Am Mittwoch jährt er sich zum 50. Mal: der Tag, an dem die Universitätskirche St. Pauli gesprengt wurde – ein unversehrter Kirchenbau aus dem 13. Jahrhundert, immer dreifach genutzt: gottesdienstlich, akademisch, musikalisch. Dieser brachiale Zerstörungsakt am 30. Mai 1968 war Ausdruck einer Politik, die Vielfalt, multikulturelles Leben, kontroversen wissenschaftlichen Diskurs und religiöse Orientierung militant bekämpfte. So musste ein Ort dem Erdboden gleichgemacht werden, der wie ein Stachel im verquasten-verspießten ideologisch-kommunistischen Einheitsbrei der DDR wirkte –
und an die Stelle des im Ostchor befindlichen Kreuzes trat die Bronze-Plastik „Aufbruch“, ein monströses Marx-Relief als Ausdruck in sich erstarrter Mittelmäßigkeit. In Leipzig steckte 1968 unter den Talaren vielleicht nicht der „Muff von 1000 Jahren“, aber ganz viel machtbesessener, staatshöriger Mief ideologischer Verblendung.
Nach der Friedlichen Revolution 1989/90, nachdem die Menschen für offene Grenzen (!), für freie Meinungsäußerung, für Pluralität der Gedanken, der Weltanschauungen, der kulturellen und religiösen Prägungen auf die Straße gegangen waren, stand bald die Frage an: Was wird an der Stelle der gesprengten Universitätskirche entstehen? In einem mehr als mühsamen, streitigen Prozess ist es gelungen, die neue Universitätskirche St. Pauli zu bauen – zunächst gegen den erbitterten Widerstand und das gleichgültige Desinteresse vieler Universitätsangehörigen. Im Dezember 2017 wurde sie eingeweiht. Dabei hat die Universität Leipzig vor lauter Religionsphobie und Geschichtsvergessenheit verpasst, sich frühzeitig für den Bau eines interreligiös zu nutzenden geistigen und geistlichen Zentrums einzusetzen. Dieser hätte in noch ganz anderer Weise einen architektonischen Akzent in Leipzigs Innenstadt setzen und vor allem einen geistigen und geistlichen Mittelpunkt auf dem Universitätscampus bilden können, als dies jetzt der Fall ist – man denke nur an die Rothko Chapel in Houston/Texas. Doch dazu war die Universität Leipzig zu keinem Zeitpunkt willens und in der Lage. Sie befand sich über Jahre nicht im Gestaltungs-, sondern im Abwehrmodus. Insofern war es mehr als konsequent, dass am Augustusplatz die neue Universitätskirche St. Pauli entstanden ist, im Innern in einer gotisch anmutenden Architektur und für die Dreifachnutzung geeignet. Wenigstens das! Doch mit etlichen Mängeln: eine völlig überflüssige Acrylwand, mangelhafte Akustik, die noch immer fehlende historische Kanzel.
Nun wäre es Sache der Kirche, vor allem der Theologischen Fakultät und der Universitätsgemeinde, von sich aus diesen Raum ökumenisch und vor allem interreligiös zu öffnen und mit Leben zu erfüllen – statt ihn ausschließlich liturgisch zu stylen und damit zu verengen. Hat man schon im Dezember 2017 versäumt, eine Einladung an alle Universitätsangehörigen auszusprechen, diesen Raum geistlich und religiös mitzugestalten, so setzt sich das leider fort: Es findet am 30. Mai 2018 ein „Dankgottesdienst“ statt mit dem sächsischen Landesbischof Dr. Carsten Rentzing – keiner, der sich besonders profiliert hat im interreligiösen Dialog. So richtig und wichtig es ist, dass an den christlichen Sonn- und Feiertagen in der neuen Universitätskirche Gottesdienste in der lutherischen Liturgie gefeiert werden, so wäre es nun an der Zeit, den Gedenk-Gottesdienst am 30. Mai interreligiös auszurichten, um zu signalisieren: Wir sehen die neue Universitätskirche als einen Ort an, an dem sich nicht nur Wissenschaft und Religion begegnen und um Wahrheit, Freiheit und Verantwortung ringen. Hier soll sich auch die Vielfalt des religiösen Lebens entfalten und kulturelle Pluralität praktiziert werden. Natürlich sollten in diesem Raum auch jüdische, muslimische, buddhistische Feiern stattfinden. Denn die Abwehr von Vielfalt, die militante Verengung des Denkens auf eine Wahrheit war eine der Ursachen für die Sprengung der Universitätskirche. Mit dieser Haltung könnte man auch all denen entgegentreten, die sich jetzt wie die AfD anmaßen, einen solchen Raum wie die neue Universitätskirche St. Pauli, aber nicht nur diesen, für ihre nationalistischen, völkischen, fremdenfeindlichen und antipluralistischen Umtriebe zu instrumentalisieren. Dann käme wie von selbst in den Blick, dass wir mit dem morgigen Gottesdienst nicht nur der Sprengung vor 50 Jahren gedenken, sondern auch des Brandanschlags auf eine türkische Familie in Solingen vor 25 Jahren und ihrer gesellschaftspolitischen Begleiterscheinungen. Dann würde die neue Universitätskirche zu einem lebendigen Zeichen für kulturellen und religiösen Pluralismus und den offenen gesellschaftspolitischen Diskurs in der Demokratie. Schade dass es denen, die jetzt für das geistliche Leben der neuen Universitätskirche St. Pauli verantwortlich sind, derzeit noch an dieser Wachheit und Souveränität mangelt, in Zusammenhängen zu denken.
Nachtrag: Der Gedenktag ist Vergangenheit. Der Gottesdienst verlief so, wie zu befürchten war. Einzig die Ansprache von Dr. Ulrich Stötzner, Vorsitzender des Paulinervereins, war der Rede wert. Alles andere erwies sich als belanglos, die Predigt des Landesbischofs allemal. Was auffiel: Es war eine Ü-60-Veranstaltung. Professor/innen, Studierende, selbst die Theologische Fakultät: Fehlanzeige. Dafür hatten die das Sagen, die in den vergangenen Jahren bei den Kundgebungen zum Gedenken an die Sprengung am 30. Mai auf dem Augustusplatz durch Abwesenheit glänzten. Kustos Hiller von Gaertringen brachte es dann bei nachmittäglichen Symposion fertig, seine Märchen über die historische Kanzel der Unikirche aufzuwärmen: Zunächst verschwieg er die Kanzel ganz, dann tischte er dem Publikum per Folie ein abstruses Klimaszenario auf und schließlich verstieg er sich zu der Feststellung, dass liturgisch eine Kanzel in einer evangelischen Kirche nicht zwingend sei (was zu zwei Fragen führt: Wie steht es mit der „zwingenden Notwendigkeit“ von Epitaphien? Für wie bescheuert hält Hiller von Gaertringen eigentlich die Menschen, die ihm zuhören?). Dass die Akustik sowie das Klima in der neuen Unikirche aber durch die milchige Acrylwand stark beeinträchtigt werden, das festzustellen, bedurfte gestern keiner wissenschaftlichen Untersuchung. Das konnte jeder hören und fühlen.
7 Antworten
Lieber Christian
Kompakt, komplex, kompetent! Ein Beitrag der „fälligen Art“.
Den Begriff Nostalgie hast Du, glaube ich, nicht verwendet. Für mich hat Manches im Zusammenhang mit der Universitätskirche diesen Sound.
Der ökumenische wie noch mehr der interreligiöse Aspekt hat wie im Artikel sehr deutlich festgehalten höchste Aktualität und ist leider „übersehen“ worden. Bestünde nicht eine Gelegenheit, zum 30. Jahrestag 2019 diese Aspekte gewissermaßen „nachzuaktualisieren“? Haben wir in Leipzig überhaupt eine interreligiöse Plattform?
So viel von einem „Alten Mann“ zum richtig guten Artikel!
Gottfried
Lieber Gottfried, vielen Dank. Das war gestern eine eher selbstgefällige Ü-60-Veranstaltung als ein geistliches Signal aus der und für die Universität. Was den interreligiösen Dialog angeht, so ist das alles noch ziemlich kümmerlich. Timotheus Arndt ist hier sehr engagiert, auch Stojan Gugutschkow von der Stadt Leipzig und die Thomaskirche. Beste Grüße Christian
Der Kustos der Leipziger Universität, Professor Rudolf Freiherr Hiller von Gaertringen, sagte heute anläßlich eines Kolloquiums im „Paulinum“ zum 50. Jahrestags der Sprengung der Universitätskirche auf die Frage, wann die Kanzel der Universitätskirche ins sog. Paulinum komme, eine Kanzel sei für die Liturgie nicht notwenig. Dies ist falsch. Die Kanzel gehört zu den Prinzipalstücken:
„Die drei wichtigsten Ausstattungsgegenstände eines liturgischen Gottesdienstraumes: Kanzel (oder Lesepult), das Taufbecken und der Altar bzw. Abendmahlstisch.“
https://unsere.ekhn.de/gemeinde-dekanat/kirchenvorstandekhnde/inhalte-von-a-bis-z/p/prinzipalstuecke.html
Der Kustos der Universität hat gestern ziemlich viel Unsinn erzählt. Es war ja typisch, dass er, als ich die Frage nach der Kanzel gestellt habe, sofort eine Folie parat hatte mit einem Klima-Szenario für den Gesamtraum der neuen Unikirche. Doch diese Folie belegte nur eines: wie sinnlos die bleichige Acrylwand ist (übrigens auch akustisch, wie sich gestern zeigte!). Außerdem erzählte er, dass die gerade restaurierten Epitaphe im Chorraum schon jetzt „Schäden“ aufweisen würden, weil die Acrylwand des Öfteren geöffnet werden müsse. Nach dieser Lesart müssten in Tausenden Kirchen Klimakäfige gebaut werden. Tatsächlich aber sind viele wertvolle Kunstgegenstände in den Kirchen dank regen Gebrauch und sorgfältiger Pflege in einem guten Zustand. Was der gestrige Nachmittag noch einmal offenbarte: Der Kustos hatte ja die Absicht, aus dem jetzigen Chorraum der neuen Unikirche ein Museum für die Epitaphe zu machen (die übrigens keine Prinzipalstücke sind). Darum wollte er ursprünglich auch nicht den Pauliner-Altar zurückhaben. Doch auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die neue Unikirche forderte der damalige Rektor der Universität Häuser den Pauliner-Altar von der Thomaskirche zurück – in der irrigen Gewissheit, dass die Thomaskirche das ablehnen würde. Damit wollte er vor allem mich ärgern (das zeigt, auf welchem Niveau sich die damals Verantwortlichen in der Uni bewegten!). Doch der Kirchenvorstand der Kirchgemeinde St. Thomas stimmte damals der Rückführung einstimmig zu. Damit aber geschah das, was der Kustos wie der Rektor zu verhindern suchten: nun wurde die neue Unikirche tatsächlich zur Kirche. Und zu dieser gehört natürlich auch die historische Kanzel. Christian Wolff
Gott kann man nicht „wegsprengen“!
Es ist nur möglich, Leipzig zu begreifen, wenn man sich, ob als Zugezogene oder Einheimische, intensiv damit beschäftigt, was diese Sprengung und die jahrzehntelange Verdrängung dieser Sprengung bis noch tief ins neue Jahrtausend und neue Staatsform hinein, angerichtet hat. Mir ist es sehr wichtig, dass meine Kinder das Datum 30.Mai 1968 verinnerlichen, insbesondere dann, wenn sie sich stolz als Leipziger begreifen.
Ich habe in den 25 Jahren meines Gaststatus hier nichts so Bewegendes erlebt, wie der Gedenkgottesdienst vor 10 Jahren in der Nikolaikirche, in der ich begriff und nachfühlen konnte, und durfte, was hier einer Stadt und insbesondere seinen katholischen und evangelischen Gläubigen und Gemeinden angetan worden war. Ohne die kleinen Flugblätter des Paulinervereins hätte ich erst viel später rund um die Querelen um den Neubau der Universitätskirche/ Aula davon erfahren. Ist Frieden ohne Aufrichtigkeit und Aufarbeitung möglich ? Die Jahre des Schweigens und Verschweigens in Leipzig- nach dieser schweren Traumatisierung- sie haben die Wende um mindestens 15 Jahre noch überdauert. Ich hoffe, dass die Kinder meiner Kinder Frieden erleben werden. Ich werde diesen neu entstandenen Ort- obwohl nur zugezogen- nicht Paulinum nennen können- ohne diesen Schmerz zu fühlen, den ich mir damals beim Gedenkgottesdienst in der Nikolaikirche zugezogen habe. Ohne das Nachvollziehen dieses Schmerzes, kann es keine Vergebung und auch keinen geschichtsverlorenen Genuss am Neubau geben, Und auch kein Feiern neu gewonnener Freiheit. Es ist nicht nur das Leipziger 89, es ist auch das Leipziger 68 – beides zutiefst mit dem christlichen Glauben verbunden- was diese Stadt kenntlich und nahbar macht. Auch für Fremde. Wenn ich an Leipzig denk`…. .
Seien wir doch einfach einmal dankbar für das, was trotz aller Querelen am Ende
Sonntag für Sonntag von den Leipzigern dankbar mit Glauben erfüllt wird -ein
Raum, der insgesamt Kirche ist und von dem durch eine noch nicht einmal blick-, aber
schalldichte Abtrennung eine Aula abgetrennt werden kann. So herum hat der Architekt
– wenn nicht gedacht, so doch im Namen Gottes und der Menschen gewirkt !
Danke !