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Nur „dumm gelaufen“ oder Zeit, die Geheimdienste aufzulösen? Zur Spionageaffäre um den NSA

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat – wie gestern auf „Phoenix“ zu hören war – im Zusammenhang mit der NSA-Abhöraffäre, in die auch der BND verstrickt ist, von „drittklassigen Leutengesprochen, die von den Amerikanern als Spitzel angeworben seien. Das sei „so was von blöd, und über so viel Dummheit kann man auch nur weinen“. Diese Äußerung ist in zweifacher Hinsicht entlarvend. Erstens drückt Schäuble aus, was Spitzenpolitiker (durchaus zu Recht) von Geheimdienstmitarbeiter/innen halten: im Zweifelsfall nichts. Zweitens wird der Konflikt auf die Ebene einer zu vernachlässigen Bagatelle geschoben, über die man sich eigentlich nicht aufzuregen braucht. Spitzelwesen als Ausdruck von Dummheit. Blöd also, wenn man sich erwischen lässt.

Diese Äußerung zeigt das Ausmaß des Skandals. Sobald das verheerende, den Rechtsstaat und die Demokratie unterhöhlende Wirken von Geheimdiensten ans Tageslicht kommt, wird die verniedlichende Parole ausgegeben: dumm gelaufen. Im Zweifelsfall – wie beim NSU-Skandal – werden Akten vernichtet. Doch die einzig richtige und vernünftige Maßnahme – grundsätzlich alle Geheimdienste aufzulösen und nur noch Abwehrmaßnahmen zuzulassen, die der rechtsstaatlichen Demokratie entsprechen – wird noch nicht einmal ernsthaft diskutiert. Dabei ist doch eines klar: Geheimdienste sind weder erst- noch drittklassig. Geheimdienste sind Organisationen, die all das praktizieren dürfen, was den Grundsätzen des Rechtes und der Demokratie widerspricht und was keinem Bürger, keiner Bürgerin erlaubt ist: Verletzung der Privatsphäre, Lüge, Betrug und Intrige. Geheimdienste sind keine Medizin sondern ein Krankheitsvirus für unsere Gesellschaft. Geheimdienste wirken nicht staatserhaltend sondern diesen und die Grundwerte zerstörend. Vor allem zersetzen sie das, worauf kein Gemeinwesen verzichten kann: Vertrauen. Alle Untersuchungen, wenn sie denn angestellt werden, zeigen auf, dass Geheimdienste faktisch nichts an Prävention zur Verteidigung des Rechtes und der Demokratie leisten, von Friedenssicherung ganz zu schweigen. Damit diese ernüchternde Bilanz übertüncht wird, geraten regelmäßig Meldungen an die Öffentlichkeit, die vor einer erhöhten Terrortätigkeit irgendeiner gewaltbereiten Gruppe warnen. Und dann heißt es in den Nachrichten, dass dies aus Verlautbarungen der Geheimdienste hervorgeht. Um solchen künstlich erzeugten Gerüchten Nachdruck und Glaubwürdigkeit zu verleihen, tritt meist noch ein Innenminister ans Mikrophon, von sog. „Terrorismusexperten“ in den Medien eskortiert, und bekräftigt mit bedeutungsvoller Mine diese Warnung. Nach ein paar Tagen verlaufen sich die aufgeregten Meldungen im Sande der Informationsflut. Niemand fragt, aufgrund welcher Fakten denn eine Terrorwarnung herausgegeben wurde. Was aber viel gravierender ist: Geheimdienste erzeugen gerade die Konflikte, die man braucht, um rechtsstaatliche Regeln aus den Angeln zu heben oder um die maßlose Online-Überwachung des Bürgers und der Bürgerin gesetzlich zu ermöglichen. Erinnern wir uns: Es waren sog. Geheimdienstberichte, die 2003 für die Kriegslüge herhalten mussten, damit die Vereinigten Staaten und ihre „Allianz der Willigen“ den Waffengang im Irak beginnen konnten. Heute reden Politiker über diese verbrecherische Lüge mit dem Unterton „dumm gelaufen“. Niemand aber hat bis heute für die politische Katastrophe die Verantwortung übernommen.

Um allen Missverständnissen vorzubeugen. Ich leugne keinen Moment, dass von Rechtradikalen, von religiös und politisch fundamentalistischen Gruppen große Gefahren ausgehen. Terror und Gewalt müssen Einhalt geboten werden. Doch die Mittel, die Geheimdienste anwenden, sind dazu weder tauglich noch entsprechen sie den Zielen, denen sie dienen sollen: den Frieden und die rechtsstaatliche Demokratie zu sichern. Das wird allein daran deutlich, dass hiesige Geheimdienste keine Probleme in der Zusammenarbeit mit Geheimdiensten sehen, die in ihren diktatorisch regierten Heimatländern selbst als Terrororganisationen auftreten. Die Aufregung der Parteien in unserem Land über die Spionagetätigkeit des NSA bleibt solange unglaubwürdig, solange die Politik weiter auf Geheimdienstaktivitäten setzt. Erst wenn sich die Parteien ehrlich dazu bekennen, dass Geheimdienste in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas zur Aufklärung und Sicherheit, aber ganz viel zur Unterhöhlung des Rechtsstaates beigetragen haben, erst wenn der NSU-Skandal in all seinen schrecklichen Einzelheiten aufgeklärt ist und man sich dann endlich dazu entschließt, den Verfassungsschutz und den BND aufzulösen, um der Polizei eine rechtsstaatskonforme Ermittlungstätigkeit zu ermöglichen, wird Kritik an den Schnüffeleien von NSA glaubwürdig. Wer Verlogenheit per Geheimdiensttätigkeit sanktioniert, darf sich nicht wundern, dass er Opfer dieser Verlogenheit wird. Doch auch als Opfer bleibt er Teil eines verlogenen Schnüffelsystems, das es aufzulösen gilt. Wie sonst wollen wir in Erziehung und Bildung die Werte glaubwürdig vertreten und vermitteln, ohne die ein Gemeinwesen sich weder rechtsstaatlich noch demokratisch entwickeln kann: friedliches Zusammenleben der Verschiedenen, offener Meinungsstreit, Anstand und Wahrhaftigkeit – und Vertrauen?

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