Am 09. April 1945, also vor 75 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nazis ermordet. Zuvor saß er zwei Jahre in Gestapo-Haft in Berlin. Bonhoeffer, gerade 39 Jahre alt geworden, gehört zu den bedeutenden Theologen des 20. Jahrhunderts – vor allem auch deshalb, weil er sehr frühzeitig die zunächst befürwortende, dann zögerliche Haltung der Evangelische Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus scharf kritisierte und wegen dieser inneren Distanz zur eigenen Kirche in den politischen Widerstand gegen das Terrorregime des Hitler-Deutschland ging. In einer Zeit, da wir uns des aufkommenden Rechtsnationalismus, wachsenden Antisemitismus und nun einem allzu sorglosen Außerkraftsetzen von Grundrechten zu erwehren haben, möchte ich an drei Gedanken Bonhoeffers erinnern:
- Bonhoeffer, aus dem konservativen, deutschnational geprägten, gebildeten Großbürgertum stammend, hat im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zeitgenossen das verbrecherische System des Nationalsozialismus von Anfang an durchschaut. Sein Studienaufenthalt in den USA 1930/31 sensibilisierte ihn dafür, dass Rassismus, Nationalismus, Militarismus mit den Grundsätzen des christlichen Glaubens unvereinbar sind. Doch genau auf diesen drei Säulen, ergänzt um einen gerade im lutherisch geprägten, deutschen Protestantismus wuchernden Antisemitismus, basierte das Hitler-Regime. Bonhoeffer gehörte neben Karl Barth zu den ersten Theologen, die schon 1933 vor einem totalitären Führerprinzip warnten, das in krassem Widerspruch zum 1. Gebot stand. In einem Rundfunkvortrag vom 1. Februar 1933, also einen Tag nachdem Adolf Hitler Reichskanzler wurde, mit dem Titel „Der Führer und der einzelne in der jungen Generation“ analysiert Bonhoeffer ziemlich hellsichtig das gerade installierte Führerprinzip (Dietrich Bonhoeffer, Der Führer und der einzelne in der jungen Generation, in ders., Gesammelte Schriften Band 2, München 1965, S. 22-38): „Wo der Volksgeist eine göttlich-metaphysische Größe ist, da hat der Führer, der diesen Geist verkörpert, im eigentlichsten Sinn religiöse Funktion, da ist er der Messias.“ Doch wenn sich der Führer „von dem Geführten dazu hinreißen (lässt), dessen Idol darstellen zu wollen …, dann gleitet das Bild des Führers über in das des Verführers …“ Später spitzt Bonhoeffer zu: „Vor Gott ist der einzelne verantwortlich. Und diese Einzelheit des Stehens des Menschen vor Gott, des Sichunterwerfens unter eine letzte Autorität, ist dort vernichtet, wo die Autorität des Führers oder des Amtes als letzte Autorität gesehen werden. … Führer und Amt, die sich selbst vergotten spotten Gottes und des vor ihm einsam werdenden einzelnen Menschen und müssen zerbrechen.“ Kein Wunder: Die Übertragung dieses Vortrags wurde mitten in der Rede abgebrochen. Auf dem Hintergrund dessen, dass in unserer Welt sich zunehmend Autokraten breit machen und demokratische Grundrechte an Zustimmung verlieren, muten die Gedanken Bonhoeffers wie ein Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft an. Jedenfalls kann man sich heute nur viele Bonhoeffers wünschen, die geistesgegenwärtig dazwischen rufen: aufpassen!
- Bonhoeffer hat deutlich gespürt, dass sich Kirche in ihrer herkömmlichen Gestalt in einer sich säkular entwickelnden Welt überlebt hat. Er kommt zu der steilen These: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ (Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. Von Eberhard Bethge, München 1970, S. 413ff) – eine späte Konsequenz aus seinen amerikanischen Erfahrungen. Diese leitet er ab von der Überzeugung, dass sich in einem religionslosen Zeitalter das Verhältnis zu Gott nur im Verhältnis des Menschen zu anderen abbilden kann. Damit bestreitet Bonhoeffer die institutionelle Vormachtstellung der Kirche gegenüber dem einzelnen Menschen und plädiert für ein „religionsloses Christentum“. Gerade in der Coronakrise, in der noch einmal der rasante Bedeutungsverlust der Kirchen offenbar wird, ist es wichtig, dass wir uns fragen: Was ist die Aufgabe von uns Christen in einer säkularen Gesellschaft, die zunehmend nichts vermisst, wenn Kirche nicht präsent ist? Welche Inhalte unseres Glaubens sind unentbehrlich für den einzelnen Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben?
- Bonhoeffer hat im Angesicht von Krieg und Tod einen wunderbaren Gedanken geäußert – ausgehend von Bachs unvollendetem Werk „Kunst der Fuge“: „Wenn unser Leben auch nur ein entfernter Abglanz eines solchen Fragmentes ist, in dem wenigstens eine kurze Zeit lang die sich immer stärker häufenden, verschiedenen Themata zusammenstimmen und in dem der große Kontrapunkt von Anfang bis zum Ende durchgehalten wird, so dass schließlich nach dem Abbruch – höchstens noch der Choral: ‚Vor Deinen Thron tret ich hiermit‘ – intoniert werden kann, dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.“ (Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. Von Eberhard Bethge, München 1970, S.246) Heute ist eine gängige Redensart „Es geht um Leben und Tod“. Ín der Coronakrise scheint alles dem Ziel untergeordnet zu werden, Sterben zu verhindern – ohne ausreichend zu bedenken, wie viel Lebensinhalte zerstört werden. Bonhoeffer lenkt den Blick darauf, dass nicht entscheidend ist, wie lange ein Leben andauert, sondern dass in den Fragmenten des sehr vergänglichen Lebens Sinnhaftigkeit erkennbar bleibt, die neue Zuversicht und Freude am Leben weckt.
7 Antworten
Zum Stillen Sonnabend, zwischen Karfreitag und Ostern, erlaube ich mir Deinem Blog von Dir, lieber Christian, anzufügen:
Glaubensbekenntnis nach Dietrich Bonhoeffer
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist,
mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf
aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
(Dietrich Bonhoeffer, Einige Glaubenssätze über das Walten Gottes in der Geschichte, in: Widerstand und Ergebung, Prolog)
Herzlich Dein Jo.Flade
„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“ – dies finde ich eine zu sehr personalisierte Sichtweise, die der heutigen Krise nicht gerecht wird. Das Coronavirus verstärkt die schon vorhandene Umweltkrise mit ihren zerstörerischen Auswirkungen besonders für die Armen in unserer westlichen Welt und für die armen Länder.
Wo ist das christliche Profil der Frauen und Männer in den Leitungsämtern von Kirche und Politik, welches die prophetisch-kritische Botschaft eines Amos für kirchliches und gesellschaftliches Handeln beispielhaft zur Sprache bringt, umsetzt, vorlebt?
Die 2. Frage ist interessant (obwohl sie sehr „westdeutsch“ ist und damit nur für einen Teil unseres Landes wirklich ansteht):
„Gerade in der Coronakrise, in der noch einmal der rasante Bedeutungsverlust der Kirchen offenbar wird, ist es wichtig, dass wir uns fragen: Was ist die Aufgabe von uns Christen in einer säkularen Gesellschaft, die zunehmend nichts vermisst, wenn Kirche nicht präsent ist? Welche Inhalte unseres Glaubens sind unentbehrlich für den einzelnen Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben?!“
Die Mehrheits-Gesellschaft in der DDR vermisste nichts, nachdem die Kirche an den Rand gedrängt und klein geworden war (obwohl das natürlich völlig anders war als heute, die Entwicklung aus völlig anderen Gründen !!). Will sagen: Das ist nicht erst jetzt so, das ist nichts Neues. Nur die Vertreter der Volkskirche wollen das seit Jahren nicht wahrhaben, dass es so geworden ist bzw. wird, dass die Kirche nicht vermisst wird.
Die Frage müsste m.E. besser so gestellt werden: Wie nutzt die Kirche die Freiheit, dass sie nicht „systemrelevant“ ist?
Pfarrer i.R Peter Oldenbruch hat am 29. 3. 20 im Deutschlandfunk über Bonhoeffers Begriff vom „religionslosen Christentum“ und über das Gedicht von den „guten Mächten“ gesprochen:
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2020/03/29/am_sonntagmorgen_29032020_dlf_20200329_0835_e5a1c056.mp3
Schön, dass Sie D. Bonhoeffers Todestag gedenken und auch seine Worte zum Fortbestand der Kirche würdigen. Allerdings hat er anders, als Sie nahe legen bzw. interpretiert weden können, nicht eine grundsätzliche Kritik an der Kirche als Volkskirche geübt, sondern in der Volkskirche (seiner Zeit) für eine lebendige „Kirche Jesu Christi“ plädiert, also Christi Auftrag und Werk konsequent in der etablierten sichtbaren Kirche fortzusetzen. Wir brauchen die Sichtbarkeit des Glaubens, denn die Kirche repräsentiert (nicht ipso facto ist, aber repräsentiert), sonst werden wir eine ortlose, unkonkrete Kirche des bloß einzelnen Gläubigen. Das musss in einer Gemeinschaft sichtbar werden. Also: Kirche Ja – aber Kirche Jesu Christi als ihr alleiniger Herr, und das heißt eben „Kirche (stets und nur) für andere“, nie für sich selbst als Selbstzweck.
Ja, das stimmt. Aber das wollte ich nicht noch ausführen. Mir ging es nur um die Fragestellung, die heute aufgegriffen werden muss: Welche Gestalt, Botschaft und welchen Ort sollte Kirche in einer säkularen Gesellschaft haben. Christian Wolff
Ich wollte keine „Besserwisserei“ betreiben, nur darauf hinweisen, das Bonhoeffer den Kirchen-Begriff sehr differenziert gebraucht, positiv und negativ. a) Positiv: Kirche ist da, wo der Geist Jesu herrscht, den Menschen dienend, also „Kirche für andere“. Das ist die universale (überrall zu finden und potentiell auch in jedem Einzelnen) „Kirche Jesu Christi“. b) Negativ: Kirche verleugnet Christus, wenn sie herrschen will und nur zur Selbstbestätigung da ist. Sie ist kein (eitler) Selbstzwsck, sondern eben nur für anderre da. Das hat Bonhoeffer uns unverbittlich eingeschärft. Jeder von uns muss sehen, ob er/sie Kirche so erlebt.