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Ein großes Thomaskantorat – zum Rücktritt von Georg Christoph Biller als Thomaskantor

Als am 06 Januar 2015 die Motette „Herr Christe, tu mir geben“ von Johann Eccard im Gottesdienst erklang, da ahnten nur wenige, dass an diesem Tag die Kirchenmusik in der Thomaskirche zum letzten Mal von Thomaskantor Georg Christoph Biller gestaltet und der Thomanerchor zum letzten Mal von ihm geleitet wurde. Er hatte diese Motette sicher mit Bedacht ins Programm aufgenommen. Denn sie hat er als erstes Stück am 06. November 1992 mit dem Thomanerchor gesungen – dem Beginn seiner Amtszeit. Mit dieser Motette ist Biller in seiner Thomanerzeit groß geworden. Sie war für ihn Programm, hat ihn in all den Jahrzehnten getröstet und aufgerichtet: „deinem Wort fest zu glauben, wandeln auf rechter Bahn, dass ich das Ziel erreiche und ja davon nicht weiche, sondern bleibe bestahn.“

Thomaskantor Biller hat sein Wirken, sein Amt, den Thomanerchor immer in den Dienst dieser Bitte gestellt: aufrecht und standhaft bleiben. 1992 hatte ich gerade meinen Dienst als Pfarrer an der Thomaskirche aufgenommen – und schon musste ich mich am Auswahlverfahren für einen neuen Thomaskantor beteiligen. Als Georg Christoph Biller im November 1992 dann sein Thomaskantorat begann, war klar: Er wollte sehr viel mehr, als einen Knabenchor leiten. Er wollte dieses älteste Amt der Stadt Leipzig neu verorten und profilieren – und hat es tatsächlich zu neuem Glanz geführt. Im Rückblick möchte die Amtszeit Billers als Thomaskantor in drei Phasen unterteilen. Da sind zunächst die Jahre 1992 bis 2002. Der Thomanerchor musste wie alle Institutionen und Menschen nach der Friedlichen Revolution sich auf die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse einstellen. Das war nicht einfach. 1998 legte Biller eine Denkschrift vor: „Wohl bestallte Kirchenmusik“, in der er vieles von dem entwickelte, was heute Wirklichkeit ist:

  • Den Chor galt es wieder zu seiner Hauptaufgabe zurückzuführen: der musica sacra zu dienen. Gleichzeitig war es sein Anliegen, die Tradition der THOMANA so zu aktualisieren, das sie von vielen Menschen als ein Gewinn für ihr Leben erfahren wird. Für Biller war der Text unter den Noten genauso wichtig wie die Musik selbst.
  • Biller sah die Notwendigkeit, Motetten und Gottesdienste liturgisch und musikalisch zu profilieren und hat dies kraftvoll umgesetzt. Dabei trat genau das Gegenteil von dem ein, was einige befürchteten: Es kamen nicht weniger Menschen zu den Motetten und Gottesdiensten – die Teilnehmerzahlen vervielfachten sich. Inzwischen ist die Motette zu einer Marke geworden, die weltweit Beachtung findet. Das liegt auch daran, dass Biller die Programme als Komposition verstand. Er sorgte nicht nur für die Stimmigkeit der Töne, sondern auch der Inhalte.
  • Biller spürte: Wenn der Chor in einer pluralen Gesellschaft bestehen will, dann müssen bei der Nachwuchsarbeit neue Wege gegangen und die Lebens- und Ausbildungsverhältnisse der Choristen verbessert werden.

Die nächste, relativ kurze Phase war eine der Selbstfindung, verbunden mit einer mehrmonatigen, krankheitsbedingten Pause. Am Ende dieser Phase stand 2004/05 ein Neuanfang – auch im persönlichen Leben. Wie Biller dies bewältigte, hat mir schon damals die größte Hochachtung abverlangt. Denn begann eine Phase, die bis heute anhält. Biller hat den Chor zu einem musikalisch kaum erwartbaren, hohen Niveau geführt und dieses über Jahre halten können. Der Thomanerchor ist unter den Knabenchören inzwischen absolute Spitze. Das ist umso höher zu bewerten, als sich ein Knabenchor ständig verändert und innerhalb von drei Jahren faktisch völlig austauscht. Jeden Tag vor über 100 Kindern und Jugendlichen zu stehen, sie zu motivieren und auf eine professionelle Darbietung vorzubereiten, die an den Spitzenensembles der Welt gemessen wird – das ist eine Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann. Dass Biller dieses bis zum letzten Gottesdienst geschafft hat, zeugt von seinem Charisma als Chorleiter und von seiner Ausstrahlung, die er als Persönlichkeit auf die Choristen hat.

In dieser dritten Phase wurde das realisiert, was am Ende der ersten Phase als Vision stand: der Bildungscampus forum thomanum, mit dem nicht nur die Nachwuchspflege für den Thomanerchor professionalisiert, sondern auch ein hochwertiges Bildungsangebot für Kinder und Jugendliche gemacht werden sollte. Biller hat hier mit Weitsicht gehandelt, sich aber auch allen Versuchen in den Weg gestellt, das Besondere des Thomanerchors in der Bildungslandschaft einzuebnen: So sollte 2004 das musikalische Profil der Thomasschule abgeschafft werden. Biller erhob sehr unsanft seine Stimme. So mahnte er auch 2007 eine größere Offenheit und Weite im Bildungsalltag der Thomasschule an. Und schließlich rief er den Stadträten in Erinnerung, dass sie eine hohe Verantwortung für den Thomanerchor tragen. Allerdings verstanden viele nicht, dass der Thomanerchor sich seit der Reformation wohl in städtischer Trägerschaft befindet, aber einen zentralen Auftrag hat: der musica sacra zu dienen. Biller widersetzte sich 2013 vehement dem Versuch einiger im Stadtrat und in der Stadtverwaltung, sich vom Gedanken des forum thomanum zu verabschieden. Der mit diesem Versuch verbundene Vertrauensbruch hat ihn (wie den Autor dieser Zeilen) tief getroffen – zumal dieser Bruch von einigen in der Chorleitung mit vollzogen wurde. Gott sei Dank konnte der immense Schaden im vergangenen Jahr einigermaßen eingegrenzt werden. All das ändert nichts daran: Das forum thomanum, diese geniale Idee, die große Tradition der THOMANA zu bewahren und weiterzuentwickeln, wird immer verbunden bleiben mit dem Namen von Georg Christoph Biller.

Sicher war das Jubiläumsjahr 2012 „800 Jahre THOMANA“ mit seinem Motto „glauben, singen, lernen“ für das Kantorat Billers ein grandioser Höhepunkt: Hier wurde der Reichtum seines Wirkens für unzählige Menschen aus aller Welt sicht- und vor allem hörbar. Er war es auch, der 2008 den Startschuss für die Vorbereitung zum Jubiläum gegeben hat – frühzeitig, was eine Bedingung für den Erfolg war. Schließlich hat Biller gerade in diesem Jubiläumsjahr einen wunderbaren Einblick in sein reiches kompositorisches Schaffen gegeben, das hoffentlich weitergeht.

Ich persönlich bin froh und dankbar, dieses große Thomaskantorat Billers miterlebt und mit dem scheidenden Thomaskantor so vertrauensvoll und ertragreich zusammengearbeitet zu haben. Wir konnten immer offen und ehrlich zueinander sein – und gerade darum der musica sacra dienen und ihr nicht mit persönlichen Unzulänglichkeiten im Weg stehen. Ich danke dem Thomaskantor Georg Christoph Biller für über zwei Jahrzehnte gemeinsamen Wirkens. Ich wünsche ihm und seiner Frau viele Jahre der Erfüllung, Linderung der körperlichen Beschwernisse und Gottes Schutz und Geleit.

 

12 Antworten

  1. I want simply to say to Georg Christoph Biller: Thank you, good and faithful servant. It was my unforgettable pleasure to visit Leipzig in several years during Bachfest time, to attend Gottesdienst in which Herr Biller acted as Kantor with a strong and beautiful voice. His attending to both music and word was clearly authentically Christian.
    I wish you improved health and the prosperity to avoid the stress of the everyday world. Danke für Alles, Alles !

  2. Vielen Dank an Christian Wolff für diese ausführliche und zutreffende Würdigung. Die Rücktritts-Nachricht war auch dem Mannheimer Morgen und somit der Schwetzinger Zeitung eine Meldung wert und hat uns sehr betroffen gemacht. Beim Kirchentag 1997 liess ich mich von den Thomanern für „Bach 2000“ werben und konnte so durch die Einladungen und Informationen an wunderbaren Veranstaltungen teilnehen oder das Geschehen aus der Ferne verfolgen. Vor allem das großartige Jubiläumsjahr hat bleibende Eindrücke hinterlassen, vorwiegend natürlich die Thomaner mit ihrem Kantor:Ein riesengroßes DANKE- GRATIAS AGIMUS TIBI – dafür, persönlich die allerbesten Wünsche für die neuen Wege in die Zukunft und den Thomanern eine weiterhin erfolg-und segensreiche musikalische Arbeit unrer neuer Leitung. Das wird spannend!!

  3. Das ist ein großer Verlust für die deutsche Musikszene im Allgemeinen und für den Thomanerchor im Besonderen. Ich selbst habe durch Prof. Biller zur Musik der Knabenchöre gefunden. Das Jubiläum in 2012 war dazu ein ganz besonderer Anlass und nach jedem Leipzig-Besuch zehre ich noch lange von den Eindrücken. Als Mitglied des Förderkreises weiß ich auch, dass er die Jungs nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich geprägt hat. Nach mehr als zwanzig Jahren geht damit ein großes Kantorat zu Ende an dem sich seine Nachfolger werden messen lassen müssen.

    Ich wünsche Herrn Biller für die nächsten Jahre die Kraft und Gesundheit, die es braucht, um unsere geliebte Musik auch weiterhin positiv zu beeinflussen.

  4. Vielen Dank für diese würdigenden Worte! Ich kann mich dem nur anschließen. Gerade die liturgische und inhaltliche Profilierung der Motetten und Gottesdienste habe ich als etwas sehr Wohltuendes empfunden.
    Respekt für diese Lebensleistung und die besten Wünsche!

  5. Eine Ära geht zu Ende. Für mich waren bei meinen Zahlreichen Leipzigbesuchen die
    Motetten mit den Thomanern immer ein besonderes Erlebnis ,das mir noch lange Zeit Kraft im Alltag gegeben hat. Obwohl es sehr schade ist , wünsche ich Herrn Biller für die
    Zukunft vor allem Gesundheit , Kraft und Gottes Segen .Gott sei Dank habe ich den Film
    und das Buch über die Thomaner zur Erinnerung.

  6. Our love of Joh. Sebastian Bach’s music brought us to Leipzig in 1984 – 1985, following which we visited the many Bach venues yearly or semi- annually until the present, becoming good friends of Johannes and Beate Richter as well as Christian and Zlata Wolff and count meeting Mazur and Biller, along with the whole family of the Thomaskirche, its Forum Thomanum, Bach Archiv, Chorgerren as real highlights of our Germany
    pilgrimages !

    Our best wishes to the Thomaskantor on his retirement as well as for a happy, healthy and prosperous future. And know that we extend to him our respectful accolade:

    THANK YOU FOR A JOB WELL-DONE ! !

  7. Da mein Sohn Thomasschüler war (aber kein Thomaner) war ich durch mein Mitwirken im Elterrat in dieser Zeit etwas näher am Wirken und Problemen der Thomaner. Auch aus dieser Zeit kann ich mich nur anschließen und Herrn Thomaskantor Christoph Biller für sein außerordentliches Wirken danken. Den Worten die Herr Wollff gefunden hat um sich bei einem großen Menschen und Künstler unserer Stadt zu bedanken sprechen mir aus dem Herzen. Ich wünsche Herrn Biller alles erdenklich Gute und Gesundheit, die er sicher dringend braucht und schätze von höchstem Wert seine Entscheidung und sein Wirken . Betroffen macht mich allerdings das bei der Mottete zu Weihnachten nicht mal ein Wort des Dankes vor den erheblichen Leistungen der Thomaner und des Thomaskantors in der Adventszeit gefallen ist. Im Gottesdienst zum 25.12.2014 fragte man sich ob der Pfarrerin der vollständige Name des Thomaskantor entfallen ist und die knappe Danksagung zum Schluß den Leistungen nicht würdig. Mein Mann und ich gingen sehr betrübt darüber nach Hause. Auch wir Christen sind nur allzu menschlich aber es sollte uns nicht an der Größe die sich auch im Dank zeigt, fehlen.

  8. An der Thomaskirche geht eine Ära zu Ende! Das Tandem Wolff-Biller hat mich vom ersten Kennenlernen im Juli 2006 bis heute geprägt und, ja ich muss es so nennen, fasziniert. In einem Interview im Jahr 2012 sagte Christoph Biller sinngemäß ‚Wir sind nicht etwas besonderes, sondern tun etwas bedeutendes – die Musik mit Botschaft zu verbinden’. Und ein weiteres Wort, so typisch für den Menschen Christoph Biller: ‚Jeden ernst nehmen, aber nicht alles ernst nehmen.’

    Bei unseren Begegnungen in Leipzig habe ich immer wieder feststellen müssen, das Sie beide diese Worte ‚leben’ und viele, viele Menschen inspiriert haben. Dazu gehöre auch ich und dafür bin ich Ihnen beiden sehr dankbar! Die Prinzipien Ihres ‚change management’ an der Thomaskirche/gemeinde, lieber Herr Wolff, haben mich zu ähnlichen Schritten an der deutschen Dreifaltigkeitskirche/gemeinde in Melbourne ermuntert.
    Den historische Thomanerchor-Besuch in Sydney und Melbourne in 2009 verdanken wir Christoph Biller. Und ohne ihn gäbe es heute keine Australian Bach Society.

    Dafür danke ich Ihnen beide aus vollem Herzen und wünsche Ihnen noch viel Schaffenskraft im Sinne von Soli Deo Gloria.

  9. Ach, das ist ja schade! Kein Chorleiter Biller mehr? Für mich sind Knaben und ihr Leiter sehr eins gewesen, es war so erhebend, sie zu erleben, in i/Ihrer Kirche, es hat einfach alles gestimmt, selbst für mich Ungläubige, und auf dem Forum Thomanum ging es bei der Einweihung so begeistert-natürlich zu, da hatte es sich sehr gelohnt, von sehr weit anzureisen extra deswegen. Sie alle bildeten ein unnachahmliches Team: Herzlichen Dank und alles, alles Gute!

  10. Es tut gut zu lesen, wie hart und wie erfolgreich ein aufrechter Gang sein kann! Die Leistungen eines Menschen werden leider oft nur in der Rückschau für eineren größeren Kreis deutlich! Ich habe selbst im Norden (Oldenburg) Thomaner persönlich und im Konzert erlebt! Wie normal! Wie schön! Großartig! Jetzt wissen wir, wer daran mitgewirkt hat! Danke.

    1. Lieber Georg Christoph Biller, liebe Mitstreiter des Thomaskantors,
      die Gedanken von Pfarrer Christian Wolff kann ich aus meiner Sicht voll unterstreichen.
      Eines aber ist bei allen Ehrungen, die ihm zuteil wurden, immer wieder vergessen worden:
      Thomaskantor Georg Christoph Biller hat sich in seinen Motetten mit dem Thomanerchor
      immer wieder auch für die lebenden Komponisten eingesetzt und sie zu Wort und Klang kommen lassen. Es gibt kaum einen Komponisten der musica sacra aus Leipzig und dem deutschen Raum, der nicht in seinen Motetten mit einem oder mehreren Werken erklang. Das ist auch in dieser Szene absolut einmalig. Und dieser Umstand hatte nie zur Folge, daß das nächste Mal etwa weniger Zuhörer in der Thomaskirche saßen.
      Das hat gewiß auch damit zu tun, daß er sich den zeitgenössischen Werken mit der gleichen Professionalität und Verantwortung wie etwa den Werken seines berühmten Vorgängers Johann Sebastian Bach stellte.
      Ob es die sehr anspruchsvollen Werke zum 800-jährigen Jubiläum des Thomanerchores
      von Henze, Penderecki. Dean oder Biller selbst waren oder die Motettenbeiträge von Thiele, Bartel, Schleiermacher, Treibmann, Golle, H. W. Zimmermann, auch des Autors dieser Zeilen und vieler Anderer, immer waren es beglückende Momente gelungener Interpretationen.
      Dafür kann man Georg Christoph Biller nicht genug danken. Das ist schon immer wieder etwas Besonderes gewesen und es sollte niemals vergessen werden. Er wird uns allen sehr fehlen. Auch von allen diesen Persönlichkeiten werden ihn alle guten Wünsche für seinen weiteren Lebensweg, der ohne Musik nicht auskommen wird, auf das Herzlichste begleiten.Und man sollte ihn als „Gast-Chorleiter“ auch wieder in die Thomaskirche holen.

      Günter Neubert

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