Das war heute eine der jämmerlichsten Veranstaltungen, die ich in einer Universität erlebt habe – geprägt vom Geist der Angst und des Untertanengehorsams. Da wurde den ca. 150 Bürgerinnen und Bürgern, die an dem gottesdienstlichen Akt der Grundsteinlegung für den Paulineralter teilnehmen wollten, der Zugang zur Universitätskirche verwehrt – mit der scheinheiligen Begründung: die Sicherheit lasse ihre Teilnahme nicht zu. Dabei hätten ohne Probleme und Atembeschwerden zusätzlich 200 Menschen in der Universitätskirche Platz gefunden. Sie hätten sich sicher nicht an den bereit stehenden Sektgläsern vergriffen. Aber offensichtlich wollte sich die Universität treu bleiben – wie am 09. Oktober 1989. Da verschloss der damalige Rektor der Universität Leipzig, Horst Hennig, die Türen, weil draußen auf den Straßen angeblich der „Mob“ tobte. Und heute? Da haben die Herren und Damen Professorinnen auch Angst vor dem „Mob“ der Bürgerinnen und Bürger – und vereint im Gehorsam scharen sich die Ordinarien um ihre Rektorin, die meint, absolutistisch darüber entscheiden zu können, wer rein darf und wer nicht – und sie merken gar nicht, welche schmierige Kriechspur sie hinterlassen. Und am willfährigsten treiben es die Theologen. Was für eine groteske Szenerie – diejenigen, die u.a. die zukünftigen Pfarrerinnen und Pfarrer ausbilden, ergehen sich in anbiedernder Ehrerbietung einer Rektorin gegenüber, die sich um keine Absprachen und Zusagen schert und sich auch noch die Oberhand über einen gottesdienstlichen Akt anmaßt. Da zieht sich der 1. Universitätsprediger einen Talar an, um gleichzeitig zu betonen: Das ist jetzt doch kein Gottesdienst. Da entblödet er sich nicht, vor diejenigen zu treten, die in die Universitätskirche nicht eingelassen werden und den Choral angestimmt haben „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“, um diese Menschen aufzufordern, im „stillen Gebet“ zu verharren – und merkt gar nicht, wie lächerlich (siehe Sören Kierkegaard) das ist. Er hätte es in der Hand gehabt, die ganze Peinlichkeit zu beenden. Er hätte seine Ansprache mit dem Satz beginnen können: Ich fange erst dann mit meiner Ansprache an, wenn alle, die vor der Tür warten, in die Universitätskirche Einlass gefunden haben. Aber das würde ja voraussetzen, dass die Damen und Herren Professoren sich als Teil dieser Gesellschaft und der Stadt sehen, dass sie eine Ahnung verspüren, was in den Menschen vor sich geht, die heute Morgen ausgeschlossen wurden. Die meisten von ihnen haben die Sprengung der Unikirche 1968 miterlebt, waren 1989 aktiv an der Friedlichen Revolution beteiligt (gehörten also zum „Mob“) und mussten nun genau das erleben, worunter sie Jahrzehnte gelitten haben: eine ignorante Arroganz der Macht, die sich mit Türstehern absichert, deren Körper direkt aus der Runden Ecke entsprungen zu sein scheinen.
Man muss sich das vergegenwärtigen: Da wurde die Ministerin a.D. und Landtagsabgeordnete Christine Claus, der ehemalige Regierungspräsident Walter Christian Steinbach, die ehemaligen Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl von der Veranstaltung ausgeschlossen – und das alles mit Billigung des 1. Universitätspredigers, der Professoren der Theologischen Fakultät, der Universitätsleitung, der Dekane und sonstigen Professoren. Keiner, kein Einziger hatte den Schneid, aus diesem unwürdigen Treiben auszuscheren. Was zeigt uns das? Noch nie waren die Universitäten in Deutschland, und in Leipzig schon gar nicht, Keimzellen der Demokratie, aber immer schon ein Hort absolutistischen Gebarens und autoritären Denkens. Wann werden Universitätsangehörige aufstehen und das praktizieren, was sie eigentlich Studierenden vermitteln sollen: gesellschaftliche Verantwortung, demokratische Gesinnung und Zivilcourage? Es wird noch dauern. Bis dahin werde ich das tun, wozu mich heute einer der Professoren aufforderte: Ich solle mich schämen. Ja, ich schäme mich für diese Universität. Trotzdem bin ich dankbar für die neue Universitätskirche St. Pauli und konnte darum das im Programm natürlich nicht vorgesehene, von Martin Petzoldt aber spontan angestimmte „Nun danket alle Gott“ aus vollem Herzen mitsingen.
5 Antworten
Vielen Dank, lieber Pfarrer Wolff, für diese wie klaren und deutlichen Worte, durch die sie mir die Berichterstattung aus diesem Blickwinkel und diese Debatten um die Altargrundsteinlegung sehr in den Fokus gerückt haben. Es wäre wünschenswerter, wenn sich Kirche noch viel mehr so zu erkennen gäbe! So ist es in der Tat auch in meinen Augen fragwürdig, warum von offizieller Seite des Universitätsgottesdienstes hier keine klare Position erkennbar ist und man das ureigenste, den Gottesdienst, gerade zu diesem Anlass aufgibt (wie es pars pro toto gerade die Einladung zum Vaterunser, die ja mehr einem Versteckspiel glich, zeigt). Da fehlen Personen an forderster Front, wie Prof. Martin Petzoldt, der immer wieder klar, aber dabei besonnen Profil zeigt!
Auch ich bin Wessi aus Mannheim und studiere in Leipzig. Dieser Wiederaufbau ist doch ein Wunder in ein einer säkularisierten Gesellschaft. Peter Zimmerling, um den es hier wohl geht, wird als Gast in diesen Räumen wahrscheinlich seine Gründe gehabt haben. Her Wolff, Sie reagieren ziemlich gekränkt auf ihren Nachfolger. Sicherheit ist ein hohes Gut, auch der Flughafen BER wurde wegen Brandschutz nicht in Betrieb genommen. Und eine Einweihungsfeier 2014 ist unwürdig des Vergleichs mit einer Montagsdemonstration von 1989!
Mir sind beim Lesen des Beitrags von Herrn Wolff wirklich und wahrhaftig die Tränen in die Augen geschossen. Weder bin ich Christ noch habe ich damals mit den Mutigen an der Wende mitgewirkt – aber die einen wie die anderen haben meinen großen Respekt. Und zugleich wächst mein Widerwillen gegenüber Unternanengeist und Angestelltenmentalität. Warum kann sich ausgerechnet an diesem Ort der Schande, mit der ich vorrangig die Kirchensprenung von 1968 meine, nicht das Weltliche mit dem Religiösen auf würdevolle, menschliche Weise ins Benehmen setzen? Pfarrer Wolff hat mit kraftvollen. bemerkenswert unduldsamen Worten die mutmaßlichen Gründe benannt. Danke, auch wenn diese Worte den akademischen (und sonstigen) Dünkel nicht werden aufbrechen können – aber mögen sie zum Innehalten und zur Diskussion anregen.
Jämmerlich ist einzig und allein Ihr Kommentar, Herr Wolff. Sie können es offensichtlich nicht ertragen, dass die Universität eine selbstbestimmte Einrichtung ist, die nicht unbedingt den Rat eines Pfarrers im Ruhestand benötigt. Das komplexe Gebilde Kirche – Universität ist schwierig genug und in Leipzig mit vielen Emotionen belastet. Lassen Sie die Universität ihren Weg gehen, er ist schwierig genug und bedarf Ihrer Ratschläge nicht.
Ñ
Lt. heutiger LVZ war Herr STEINBACH sehr wohl geladener Gast, verzichtete jedoch von sich aus auf seine Teilnahme.