Gestern war in allen evangelischen Kirchen als Evangelium für den 21. Sonntag nach Trinitatis (hoffentlich) zu hören: der Abschnitt aus der Bergpredigt Jesu, in dem der berühmte Satz fällt „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Später ruft Jesus seine Zuhörer/innen auf: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen …“ Er begründet das damit, dass Gott „seine Sonne aufgehen (lässt) über Böse und Gute und … regnen (lässt) über Gerechte und Ungerechte.“ (Matthäus 5,38ff). Zu Beginn vieler Gottesdienste wird hoffentlich auch der Leitspruch für diese Woche verlesen worden sein, ein Wort des Apostel Paulus: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12,21) Beide Bibelstellen sind für die christliche Friedensethik konstitutiv. Mehr noch: Es sind die Abschnitte, die den Vorrang für Gewaltlosigkeit, den Pazifismus, als vernünftige und politisch sinnvolle Handlungsmaxime begründen. Gleichzeitig sind es diese biblischen Gedanken, die den heftigen Widerspruch derer hervorrufen, die ihr Heil in Gewalt, Terror, Krieg suchen und darum die Waffenproduktion und den weltweiten Handel mit Rüstungsgütern fördern.
Am gestrigen Sonntag ließ dieser Widerspruch nicht lange auf sich warten und er entfachte sich auf besonders grausame Weise: Ein 26-jähriger Mann inszenierte unter den Besucher/innen eines Gottesdienstes in der baptistischen Kirche des kleinen texanischen Ortes Sutherland Springs ein fürchterliches Massaker. 26 Menschen fielen diesem zum Opfer, über 20 Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Hinter diesem Widerspruch steht aber ein noch viel größerer: der freie Waffenhandel und -besitz in den Vereinigten Staaten. Er ist die Hauptursache für Tod bringende Amokläufe und tödliche Angriffe auf Menschen, die zumeist in keiner Beziehung zum Täter stehen. Auch der Täter von Sutherland Springs besaß ein großes Waffenarsenal. Dieses erlaubte ihm, seiner unbändigen Wut und Aggression freien Lauf zu lassen. Es ist ziemlich klar: Der Grund für das Massaker ist nicht die Unbeherrschtheit und krankhafte Persönlichkeitsstruktur des Täters. Die Ursache für das Verbrechen sind die Waffen, die solchen Menschen frei zur Verfügung stehen. Sie verleihen Tätern die Möglichkeit, ihre Vernichtungsabsichten in die Tat umzusetzen. Auch in Deutschland, auch in Leipzig leben Menschen, die nicht Herr über ihre Aggressionen, ihre Gewaltphantasien sind. Aber sie haben Gott sei Dank keine Waffen zur Verfügung, mit denen sie ihren krankhaften Zerstörungswillen zur schrecklichen Tat werden lassen. Die Zahlen in den USA sprechen eine deutliche Sprache: Dort liegt die Anzahl von durch Schusswaffen getöteter Menschen pro 1 Millionen Einwohner/innen mit 30 um 15 Mal höher als in Deutschland. Auch andere Statistiken unterstreichen: der freie, unkontrollierte Waffenbesitz ist die Hauptursache dafür, dass in den USA jedes Jahr bis zu 15.000 Menschen erschossen werden.
Präsident Donald Trump hat sich auf seiner Japan-Reise zu dem Massaker geäußert – zunächst scheinheilig-überrascht: „Wer hätte jemals gedacht, dass so etwas passieren kann.“ Das sagt Trump, wohl wissend, dass es nicht das erste Massaker in diesem Jahr und in einer Kirche war. Im Blick auf den Täter stellt er fest: „Das war ein sehr gestörtes Individuum“. Auf die Frage, ob nun eine Änderung des Waffenrechts anstehe, sagte Trump: „Wir haben viele Probleme mit Geisteskranken in unserem Land, wie auch in anderen Ländern aber mit der Schusswaffenfrage hat das nichts zu tun“. Eines ist richtig: Die Vereinigten Staaten haben viele Probleme mit „Geisteskranken“ – und leider mehr als andere Länder. Denn Amerika leidet unter dem krankhaften Geist des freien Waffenhandels. Das gefährlichste Virus für diese Krankheit sitzt im Weißen Haus. Schließlich tragen neben den jeweiligen Tätern Trump und alle, die der Waffenlobby erlegen sind, auch die, die meinen, gegen die Waffenlobby komme niemand an, die Hauptverantwortung für Verbrechen wie das von Las Vegas oder Sutherland Springs. Sie alle sind Zeugen eines kranken Amerika, das derzeit seine Mitte verloren hat. Zu dieser Mitte gehörten inhaltlich auch die Grundaussagen der biblischen Botschaft – wie die aus der Bergpredigt. Doch diese scheinen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. Sie sind nicht zuletzt durch die mit dem Trump-Flügel der Republikanischen Partei sympathisierenden Evangelikalen Gruppierungen in den Vereinigten Staaten einem weißen, rassistischen Menschenbild und einer religiös verbrämten nationalistischen Politik geopfert worden. Nun stehen wir vor einer zweifachen Aufgabe: uns selbst vor dem krank machenden Virus im Weißen Haus zu schützen und darauf zu hoffen, dass viele Christen in den USA „ad fontes“, zurück zu den Quellen gehen und sich an Grundaussagen wie denen aus der Bergpredigt orientieren.
Nachtrag: Der Direktor der wichtigsten Waffen-Lobby Organisation in den USA „National Rifle Association (NRA)“ Chris W. Cox reagiert auf Massaker wie dem von Sutherland Springs monoton: „Ein schlechter Mensch mit einer Waffe lässt sich nur von einem guten Menschen mit einer Waffe stoppen.“ Das ist das blasphemische Gegenteil von dem, was der Apostel Paulus als Grundmaxime christlicher Lebensweise ausgibt (siehe oben).
2 Antworten
Emotionale Blockaden lassen sich beheben!
„Es ist ziemlich klar: Der Grund für das Massaker ist nicht die Unbeherrschtheit und krankhafte Persönlichkeitsstruktur des Täters. Die Ursache für das Verbrechen sind die Waffen, die solchen Menschen frei zur Verfügung stehen.“ Das schreiben Sie, lieber Herr Wolff, und so sehr wir übereinstimmen in der Verurteilung der amerikanischen Waffengesetze, so sehr glaube ich doch, daß Sie es sich mit dieser Ansicht zu leicht machen. Auch bei uns – wir wissen es ja leider – sind Waffen für denjenigen zu haben, der sie wirklich haben will, und außerdem wird ein kranker Mensch, wenn er keine Waffen findet, eben herkömmliche Gegenstände, wie zB Autos, Beile, Messer, zur Waffe umformen. Also ist es wohl doch die „Krankheit“ solcher Menschen, die ursächlich für das Verbrechen ist – und außerdem ist es auch grundsätzlich falsch, die Verantwortung für Taten immer von den Tätern abzulenken und auf irgendwelche „Umstände“ abzuschieben. Die amerikanische Waffengesetzgebung ist ein absoluter Jammer, aber die Verantwortung für den Mißbrauch von Waffen haben Menschen, nicht anonyme „Umstände“.
Und ein zweites zu Ihrem Nachtrag: Es war nicht anders zu erwarten, daß die unverantwortliche amerikanische Waffenlobby mit diesem Argument kommen würde. Leider aber ist es zu einfach, diese Aussage zu verdammen, denn sie ist ja inhaltlich richtig, wenn auch hier mißbräuchlich verwendet: Menschen, die bewaffnet Verbrechen begehen, sind wohl nur von bewaffneten Polizisten zu stoppen – die Infamie der Aussage liegt also darin, daß die US-Waffenlobby die hoheitliche Aufgabe der Inneren Sicherheit in die Hände eines jeden Bürgers legt, nicht im (richtigen) Prinzip der Aussage.
Eine Aufgabe des 2. Amendment zur amerikanischen Verfassung – eines Amendment aus dem Jahre 1791, als niemand sich automatische Feuerwaffen auch nur vorstellen konnte; eines Amendment, das damals in der Zeit vor staatlichen Ordnungskräften die öffentliche Sicherheit in die Obhut von Bürgermilizen legte; eines Amendment, in anderen Worten, das heute in jeder Hinsicht obsolet ist – wäre vernünftig, ist aber in den USA wohl nicht erreichbar. Sie haben Recht, daß es ursächlich ist für eine Vielzahl von Toten in den USA. Aber die Verantwortung für diese Toten haben in erster Linie die Täter selbst, auch wenn diejenigen, die aus Geschäftsinteressen oder ideologisch begründet die Lage beibehalten, als Helfer mitschuldig sind.
Der „Vorrang für Gewaltlosigkeit (und) den Pazifismus, als vernünftige und politisch sinnvolle Handlungsmaxime“ ist aber – das ist eben das Dilemma – nur erreichbar aus einer gewissen auch praktischen Stärke heraus, die von Waffen in den Händen der dazu Befugten untermauert sein muß. Waffen zu verdammen, ist brotlose Kunst – Menschen, die sie mißbräuchlich nutzen, durch „die Umstände“ zu entschuldigen, ist dem Mißbrauch förderlich. Es geht – wie immer – um die Beherrschung eines existierenden Problems, nicht um das Wegreden des Problems durch visionäre und unrealistische Thesen. Nicht umsonst fordern ja auch Sie eine Verstärkung der Polizeikräfte in Deutschland.
Die Bergpredigt ist moralischer Leitfaden – praktische politische Handlungsanweisung ist sie nicht und kann sie auch nicht sein.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger