die an so entscheidender (und nicht einziger) Stelle zu einer Umfaller-Partei geworden ist? Respekt zolle ich den GRÜNEN, der einzigen Partei im derzeitigen Bundestag, für die Menschenrechte ein unveräußerliches Gut war und geblieben ist.

    Mit desillusionierten Grüßen,
    Ihr Jost Brüggenwirth

  4. Bravo zum Offenen Brief. Schäbigkeit und mieses Beispiel Deutschlands können gar nicht laut genug angeprangert werden. Außer der zerstörerischen Wirkung auf den Einzelnen und die Gesellschaft ist die gefährliche Dummheit der Dobrindts im Blick auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beklagen. Einmal Kameradenschwein, brauchen Deutsche in feindlicher Umgebung auf Hilfe nicht mehr hoffen.

    Und, richtig, nichts ist am antisemitischen Terrorangriff zu relativieren. Er darf aber auch nicht instrumentalisiert werden, wie Netanjahu und sein Außenminister es gleich wieder getan haben, als ob die Anerkennung des palästinensischen Staates es ist, die Terror und Judenhass befördere. Das Gegenteil trifft zu: Nichts ist gefährlicher für Juden in aller Welt als die fortgesetzte Unterdrückung durch das israelische Unrechtsregime. Aussichtslosigkeit radikalisiert bekanntlich am allerbesten.

    Ja zur Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern. Bitte aber auch demonstrative Solidarität mit den muslimischen, deren Glaubensbrüder und -schwestern einschließlich etlicher Christenmenschen in Gaza, im Westjordanland und im Libanon von israelischer Hand immer weiter getötet und verstümmelt werden.

  5. Lieber Christian,wir möchten den Offenen Brief unterschreiben,auch in der Hoffnung,dass sich noch viele anschließen.Traudl und Jürgen Weise

  6. Ich höre sie schon feixen, die Feinde der Demokratie, der Menschenwürde, der Rechtstaatlichkeit und der Werte, die in der Europäischen Union und in Deutschland festgeschrieben sind. Noch.

  7. „Die nach Pakistan geflüchteten ehemaligen afghanischen Ortkräfte und Menschenrechtsaktivist:innen dürfen das nicht, was ihnen versprochen wurde: nach Deutschland ausreisen.“
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    „Ein konkreter Grund für den Widerruf wird in dieser Nachricht nicht genannt. Die Sprecherin des Innenministeriums in Berlin, Sonja Kock, bestätigte, dass sich damit nur noch 90 der verbliebenen 220 Ortskräfte auf eine Aufnahmezusage berufen können.

    Bundesinnenminister Dobrindt: “ Ich habe dazu einen Bericht gelesen, den ich nicht hundertprozentig einordnen kann, aber mein Haus gebeten habe, mir eine Einordnung heute zur Verfügung zu stellen. … Es hat keine Änderung meiner Entscheidung gegeben, die ich seit längerem immer wieder deutlich gemacht habe. Da, wo wir rechtsverbindliche Aufnahmezusagen haben, werden wir die auch erfüllen. Bei sogenannten Ortskräften da sehen wir uns in einer fortlaufenden Verantwortung.“ Voraussetzung für eine Aufnahme sei aber eine bestandene Sicherheitsüberprüfung.

    Sonja Kock, Sprecherin des Innenministeriums, sagte in Berlin, die Menschen würden zumindest nicht sofort obdachlos. Sie könnten in den angemieteten Gästehäusern in Pakistan bleiben, solange die Landgrenze zwischen Afghanistan und Pakistan geschlossen bleibe. Die Bundesregierung bietet auch an, Flüge in die afghanische Hauptstadt Kabul zu buchen. Doch was würde, die Menschen, die ja nicht ohne Grund vor den Taliban geflohen sind, dort erwarten?“

    © Deutsche Welle 10.12. 2025 https://ogy.de/eypz

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