Heute vor 16 Jahren. Ab Abend dieses dramatischen 11. Septembers, an dem die beiden Türme des World Trade Centers in New York durch einen Terroranschlag in sich zusammenfielen, telefonierte ich mit meinem damals 85-jährigen Vater. Seine Stimme war ziemlich gebrochen – und er sagte: Das gibt einen neuen Krieg. Im Gegensatz zu meiner Generation, die Gott sei Dank in keinen Krieg ziehen musste, wusste er, wovon er sprach. Damals dachte ich noch: Er übertreibt. Von heute her gesehen muss ich zugeben: Er hatte mit seiner düsteren Prognose Recht gehabt. Die Flugzeugentführungen und Terroranschläge in New York und Washington markierten nicht nur den Beginn des Kriegs in Afghanistan, der bis heute andauert. 9/11 hatte auch den Irakkrieg zur Folge. Dieser hat den gesamten Nahen Osten in eine Kriegslandschaft verwandelt: Syrien, Jemen, IS – vom ungelösten Israel-Palästina Konflikt ganz zu schweigen. Seit 16 Jahren hat es keine nennenswerte Friedensinitiative gegeben, die den gesamten Nahen Osten und den Nord-Afrika im Blick hat. Auch das Aufbegehren der arabischen Gesellschaften 2011 führte zu keinem Friedensprozess. Bleibt nur das Atomabkommen mit dem Iran. Diesem droht nicht nur durch die Trump-Administration das Aus, es wird täglich durch massive Rüstungslieferungen an die benachbarten Staaten und Kriegsgruppen im Nahen Osten konterkariert.
Dass diese Situation vor zwei Jahren zu einem dramatischen Anstieg der Menschen führte, die aus den Kriegsregionen des Nahen Ostens in Europa, insbesondere in Deutschland, Zuflucht gesucht haben, hätte eigentlich zu einem großen friedenspolitischen Aufbruch führen müssen. Doch davon nichts ist zu spüren. Auch im Wahlkampf spielt das Thema Friedenspolitik keine Rolle – eigentlich ein Skandal angesichts der tatsächlichen Kriege. Stattdessen debattieren wir darüber, ob wir dem Waffennarren Trump folgen und den Rüstungsetat quasi verdoppeln, um das sog. Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen. Stattdessen verengen wir das Flüchtlingsthema auf Sicherheitsfragen und darauf, wie wir sie uns in Zukunft vom Halse halten können. Dabei ist klar: Fluchtbewegungen können nur verhindert werden, wenn wir endlich in einen auf Jahrzehnte angelegten Friedensprozess eintreten und dazu die Gesellschaften des Nahen Ostens und Nordafrikas einladen – wohlwissend, dass eine solche „Konferenz für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten“ äußerst mühsam und mit vielen Rückschlägen versehenen sein wird. Doch es ist etwas anderes, ob die Priorität in militärisch abgesicherte Operationen zum Erhalt von sog. Interessenssphären (Zugang zu Rohstoffen wie Öl und Absatzmärkte für Rüstung) und in der Abwehr von Flüchtlingen gesetzt wird – oder ob eine aktive Friedenspolitik einen Beitrag dazu leistet, dass die extrem jungen, dynamischen Gesellschaften im Nahen Osten und in Nord-Afrika langfristig eigene Perspektiven für ihr zukünftiges Zusammenleben entwickeln können.
Eigentlich müsste das im Bundestagswahlkampf eines der Hauptthemen sein. Eigentlich müssten wir auch die Integrationspolitik darauf ausrichten, dass diejenigen, die jetzt hier leben, ausgebildet werden, arbeiten, in die Lage versetzt werden, sich an diesem Friedensprozess zu beteiligen. Doch all das geschieht nicht oder viel zu wenig. Realistisch betrachtet gibt es eine Partei, die aus ihrer eigenen Geschichte heraus die Initiative ergreifen könnte zu einem solchen Friedensprozess: die SPD. Doch das setzt voraus, dass sie viel offensiver ihre friedenspolitische Kompetenz ausspielt und das Flüchtlingsthema endlich zum Teil dessen macht, was immer schon ein Pfund sozialdemokratischer Politik war: die Friedenspolitik, die den Krieg als Unmöglichkeit politischen Handelns ansieht und das Recht des Menschen auf gerechte Teilhabe an Bildung, Arbeit und Einkommen in den Mittelpunkt stellt. Martin Schulz hat noch 13 Tage Zeit, seinem Vier-Punkte-Programm einen entscheidenden fünften hinzuzufügen.
P.S. Unabhängig von der Frage, wie lange die Regierungszeit von Recep Tayyip Erdoğan noch andauert, und ob die Türkei eines Tages Mitglied der EU wird oder nicht: ohne sie kann es keinen Friedensprozess im Nahen Osten geben. Für diesen gilt, dass die Teilnahme voraussetzungs- und bedingungslos sein muss.
2 Antworten
Andreas:i ch bin ebenfalls keine Friedenstaube, aber: da Sie Beamter waren und im Sicherheitsbereich gearbeitet haben, gilt für Sie ein Mässigungsgebot! Sie sollten sich nicht so stark äußern! Wie gesagt, ich bin für eine europ. Armee und,mrd. vorübergehnd gestiegene Ausgaben! Sie reden immer vom Sozialismus, ich auch, für mich ist ein Ex-Beamter das beste Beispiel für Lesitungsfeindlichkeit. Gibt es keine Leistungskontrolle und Kündbarkeit, fällt das System irgendwann zusammen! Auch ich bin für vertraute Gespräche, die Grundlage der internat. Politik, die Türkei sollte aus kulturellen Gründen aus der EU bleiben, wären die Türken so demokratisch wie Norwegen, wäre es toll, aber für mich noch lange kein Grund für die Aufnahme, mögen die Yanks dies auch fordern, Europa entscheidet, alles Andere wäre gegen die eigenen Interessen gerichtet! Ich war immer , nachträglich natürlich, nahe bei Adenauer, der sinngemäß sagte, nur Sowjets und USA haben Atomwaffen, warum die Europäer nicht. Ich traue Deutschen und Italienern mehr als Amis, dazu stehe ich! Den Kontinent zu verteidigen ist eine eigenen Sache, daran haben nur wir selbst ein Interesse, Unterordnung unter fremde Interessen, auch aus Dankbarkeit t, lehne ich ab!Sie verstehen auch nicht dass der einzelne Wähler unterschiedliche Interessen haben kann, also es ist möglich, dass der ostdeutsche Linkenwähler die Sozialpolitk seiner Leute liebt, die Einwanderungspolitik aber hasst! Ich gehe davon aus, dass Sie privat eher brav sind und im Forum auf den Senf hauen wollen, wie gesagt, ich bin für eine leistungsfähige europ.Verteidigung und für wenige Nicht-EU-Einwanderer! Hilfe vor Ort ist billiger und gezielter, sollte es aber so sein, dann nicht unkontrolliert wie 2015, sondern durch gezielte Kontingente! Es geht Ihnen irgendwo vorbei, aber gerade die Armen Europas sind die Opfer einer grenzenlosen Einwanderung!Bitte jetzt nicht mit der Emotionalkeule ankommen, sonst muss ich mich fragen ob der ältere Herr emotional eingeschränkt ist! Europa zuerst!
Nihil nisi bene de mortuis – und doch, lieber Herr Wolff, irrte Ihr Herr Vater mit seiner Aussage „das gibt Krieg“. Richtig hätte es heißen müssen: „Das IST Krieg“, wodurch die Verantwortung dahin verlagert worden wäre, wo sie hingehörte. Das haben ja auch Sie erkannt, als Sie formulierten, der Angriff auf die Twin Towers sei der Beginn des Krieges gewesen. Islamische Fanatiker also haben den Krieg begonnen – und führen ihn noch, überwiegend untereinander, und die Schuld des Westens hieran ist vergleichsweise gering. Denn auch der anschließende Irak-Krieg, den Bush jun. in Überschätzung amerikanischer Möglichkeiten und ohne Einbindung des Nato-Bündnisses – im Grunde ohne Bezug zum Anschlag auf die Twin Towers – begann, war ja die langstehende Forderung der westlichen Öffentlichkeit, man müsse doch gegen Saddam Hussein „was“ tun, der Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt, Menschen, darunter Kinder als Schutzschilde und Geiseln genommen und zwei Kriege vom Zaun gebrochen hatte (gegen Iran und gegen Kuweit). Daß Saddam jederzeit wieder Giftgas eingesetzt hätte – das er natürlich hatte (siehe auch der angeblich vom Giftgas „befreite“ Assad) – ist offensichtlich (und auch gar nicht anders denkbar, denn der Besitz chemischer Substanzen zur Gasherstellung ist weder verboten noch überprüfbar). Daß der Irak-Krieg die Sunnis und Schiiten gegeneinander gehetzt habe und so also den Nahen Osten in eine “Kriegslandschaft verwandelt“ habe, ist Unsinn, denn das war der Nahe Osten eben leider schon vorher: Iran-Irak, Kuweit, Verfolgungen von Minoritäten innerhalb der einzelnen Staaten, ganz abgesehen – wie Sie richtig schreiben – vom Israel-Palästina-Konflikt, der ebenfalls eine aggressive arabisch-islamische Handschrift trägt.
Im Gegensatz also zu Ihrer falschen Lageanalyse allerdings muß man Ihnen zustimmen, daß Waffenlieferungen in die Region nicht förderlich sind – allerdings ist dies eine Angelegenheit des „guten Gewissens“ und vergleichsweise irrelevant für den Frieden dort, denn die eingesetzten Waffen (vielleicht eine Stufe weniger modern) sind leider auf den Weltmärkten frei verfügbar und würden auch bei westlichen Embargos dorthin gelangen. Mit Öl hat das alles wenig zu tun, denn die Ölversorgung der großen Verbraucher ist heutzutage auch ohne einzelne Lieferanten aus dem Nahen Osten sichergestellt.
Und dann mischen Sie mal wieder alles durcheinander:
– Ein ganz erheblicher Teil unserer Flüchtlinge hat mit dem Nahen Osten gar nichts zu tun, denn sie kommen aus dem nördlichen und zentralen Afrika.
– Eine Friedenskonferenz kann weder dem Nahen Osten noch dem afrikanischen Kontinent vom Westen aufgezwungen werden – das müssten die Staaten der Region schon selbst leisten und könnten dann vielleicht vom Westen inhaltlich und materiell unterstützt werden. Kämen Europa oder Amerika mit diesem Vorschlag, so würde das, wie alles bisherige, von mindestens einer Seite als Einmischung und Dominanz ausgelegt.
– Das 2%-Ziel der Nato – eine vernünftige Entscheidung, die allerdings mit den Themenfeldern Flüchtlinge und Naher Osten nichts zu tun hat – kann in Europa und insbesondere in Deutschland nur derjenige bekämpfen, der nicht erkannt hat, daß er bisher bequem und unsolidarisch seine Freiheit und seinen Frieden sich von den Amerikanern hat bezahlen lassen. Wäre es zB außenpolitisch nach den 68ern und in ihrem Gefolge nach der SPD gegangen, wären wir längst kommunistisch und die Wende wäre ausgeblieben. Im übrigen ist Schulz in dieser Sache schlecht informiert: Eine Erhöhung des Verteidigungsetats um 2% ist keine „Erhöhung der Rüstung“ um 2% – der Unterschied ist offensichtlich.
– Es ist interessant, daß Sie die SPD als Partei des Friedens bezeichnen und dies quasi als singuläres Erkennungsmerkmal ausmachen: Auch unter der überwiegenden CDU-Führung in unserem Lande (50 von 70 Jahren) hat es keinen Krieg gegeben; unter SPD-Führung allerdings schon – 1999 gegen Serbien. Schröders Entscheidung damals war richtig, wohlgemerkt, aber sie zeigt uns, daß wer Frieden will, durchaus um dieses Zieles willen mal zu Waffen greifen muß.
Und Martin Schulz – der mit den 13 Tagen – hat doch nun in seinen Türkei-Äußerungen bewiesen, daß er ein außenpolitisches „Trumpeltier“ ist, und dabei auch noch dem Volk etwas versprochen, was er nicht halten kann: Er beendet die Verhandlungen mit der Türkei; er kündigt das Türkei-Abkommen – soso! Beides sind EU-Entscheidungen, die einstimmig fallen müssen; das sollte der „EU-Kenner“ doch wissen. Täglich gibt Schulz öffentlich in deutlichen Worten Erdogan Unterricht in Politik – er hat uns aber noch nicht erklärt, wie er das Ziel der Befreiung deutscher politischer Geiseln aus türkischer Haft mit innenpolitisch motivierter Großmäuligkeit erreichen will. Hatte Merkel nicht recht, wenn sie sagte, man müsse schon Kanäle offen halten um der Menschen willen?
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger