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Israel, der Antisemitismus und wir

Es gehört für mich zu den außergewöhnlichen Erfahrungen: So viele Menschen jüdischen Glaubens, die in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor dem Nazi-Terror flüchten mussten oder deren Angehörige in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet wurden, sind nach 1945 wieder nach (West-)Deutschland und nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 auch nach Ostdeutschland zurückgekehrt, haben sich für die Entwicklung des duch den Holocaust zerstörten jüdischen Lebens engagiert und sich als Bürger:innen in der deutschen Gesellschaft eingebracht. Diese einseitige Geste der Versöhnung und die Bereitschaft, an einem neuen demokratischen, weltoffenen Deutschland als Teil des freien Europas mitzuwirken, sollte uns allen nach wie größten Respekt abfordern. Denn das ist alles andere als selbstverständlich. Darum sind für mich nach wie vor einige Dinge unverhandelbar:

  • Wir, die Nachkommen derer, die die Vernichtung jüdischen Lebens, den Holocaust geplant, mitgemacht und zugelassen haben, sind bleibend ideell und materiell dafür verantwortlich, dass sich jüdisches Leben in Deutschland frei entfalten kann, dass jüdische Gottes- und Lebenshäuser wieder aufgebaut und errichtet werden. Wir haben auch dafür Sorge zu tragen, dass sich multireligiöses Leben in unserer Gesellschaft frei und öffentlich entwickeln kann und jeder Form von religiösem Fundamentalismus widerstanden wird.
  • Dem immer noch sehr virulenten Antisemitismus muss weiter aktiv widerstanden werden. Dabei definiere ich als Antisemitismus, bestimmte Verhaltensweisen typisierend Jüdinnen und Juden zuzuschreiben (Christusmörder, Wucherer, Weltherrscher), um daraus deren Minderwertigkeit abzuleiten und so gewalttätige und rassistische Ausgrenzung und Entmenschlichung zu rechtfertigen. Dieser Antisemitismus ist im christlich geprägten Europa über Jahrhunderte gewachsen. Das ist für die christlichen Kirchen bis heute eine Schmach und Schande. Weil der gewalttätige Nationalsozialismus darauf aufbauen konnte, musste die christliche Theologie nach 1945 neu durchbuchstabiert werden. Doch die grundlegende Revision der Theologie ist leider nur unzureichend erfolgt. Darum sollten wir uns hüten, heute von den eigenen Wurzeln des Antisemitismus abzulenken, wenn wir ihn in anderen Religionsgemeinschaften wie dem Islam wiedererkennen.
  • Unabhängig davon, wie die Politik der jeweiligen Regierung Israels beurteilt wird: die Existenz des Staates Israel darf keinen Moment infrage gestellt werden. Wir sehen derzeit weltweit, was geschieht, wenn Staatlichkeit von Ländern aus machtpolitischen Erwägungen mit Gewalt bestritten wird (Beispiel Ukraine). Wenn mir die Politik eines Landes nicht gefällt, darf dies nicht als Rechtfertigung dafür dienen, das Existenzrecht dieses Staates zu bestreiten. Der Staat Israel ist Teil des Nahen Ostens. Als solcher steht er wie alle anderen Staaten auch in der Pflicht, „Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, … Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben …“ (Präambel der Charta der Vereinten Nationen).

Nun zeigt die politische Wirklichkeit: Die Vorgänge im Nahen Osten und speziell die Rolle, die Israel im Nahen Osten spielt, lassen sich nur schwer trennen von dem, wie sich Menschen jüdischen Glaubens hier bei uns fühlen. Sie haben einen Anspruch auf eine doppelte Sicherheit:

  • zum einen in Deutschland wie in jedem anderen EU-Land angstfrei als Bürger:in Europas leben und sich frei bewegen zu können – völlig unabhängig davon, was im Nahen Osten geschieht;
  • zum andern jederzeit in den Staat Israel als Land ihres Glaubens zurück- bzw. heimkehren zu können.

Diese Sicherheit zu garantieren, schließt ein, dass im freien Europa Regierungen wie Bürger:innen die gegenwärtige Politik der Netanjahu-Regierung in Israel einer scharfen Kritik unterziehen müssen – insbesondere aus drei Gründen:

  • Immer mehr entzieht sich die Netanjahu-Regierung den Maßstäben des internationalen Völkerrechts. Mehr noch: Im Innern wie nach Außen setzt sich diese Regierung im Stil des Autokratismus über die unabhängige Judikative hinweg. Das ist insofern nicht verwunderlich, als wesentliche Teile der Regierung rechtsradikal und offen rassistisch agieren. Zusätzlich ist es zum Schulterschluss zwischen Benjamin Netanjahu und Donald Trump gekommen – zwei Autokraten, die sich weder um Rechtsstaatlichkeit noch um internationale Vereinbarungen und das Völkerrecht scheren.
  • Das jetzige, horrende Ausmaß des Krieges Israels gegen die Terrororganisation Hamas im Gaza lässt sich nicht mehr rechtfertigen. Das massenhafte Töten von Zivilisten, die Totalzerstörung der zivilen Infrastruktur sind völkerrechtswidrig und dienen schon lange nicht mehr dem legitimen Ziel, die Hamas zu entmachten. Diese Beurteilung schließt ein, dass das verbrecherische Pogrom der Hamas an der Bevölkerung Israels, der Überfall auf israelisches Territorium und die massenhafte Geiselnahme einer Kriegserklärung gleichgekommen ist.
  • Alle kriegerischen Interventionen der vergangenen 40 Jahre haben weder den Staat Israel in seiner Existenz sicherer gemacht, noch konnte dadurch der Terrorismus bekämpft werden. Im Gegenteil: Jeder Krieg hat neue terroristische Gruppen entstehen lassen. Auch jetzt ist nicht zu erkennen, dass durch die kriegerischen Militäraktionen Israels an verschiedenen Fronten und die aggressive Siedlungspolitik im Westjordanland der Nahe Osten einer Friedensaussicht nähergekommen ist.

So stehen wir in Deutschland vor zwei Aufgaben:

  • Wir haben zum einen jüdisches Leben in unserem Land und in Europa zu fördern und zu gewährleisten – allein schon deswegen, weil wir wesentliche Errungenschaften demokratischen und freiheitlichen Zusammenlebens Menschen jüdischen Glaubens verdanken (auch deswegen wurden und werden Juden angefeindet): Menschenwürde, Schutz des beschädigten Lebens, Notwendigkdeit des offenen Diskurses und des Kompromiss – all das, was die gegenwärtige Regierung in Israel vermissen lässt.
  • Zum andern muss Europa seinen Beitrag dazu leisten, dass es im Nahen Osten jenseits militärischer Interventionen zu Friedensinitiativen kommt: das Existenzrecht Israels wahren und einen Staat für die Palästinenser (Palästina) ermöglichen.

Dies hat jenseits jeder Form von Antisemitismus zu geschehen. Allerdings darf dieser auch nicht als Kampfinstrument gegen diejenigen eingesetzt werden, die die Politik Israels grundlegend kritisieren. Was wir jetzt in Deutschland und in der EU benötigen: eine Neuausrichtung der Politik im Nahen Osten abseits aller militärischen Interventionen. In diesem Sinn möchte ich an die letzte Rede des am 4. November 1995 von einem religiös-fanatischen, rechtsextremistischen Israeli ermordeten Izchak Rabin (1922-1995) erinnern: „Diese Regierung, der ich gemeinsam mit meinem Freund Schimon Peres das Privileg habe vorzustehen, hat sich entschieden, dem Frieden eine Chance zu geben – einem Frieden, der die meisten Probleme Israels lösen wird. […] Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch dies als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war.“ Eine solche Regierung ist Israel bald zu wünschen. Ein solcher Ansatz muss zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Nahostpolitik Deutschlands und der EU führen.

32 Antworten

  1. Lieber Joh. Lerchner –
    Ihr letzter Satz: „Es wächst aber der internationale Druck, Israel endlich in die Schranken zu weisen. Das ist gut so!“ trifft den Punkt, und nach den aktuellsten Äußerungen des machtpolitisch an „seinen“ Rechtsextremisten klebenden Netanyahu, er werde den Krieg bis zu vollständigen Zerstörung Gazas fortsetzen (offensichtlich mit dauerhaft lieferndem Kriegsmaterial aus den USA), muss ENDLICH die zivilgesellschaftlich fundamentierte Weltöffentlichkeit klarer und entschiedener sagen: STOPP!
    Auch wenn Herr Wadephul all das inszeniert und versucht, politisch mit seinen zahlreichen Gesprächen wo auch immer die Regierung Israels zu stoppen (was ihm bis dato nicht gelingt), wird solange Gaza vor der finalen Katastrophe nicht bewahrt, ist Netanyahu Regierungschef des jüdischen Staates. Und es sollte sehr darauf geachtet werden in jeder öffentlichen Debatte klar zu trennen zwischen dem Nicht-Lassen-Können eines Netanyahus und dem israelischen Volk, was nun wahrlich längst erkannt hat, dass „ihr“ Regierungschef Teil des Problems ist.
    Nicht nur nebenbei: Bei all diesem unseligen Thema: Krieg und Zerstörung Gazas und der Palästinenser wird der ebenfalls verheerende Krieg Putins in der Ukraine blass und blasser in der öffentlichen Aufmerksamkeit und gerät in den Hintergrund.
    Ein Letztes: Die Kommentare der Herren Wolff, Hoellger, Käfer, Lerchner, Lohmann, partiell auch Plätzsch zeichnen sich aus durch Sachlichkeit, Kenntnis, Realitätsbezug und nehmen lesbar Abstand von unausstehlichem Angriff, Verunglimpfung, Würdelosigkeit und Realitätsverlust. Ein Name bedarf hiermit nicht der Erwähnung! Und danke für diesen Deinen Beitrag, lieber Christian! Grüße – Jo.Flade

  2. So offen hier einer genozidalen Lösung des Palästinaproblems das Wort zu reden, finde ich verblüffend. Sollte es tatsächlich gelingen, die Palästinenser endgültig aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben und sie auf Dauer zu einem internationalen Versorgungsfall zu machen, wären letztendlich die israelischen Bemühungen belohnt, mit Hilfe der von ihnen zwischen 2008 und 2021 in Gaza angezettelten vier Kriegen (Operationen „Cast Lead“ 2008/2009, „Pillar of Defense“ 2012, „Protective Edge“ 2014, „Guardian of the Walls“ 2012.), systematisch die Lebensgrundlagen des palästinensischen Volkes zu liquidieren, die palästinensische Wirtschaft zu strangulieren und durch fortwährendes Schikanieren und wahlloses, massenhaftes Töten palästinensischer Zivilisten diese für einen Exodus zu konditionieren. Signale des Gewaltverzichts und des Verhandlungswillens seitens der Araber einschließlich der Hamas (Herr Hoellgen (03.08., 19:44) hat zu Recht auf die Neufassung der Hamas-Charta von 2017 hingewiesen) wurden von den Israelis mehrfach ignoriert.

    Mit der (aus israelischer Sicht) ethnischen Säuberung Palästinas ginge auch ein Traum der frühen Zionisten in Erfüllung. Von Beginn der massiven jüdischen Besiedlung palästinensischer Gebiete an, war es deren führenden Ideologen klar, dass es ohne einen „Transfer“ der angestammten Bevölkerung nicht ausgehen wird. Leo Motzki 1917: „Nach unseren Vorstellungen muss die Kolonisierung Palästinas in zwei Richtungen erfolgen: Jüdische Ansiedlungen in Erez Israel und Umsiedlung der Araber aus Erez Israel in Gebiete zunächst außerhalb des Landes …“. Was anfangs Extremistenmeinung war, wurde in den 1930ger Jahren Konsens. Ben-Gurion 1938: „Ich bin für den obligatorischen Transfer … Es gibt zwei zentrale Aufgaben: Souveränität und Reduzierung der Zahl der Araber im jüdischen Staat … Jene die sich nicht anpassen können, werden das Land verlassen müssen …“. Ben-Gurion und Weizmann akzeptierten später den von den Briten initiierten Teilungsbeschluss für Palästina, weil sie ihn „als den ersten Schritt … hin zur vollständigen Übernahme von Gesamt-Palästina“ ansahen. Was später folgte, ist unter dem Namen „Nakba“ in die Geschichte eingegangen: 325 Tausend vertriebene Palästinenser vor der israelischen Staatsgründung und danach weitere 425 Tausend, zahllose Massaker, Zerstörung von Dörfern, systematische De-Orientalisierung städtischer Architektur („Urbanizid“). Das Ganze nicht etwa als Folge des Angriffs der arabischen Armeen am Tage der Staatsgründung, sondern gemäß des von Ben-Gurion und Mitstreitern von langer Hand vorbereiteten Plans „Dalet“. Soviel zur Täter-Opfer-Relation.

    Dass eine Lösung des Palästinaproblems „Verletzungscharakter“ haben und mit gesellschaftlichen „Grenzüberschreitungen“ verbunden sein wird, mag richtig sein. Wie anders als mit Gewalt könnten die jüdischen Siedler aus den Palästinensergebieten wieder vertrieben und der systematische Landraub der vergangen Jahrzehnte rückgängig gemacht werden? Dass das wahrscheinlich nur mit internationaler Hilfe und vor alle durch Unterstützung der Staaten der „westlichen Wertegemeinschaft“ möglich sein wird, sollte auch klar sein. Die Macht dazu hätten sie. So wäre der aktuelle Gaza-Krieg innerhalb weniger Tage beendet, wenn die USA und Deutschland umgehend ihre militärische Unterstützung Israels abbrechen würden.

    Dass eine derartige Idee wahrscheinlich ebenso illusionär ist wie der Vorschlag A. Schwerdtfegers, will ich gern zugeben. Wie schnell die Israel-Lobby in Europa und den USA dabei ist, die Antisemitismuskeule zu schwingen, sobald eine Kritik an Israel mit ernsthaften Konsequenzen verbunden sein könnte, ist täglich zu erleben. Dass der brutale Umgang Israels mit den Palästinensern auch wirklichen Antisemitismus initiiert bzw. wiederbelebt, sollte nicht verwundern. Die Jüdin Hanna Ahrend, die sich zu den Binationalisten und Kulturzionisten zählte, hat das schon vor 80 Jahren hellsichtig vorhergesehen: „Wenn die Zionisten weiterhin die mediterranen Völker ignorieren und sich auf äußere, weit entfernte Mächte verlassen, wird das zu einer neuen Welle des Judenhasses führen“. In welche Richtung die Entwicklung in den nächsten Monaten gehen wird, ist unklar. Allenthalben herrscht Ratlosigkeit. Es wächst aber der internationale Druck, Israel endlich in die Schranken zu weisen. Das ist gut so!

    (Quellen in „Krieg ohne Ende“ von Michael Lüders, Goldmann 2024)

  3. Die Nahostexpertin Muriel Asseburg, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, sagte im FR-Interview (Michael Hesse, 3. August) auf die Frage „Ist die Zweistaatenlösung nicht mittlerweile eine Fiktion, wenn man sich die Zerstörung in Gaza ansieht?“:
    „In der Tat entfernen wir uns immer weiter von einer Konfliktregelung in Nahost – sei es in Form einer Zweistaatenregelung oder auch in anderer Form. Mit dem Scheitern des in Oslo vereinbarten Friedensprozesses, der eine Regelung auf der Basis der Grenzen von 1967 vorsah, ist die Auseinandersetzung wieder in einen existenziellen Konflikt um das gesamte Territorium zurückgefallen. Israels Regierung setzt auf Kontrolle des gesamten Gebiets und auf ’Frieden durch Stärke’, das heißt im Klartext auf militärische Dominanz statt auf Diplomatie und Kompromiss. Ohne eine Regelung, die beiden Bevölkerungen ein Leben mit Rechten und in Würde erlaubt, wird es aber keine Stabilität geben.“
    Und auf die anschließende Frage „Welche Option ist für die palästinensische Bevölkerung realistisch?“:
    „In beiden Bevölkerungen hat in den letzten Jahren die Unterstützung für eine Zweistaatenregelung abgenommen, weil sie nicht mehr als realistisch gesehen wird. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass sich wieder Unterstützung für eine solche Regelung generieren lässt, wenn sie realistisch wird, weil die internationale Gemeinschaft sich nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern mit aller Kraft dafür einsetzt.“

    Vielleicht also doch andere Beweggründe bei Macron als nur die Wirtschaftsbeziehungen zu arabischen Staaten?

    Meinungen können verschieden sein, nicht aber Fakten, und auch das Weglassen maßgeblicher Fakten ist nicht „Meinung“.

    Jerusalem soll der UN-Resolution 181 (1947) zufolge neutralen Status haben mit eigener Stadtregierung und mit Zugang und Wohnrecht der Bürger beider Staaten, und dem Recht aller Menschen, die heiligen Stätten der drei Weltreligionen aufzusuchen. Dagegen hat Israel Jerusalem 1950 zur Hauptstadt Israels erklärt, und die PLO 1988 zur Hauptstadt des palästinensischen Staates – beides unvereinbar. Eine „erneute Teilung Jerusalems“ (Schwerdtfeger) strebt niemand an. Allerdings kann man bei den Beschränkungen in Bezug auf den Tempelberg an eine faktische Teilung denken.

    Meron Mendel wird von Michael Wolffsohn als einer der Juden bezeichnet, die „ohne Antisemitismus als Antiisraelismus“ sich „keinen Eintritt in die Welt der Kultur-Hegemonen verschaffen“ könnten (in „Nie wieder? Schon wieder!“, 2024), Muriel Asseburg, die selbst mehrere Jahre in Palästina gelebt hat, von Botschafter Ron Prosor als Antisemitin. Und Sophie von der Tann verstoße gegen die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit, verbreitet Prosor, sie solle besser Aktivistin werden. Das ist der Grundton der Unsachlichkeit, in dem die Nahost-Debatte gerade nicht geführt werden sollte.

  4. Ich habe, Herr Wolff, das Mendel-Interview des DLF gehört – und fand es schändlich: Einseitig, unpolitisch, realitätsfremd und überheblich. Im Gegensatz zu dem unerzogenen Flegel (zB „Donald S.“ oder „Hooligan“) oder auch zu dem mir noch eine Antwort schuldigen Mitblogger (auf die Frage nämlich, ob er sich eine Teilung Jerusalems ernsthaft als Lösung vorstellen kann), nehme ich Mendel aber als eine wenn auch nicht hilfreiche Meinung wahr und habe ihn deshalb auch nicht erwähnt. Und dies würde ich auch bei meinen Gegnern nicht tun, wenn sie nicht dauernd die Hälfte Ihrer Anmerkungen auf mich verschwenden würden.
    Ich habe die schwächelnden Reaktionen in diesem Beitrag wieder etwas angeschoben – das müsste Sie doch freuen, lieber Herr Wolff, angesichts der Tatsache, dass ansonsten nur liebedienerische Zustimmung eher langweilig ist. Denn Diskussion ist das Salz der Demokratie. Und wenn dann einer meint, er müsse sich zu meinem Erfahrungshintergrund äußern, dann finde ich es auch in Ordnung, wenn ich diesen ergänze um die Aspekte, die eben diese Kritiker nicht haben. Oder? Ich erkenne gerne auch andere Hintergründe an, die ICH nicht habe, zB Herrn Plätzsch’s phänomenale Begabung, alles Mögliche im Internet zu entdecken.
    Und damit Sie mich nicht wieder abwürgen müssen – ich betrachte die Meinungen jetzt als ausreichend ausgetauscht (was natürlich einige sofort zu Ausdrücken der Erleichterung ermutigen wird).
    Andreas Schwerdtfeger

  5. Wie wohltuend, die Beiträge von z.B. Herrn Wagner (27.7., 9:37 Uhr) und Herrn Lohmann (27.7., 0:25 Uhr) zu lesen, im Gegensatz zu praktisch allen Texten von Donald S.
    Das fängt an mit der respektvollen Ansprache des/der Mitdiskutanden (mit Herr/Frau, oder mit Vor- und Nachname), statt eines Kasernenhof-Tons („Hoellgers ganzer Beitrag zeigt nur Bürokratie, Rechthaberei und Phantasielosigkeit…“), geht über den Grad an Sachlichkeit der Argumente (man vergleiche Kurt Hoellger’s Beiträge mit den „Basta-Sätzen“ von Herrn Schwerdtfeger: „was ist denn das für ein Unsinn“, oder „Hoellgers Beitrag ist eine vollständige Tatsachenumkehr, wie ich schon ständig nachgewiesen habe“) bis hin zur Selbstüberhöhung („Meine Meinung hat sich gebildet aus recht langer Tätigkeit im Felde der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, in Begegnungen und Gesprächen mit der internationalen Gemeinschaft aus über 100 Ländern, aus Reisen in Asien, Europa, Amerika (Nord und Süd), in Nato-Ländern und ehemaligen Warschauer-Pakt-Ländern, etc.“).

    Es ist schade, wenn eine aktuelle, insbesondere in Deutschland sensibel zu führende Diskussion durch Schwarz/Weiss-Argumentation im Keim erstickt wird.
    Natürlich haben wir aufgrund unserer verbrecherischen Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber Israel – nicht aber gegenüber einer zumindest in Teilen rechtsradikalen, völkerrechtswidrig agierenden Regierung Netanjahu!
    Natürlich haben auch die Palästinenser ein Recht auf Existenz in gesicherten Grenzen und auf Humanität; Israel darf Hilfslieferungen nach Gaza keinesfalls weiterhin blockieren; die Zerstörung aller Lebensgrundlagen der Bevölkerung im Gazastreifen ist trotz des brutalen und verbrecherischen Überfalls und der Geiselnahme durch die Hamas nicht (mehr) zu rechtfertigen!
    Auch die Bundesregierung sollte endlich klare Worte gegenüber Netanjahu finden und eine Strategie entwickeln, die eine Zwei-Staaten-Lösung zumindest auf längere Sicht möglich macht. Ein Anfang dazu könnten verstärkte Kontakte zu Oppositionskreisen in Israel sein, die sich ja seit Monaten in zahlreichen Demos gegen die eigene Regierung artikulieren. Aus meiner Sicht verbieten sich auch weitere Waffenlieferungen, solange sich die israelische Regierung derart klar völkerrechtswidrig verhält. Reise-Einschränkungen für radikale Siedler (wie Meron Mendel sie im DLF-Interview erwähnt) könnten ebenfalls wirksam sein.

  6. Es geht wohl nicht so recht voran mit der Diskussion um diesen Beitrag, der ja auch wirklich inhaltlich nichts Neues bringt, sondern nur die berühmte „Schleife“ darstellt. Oder? EINE Neuigkeit hat er doch gebracht, nämlich, dass es Ihnen, Herr Wolff, gelungen ist – eine Seltenheit –, Ihre Meinung in vergleichsweise mildem Ton und ohne verbale Beleidigungen vorzubringen. Ich beglückwünsche Sie dazu. Und schiebe vielleicht die Diskussion wieder an.
    In anderen Beiträgen bisher wurde das Thema schon ausführlich behandelt. Es freut mich, dass Wolff sich Mühe gegeben hat, eine gewisse Ausgewogenheit zu zeigen. Zu dem entscheidenden einleitenden Satz hat er sich freilich nicht durchringen können: Die Hamas muss bedingungslos ALLE Geiseln freilassen – und DANN ist Israel in der Pflicht, diesen Krieg zu beenden. Eine Zwei-Staaten-Lösung freilich wird immer Illusion bleiben und es wird wohl mehr Phantasie und eine gewisse Bereitschaft zu Lösungen auch mit „Verletzungscharakter“ brauchen, um Frieden in diese Region zu bringen. Und zu unterstreichen ist, dass in Deutschland die Solidarität mit den Juden HIER durch deutlich strengere Haltungen gegenüber den feindlichen Demonstrationen gegen sie nicht nur verbal, sondern auch politisch und rechtlich untermauert werden muss.
    Es fällt inzwischen auf, wie sehr sich die unter einseitigem Druck öffentlicher Meinungen stehenden westlichen Regierungen zu einer Politik erpressen lassen, die dem Ziel des Friedens in der nahöstlichen Region kaum dient. Was ist schon politisch an der Idee, einen Staat nur deswegen anerkennen zu wollen, weil man einen anderen Staat bestrafen will? Was ist schon politisch an dem Konzept, einen Krieg dadurch beenden zu wollen, dass man die ständige Kriegsgefahr in der Region durch staatliche (Iran) oder terroristische Fundamentalisten runterredet und den Verteidiger gegen diese Bedrohung zum eigentlichen Übeltäter erklärt? Es fällt auf, wie die jetzt einknickenden Regierungen und Gesellschaften (öffentliche Meinungen) diesen Brennpunkt moralisch und rechtlich kommentieren zu müssen glauben – und dies gleichzeitig bei fast noch schlimmeren, teilweise auch länger andauernden humanitären Katastrophen eben nicht tun: Sudan, Libyen, Eritrea, der ganze zentralafrikanische Raum, Venezuela, Iran, Zentralasien, usw. Die Fokussierung auf den demokratischen Staat Israel entbehrt deswegen leider eben doch nicht – bei allen Versuchen zur Ausgewogenheit – des Verdachts des Antisemitismus, der sich hinter moralischer Überlegenheit aus der Sicherheit des (Rechts-)Friedens Europas (jedenfalls dessen NATO-Gebiets) heraus über die ständigen und jahrzehntelangen rechtlichen und militärisch-terroristischen Angriffe gegen Israel von seinen Nachbarn erhebt. Aber ich betone nochmal: Herr Wolff, Sie haben Ihre Ansicht diesmal ohne die sonst übliche verbale Aggressivität eingebracht und sie ist gewichtig und nachdenkenswert. Es wäre schön, wenn man sie ergänzen könnte um eine Perspektive für die Region und für die Menschen. Aber eine solche Perspektive – die zudem noch für die Übergangszeit dem Prinzip „Entflechtung“ folgen müsste – sehe ich in absehbarer Zeit nicht außer durch gemeinsame Bildung der Jugend und der Frauen beider Seiten (ein langer Prozess, der zudem Einverständnis und gesellschaftliche „Grenzüberschreitung“ voraussetzt) oder durch Umsiedlung der Palästinenser (wie bereits dargestellt), die aber durch Totschlagvokabeln bereits als Lösung zu verbrennen droht.
    Die wahrscheinlichste „Lösung“ ist leider wohl eher eine „Ermüdungsrückkehr“ zum Status quo ante. Und will dann die Welt wirklich nach einem teuren Aufbau wieder zurückfallen in die Gewohnheit, ein Gebiet und eine Bevölkerung jahrelang mit 600 Lkw täglich zu ernähren? Ein Palästinenserstaat der „Zwei-Staaten-Lösung“ bietet insbesondere, aber auch nur diese Perspektive.
    Andreas Schwerdtfeger

    1. Dieser Kommentar ist insofern sehr erhellend, als er sehr viel aussagt über die Geisteshaltung des Verfassers. Widerspricht die „öffentliche Meinung“ einem Regierungshandeln, das auf Zustimmung des Kommentators stößt, dann sehen sich diese Regierungen nach Meinung von Herrn Schwerdtfeger einem unbotmäßigen „Druck“ ausgesetzt bzw. werden „erpresst“. Das ist schon ein mehr als merkwürdiges Verständnis von einer öffentlich geführten kontroversen Debatte in einer demokratischen Gesellschaft.
      Ansonsten folgt Herr Schwerdtfeger dem mehr als fragwürdigen Narrativ, wer die Politik der Regierung Israels kritisiert, gefährdet jüdisches Leben bei uns und rechtfertigt den Terror einer Hamas. Das ist natürlich Unsinn. Gerade wer die Existenz des Staates Israel verteidigt und jüdisches Leben in Europa fördern und schützen will, ist aufgerufen, einer Politik entgegenzutreten, die nur den Terror im Nahen Osten fördert und nichts zu einer Befriedung beiträgt. Die Politik, die Herrn Schwerdtfeger vorschwebt, hat jedenfalls in den vergangenen 40 Jahren dazu geführt, dass allerorten verbrannte Erde hinterlassen wurde und der Terror zugenommen hat.

      1. Wolffs Replik zeigt viererlei:
        1. Er kann andere Meinungen nicht ertragen und muss sie also verunglimpfen, anstatt sie als „andere Meinung“ stehen zu lassen oder eben zu widerlegen.
        2. Er blendet die Realität überall dort aus, wo sie nicht in sein Konzept passt, denn wer wollte ernsthaft bestreiten, dass die anti-israelische Stimmung in unserer Gesellschaft ganz wesentlich Mitauslöser des Ansteigens antisemitischer Vorfälle in unserem Lande ist. Er macht daraus schnell ein „fragwürdiges Narrativ“ – und hat also Recht.
        3 Er leugnet offensichtlich, dass Regierungen öffentlichem Druck aus Gesellschaft und Medien ausgesetzt sind und sich diesem nur begrenzt entziehen können. Man fragt sich, wo er lebt.
        4. Die Politik, die mir „vorschwebt“, hat eben im Gegensatz zu Wolffs Behauptung ganz wesentlich den Frieden bewahrt, wie die Politik der Nato in der Zeit des Kalten Krieges so eindrucksvoll bewiesen hat – eine Politik, die also auch sein Heros Brandt befolgt hat: Verfolgung politischer Ziele mit diplomatischen Mitteln auf der Basis von starker Abschreckung und gleichgewichtiger, überprüfbarer Abrüstung. Wolff erkennt das nicht an – aber er profitiert davon, um seine gutmenschlichen, abstrakten und irrealen politischen Theorien zu Lasten realer (wenn auch nicht perfekter) Lösungen zu propagieren.
        Andreas Schwerdtfeger

        1. 1. Wenn ich es richtig sehe, dann habe ich am Kommentar von Herrn Schwerdtfeger weder etwas verändert, noch habe ich ihn weggedrückt. Ich habe diese Meinungsäußerung also stehen gelassen.
          2. Ob ich „Recht habe“ entscheidet weder Herr Schwerdtfeger noch ich selbst. Die politische Entwicklung wird es zeigen.
          3. Regierungen sollten in der Demokratie selbstverständlich die öffentliche Stimmungslage in ihr Handeln einbeziehen.
          4. Ich frage mich, wo die Politik, die Herrn Schwerdtfeger vorschwebt, im Nahen Osten zur Befriedung beigetragen hat.

          1. Wie immer, lieber Herr Wolff, diskutieren Sie kräftig am Thema vorbei: Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie andere Meinungen „verunglimpfen“ – und das haben Sie getan, zB mit Ihrem Hinweis auf die „Geisteshaltung des Verfassers“ oder das „merkwürdige Verständnis“. Dies alles wäre dann legitim, wenn Sie es dann auch inhaltlich widerlegen, was Sie aber nicht tun – mich würde ja zB Ihr Gegenargument gegen meinen Punkt 2 sehr interessieren. Ansonsten gilt: Ich danke Ihnen in der Tat dafür, dass Sie meine Stellungnahmen veröffentlichen.
            Und was Ihren Punkt 4 angeht: Die Politik, die mir „vorschwebt“, ist ja gar nicht verfolgt worden – und kann also auch nicht zur Befriedung beigetragen haben. Was mir vorschwebt, konkret, wäre gewesen, dass die arabischen Staaten ihre mehrfachen Niederlagen über sieben Jahrzehnte anerkannt und ihre Politik gegenüber Israel geändert hätten. Was mir „vorschwebt“ ist, dass die UNO, die ja weder Gericht noch objektive politische Instanz ist, ähnlich der Nachkriegslage in Europa die Tatsachen in der Region als gegeben anerkannt hätte und der Staat Israel heute also vom Golan bis zum Negev und vom Jordan-Fluss bis zum Mittelmeer reichen würde (oder eben, ähnlich Ägypten auf dem Sinai, andere Regelungen vertraglich zwischen den Staaten vereinbart worden wären) – und dass der Westen diese Positionen geschlossen und nachdrücklich vertreten hätte. Oder glauben die Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung tatsächlich – und wünschen es auch – dass Israel einer erneuten Teilung Jerusalems zustimmt (und dass das dann nicht ewiger Anlass für Streit wäre) oder dass die Araber darauf verzichten würden? Dabei leugne ich israelische „Schuld“, zB in der Siedlerfrage und im Siedlerverhalten nicht, aber leider haben auch diese Tatsachen geschaffen.
            Meine Politikvorschläge – ein vernünftiges geographisches Gestalten Israels auf der Basis der Kriegsausgänge und das Angebot einer Umsiedlung der Palästinenser in andere Staaten zusätzlich zu einer Entwicklungshilfe, die sich AUSSCHLIESSLICH auf Bildung beschränkt – mögen utopisch und auch ungerecht klingen. Das diskutiere ich gerne. Aber die jetzigen sogenannten Lösungsansätze sind rückwärtsgerichtet, nicht praktikabel und krisen-/kriegsverlängernd. UND: Sie fördern den Antisemitismus in aller Welt und besonders auch in Deutschland, wo ja die Hysterien und Tatsachenumkehrung immer besonders schnell greifen.
            Andreas Schwerdtfeger

      2. „Die Hamas muss bedingungslos ALLE Geiseln freilassen – und DANN ist Israel in der Pflicht, diesen Krieg zu beenden.“
        __________________________________________________________________________________________
        Diese Sichtweise impliziert, dass durch die fortgesetzten Kampfhandlungen Israels die Geiseln befreit werden können. Bisher wurden aber nur 8 Geiseln durch militärische bzw. geheimdienstliche Operationen befreit. Demgegenüber wurden 130 Geiseln plus 8 Tote durch Verhandlungen mit der Hamas befreit. Wieviele Geiseln durch militärische Aktionen Israels unmittelbar bzw. mittelbar getötet wurden, ist nicht bekannt.

        1. Was ist denn das für ein Unsinn, Herr Plätzsch. Mein Argument impliziert überhaupt nichts – außer dass erstens das gesamte Verbrechen des Hamas-Überfalls vom 7. Oktober mit der Ermordung von über 1000 Israelis und der völkerrechtswidrigen Geiselnahme Auslöser für den Krieg gewesen ist und dass zweitens mit der bedingungslosen Rückgabe der Geiseln der Grund für den Krieg entfallen würde.
          Dass freilich die Hamas genau weiß, dass sie gar nicht alle Geiseln freilassen kann, weil sie dann ihr einziges Faustpfand im Medienkrieg gegen Israel verliert, steht auf einem anderen Blatt.
          Andreas Schwerdtfeger

          1. Nein, das ist kein Unsinn. Die Kriegführung Israels im Gaza hat nichts mehr mit der Befreiung der Geiseln zu tun. Das beinhaltet auch die scharfe und anhaltende Kritik, die Angehörige der Geiseln an der katastrophalen Politik Netanjahus üben.

    2. Erst wenn die Hamas bedingungslos alle Geiseln freigelassen hat, sei Israel in der Pflicht, den Krieg zu beenden. Der asymmetrische Krieg, den die hochgerüstete israelische Armee mit ihrer allerdings moralisch verkommenen Führung erweislich nicht gewinnen kann, soll Schwerdtfegers Ansicht von Staatskunst („Politik“) zufolge immer weiter fortgeführt werden von Hamas’ Gnaden. Was an I h r e m Konzept ist eigentlich politisch, Herr Schwerdtfeger? Würden Sie Ihre Wahrheiten einfach mal anhand der Fakten, die Herr Plätzsch anführt, überprüfen?

      Und welcher Grund, bitte, besteht für die von Ihnen befürwortete „Umsiedlung“ der Palästinenser? Ihre Vertreibung hatten z.B. meine Vorfahren hinzunehmen, weil die die Völkergemeinschaft billigte als Folge der von der Nazi-Führung angezettelten Vernichtungsfeldzüge. Ist eine ähnlich schwerwiegende Kollektivschuld der Palästinenser wirklich die (Schwerdtfeger) „ständige Kriegsgefahr in der Region durch staatliche [Iran] oder terroristische Fundamentalisten“? Oder ist es doch bloß die Nachbarschaft zu einem sich – zu Teilen – imperialistisch gebärdenden und auf alttestamentarische Texte berufenden Volk? Dessen Staatsführung die Palästinenser seit Jahrzehnten existenziell bedrängt und behindert. Wo bleiben da die zur „Sicherheit des [Rechts-]Friedens“ (Schwerdtfeger) in Europa fast 80 Jahre – nicht zuletzt militärisch von der NATO (auch mit der Bombardierung Serbiens 1999, dann mit dem Einmarsch der KFOR) – verteidigten Grundsätze der Gewaltfreiheit und der Unverletzlichkeit der Grenzen, KSZE 1975?

      Wohin wollen Sie, bitte, 6 Millionen Palästinenser umsiedeln? Sollen sie den Platz der zufällig auch 6 Millionen europäischen Juden einnehmen, die wir Deutschen auf dem Gewissen haben? Ihre konkreten Vorschläge, bitte!

      Die Irrationalität und die Doppelmoral ansonsten vernünftiger Menschen treibt mich wirklich um: Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein, der Anfang März Trumps „Riviera des Nahen Ostens“-Plan damit befürwortete, „radikal und einmal völlig neu zu denken“, der Dlf-Kommentator Marcus Pindur, der Ende Juli angesichts der Bilder hungergezeichneter Gaza-Kinder meinte, auf Kindermord als mittelalterlichem „Symbol des Judenhasses“ anspielen zu müssen. Die Zwanghaftigkeit der Antisemitismus-Verdächtigung ist hier so offensichtlich wie es die nibelungenhafte Israeltreue insbesondere Deutschlands als Ursache dafür ist, dass der gewaltsamen Aneignung fremden Territoriums durch Israel so lange zugesehen wurde.

      1. Hoellgers Beitrag ist ein besonders gutes Beispiel vollständiger Tatsachenumkehr, wie ich schon ständig nachgewiesen habe: Wer hat die Kriege gegen Israel angefangen? Wer überzieht seit Jahrzehnten Israel mit Terror? Wer hat (wie es Iran immer noch tut) die Auslöschung Israels als Staatsziel ständig proklamiert? Wer hat den jetzigen Krieg mit einem ungeheuren Verbrechen angefangen? Wer hält immer noch Geiseln und macht durch sein Verhalten deutlich, dass er diese Geiseln auch gar nicht freilassen will, weil damit DAS Faustpfand in der Hamas-Strategie des Kidnappings der Medien ginge? Wer sabotiert alle Verhandlungen zu Waffenstillständen und zum Frieden (insbesondere jetzt, wo Macron der Hamas auch noch das Instrument dafür in die Hand gegeben hat)?
        Interessant, dass Hoellger die israelische Führung so gut kennt, dass er sie als „moralisch verkommen“ erkennt. Hoellger sitzt ja auch im sicheren Frieden Deutschlands und wurde nicht in seinem Haus ermordet, aus demselben vertrieben, von Hamas, Hisbollah, Houthi oder Iran beschossen, etc. Und er beurteilt Tatsachenumkehr offensichtlich nicht als moralisch verkommen.
        Und seine politische tour d’horizon ist ja auch ein Mischmasch von Unkenntnis und Propaganda. Ich weiß auch – und sage das auch immer -, dass militärische Einsätze politische Probleme nicht lösen, sondern nur als Instrument der Politik Hilfestellung zur Lösung anbieten können. Aber gerade seine Anspielung auf Serbien zeigt seine ganze Vergesslichkeit: Ich jedenfalls erinnere mich noch, wie sehr gerade die deutschen Moralisten lautstark forderten, dass man Verbrechern wie Milosevic oder Mladic Einhalt gebieten müsse. Ich weiß natürlich, dass Hoellger und Wolff dies lieber mit der Bergpredigt getan hätten.
        Schließlich zur sogenannten Vertreibung: Das ständige Nein zum Versuch, Lösungen zu finden, ist wohlfeil und unsinnig. Nochmal: Die Zwei-Staaten-Lösung baut auf „Entflechtung“ – ein richtiges Prinzip, das sich aber offensichtlich zwischen Jordan und Mittelmeer nicht (mehr) praktisch umsetzen lässt und dass auch im Brennpunkt Jerusalem völlig ausgeschlossen ist. Es braucht also andere Lösungen. Und meine Vorschläge zur „Umsiedlung“ – so schwierig sie umzusetzen sind, anerkannt! – bauen auf genau dem, was Hoellger als eigene Familienerfahrung darstellt – eine Erfahrung, die ich auch habe. Und diese Erfahrung ist: Der Generation, die der „Vertreibung“ folgt, hat es häufig besser, weil sie nicht in Hass und Armut bildungslos aufwächst.
        Andreas Schwerdtfeger

        1. Herr Schwerdtfeger, auf Ihrem Feldherrenhügel mitten im Gazastreifen, mit Ihrer Kompetenz des studierten Nahost-Historikers sowie des Generalstäblers übergehen Sie mit Ihren „Wer“-Fragen die Entwicklung, die der Nahe Osten seit dem ersten israelisch-arabischen Krieg 1948 genommen hat: Friedensschluss Israels mit Ägypten, 1979, mit der PLO Oslo-I 1993, mit Jordanien 1994, Hamas-Grundsatzpapier 2017: zwar ohne Anerkennung Israels aber mit Akzeptieren der Grenzen von 1967 (palästinensischer Anspruch auf Westjordanland, Gazastreifen, Ostjerusalem), Abraham-Abkommen 2020 mit den Vereinigt. Arabischen Emiraten und Bahrein, letzteres umstritten deshalb, weil es die Palästina-Frage ausklammert. Diese hat ihren Ursprung in der Etablierung des Staates Israel und der damit verbundenen Vertreibung von rund 700.000 Arabern – zwar keine Rechtfertigung für Terrorismus, aber dringender Grund, eine dem Lebensrecht der Palästinenser gerecht werdende Neuordnung zu finden. Wer die über Jahrzehnte mit Kräften verhindert hat und weiter zu verhindern sucht – diese „Wer“-Frage haben Sie mal eben vergessen.

          Ich sprach nicht von der israelischen Führung als „verkommen“, sondern von der Führung der IDF. Mit der haben nach den Berichten von „Breaking the Silence“ auch israelische Soldaten ihr Problem, die einen Anstand haben. Laut UN wurden seit dem 27. Mai 1373 Palästinenser bei der Suche nach Nahrungsmitteln getötet, 859 in der Nähe der GHF-Ausgabestellen, 514 entlang der Routen von Lebensmittelkonvois. Eines Tages, so meine Hoffnung, werden diese Verbrechen aufgeklärt und insbesondere die dafür verantwortlichen Befehlshaber bestraft.

          Der Luftkrieg gegen Serbien 1999 war völkerrechtlich illegal, erschien aber nach Srebrenica 1995 den Handelnden als einzige Möglichkeit, Wiederholungen zu verhindern – ein klassisches Dilemma, das etwa Bündnis90Die Grünen bekanntlich fast zerrissen hat. Wo Wolff und Hoellger jeweils stehen in so einer Gewissenfrage – da verfügen Sie, lieber Herr Schwerdtfeger, offensichtlich über hellseherische Fähigkeiten.

          Schuldig sind Sie mir die Beantwortung der Frage geblieben, wohin die 6 Millionen Palästinenser gehen sollen, wenn Israel das Westjordanland, der Gazastreifen und Ostjerusalem überlassen werden soll als palästinenserfreies Judäa, Samaria und Gazastreifen. „Wohlfeiles ständiges Nein“ sehe ich bislang nur bei denen, die bereits jeden Ansatz zur Zwei-Staaten-Lösung sabotiert haben – und bei Ihnen, der das resignierend akzeptiert.

          1. Wie oft eigentlich will ein Mann wie Hoellger noch Recht haben? Er hat eine andere Meinung als ich – das ist in Ordnung (aus meiner Sicht – aus seiner darf ich wohl keine andere Meinung als er haben). Ich sehe seine ganzen Hinweise – ich kann es leider nur wiederholen – als Täter-Opfer-Umkehr; er sieht meine Hinweise als einseitig (was wir in Wirklichkeit wohl beide sind). Also kommen Sie doch runter von Ihren hohen Ross und lassen Sie einfach Anspielungen auf Hintergründe des jeweiligen Wissens. Meine Meinung hat sich gebildet aus recht langer Tätigkeit im Felde der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, in Begegnungen und Gesprächen mit der internationalen Gemeinschaft aus über 100 Ländern, aus Reisen in Asien, Europa, Amerika (Nord und Süd), in Nato-Ländern und ehemaligen Warschauer-Pakt-Ländern, etc. Das macht meine Meinung nicht richtiger als andere, aber man könnte sie eben auch als Meinung, nicht als alleinig richtig, akzeptieren. Und schuldig geblieben bin ich gar nichts: Ich suche nach Möglichkeiten, einen Dauerkonflikt zu entschärfen; dass Meine Vorschläge auch nicht problemlos sind, ist doch offensichtlich. Aber man könnte sie eben einbeziehen in andere Ansätze und so wenigstens wieder diplomatische und nicht nur militärische Initiativen beginnen. Hoellgers ganzer Beitrag zeigt nur Bürokratie, Rechthaberei und Phantasielosigkeit – und so verlängern wir dann eben – ähnlich der Ukraine – einen Krieg, der Entsetzen und Mitleid auslösen sollte anstatt einseitige moralische Überlegenheit angesichts einer Lage, die wir uns gar nicht vorstellen können in unserem so überheblichen Hoellger’schen Deutschland.
            Andreas Schwerdtfeger

          2. „Vielleicht sollte sich Herr Schwerdtfeger einfach einmal das heutige Interview mit Meron Mendel, Leiter der Gedenkstätte Anne-Frank in Frankfurt/Main anhören.“
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            Herr Prof. Mendel spricht sich für eine Anerkennung eines Palästinenserstaats jetzt durch die EU und Deutschland aus. Er sieht ihn repräsentiert durch Mahmud Abbas (Kampfname Abu Mazen).

            „Seit November 2004 ist er Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), seit dem 15. Januar 2005 Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und seit dem 23. November 2008 Präsident des von einigen westlichen Staaten nicht anerkannten Staates Palästina. Seit dem 10. Januar 2009 führt Abbas die Amtsgeschäfte ohne demokratische Legitimierung.“
            https://de.wikipedia.org/wiki/Mahmud_Abbas

            Im Gazastreifen verfügt Abbas über keinerlei Macht. Es gibt keinen palästinensischen Staat. Deshalb kann auch nichts anerkannt werden. Der französische Präsident Macron verfolgt mit der angekündigten Anerkennung eines Staates Palästina vor allem eine Verbesserung der Beziehungen Frankreichs zu den arabischen Staaten aus wirtschaftlichen Gründen.

        2. Zitat Andreas Schwerdtfeger: „Meine Meinung hat sich gebildet aus recht langer Tätigkeit im Felde der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, in Begegnungen und Gesprächen mit der internationalen Gemeinschaft aus über 100 Ländern, aus Reisen in Asien, Europa, Amerika (Nord und Süd), in Nato-Ländern und ehemaligen Warschauer-Pakt-Ländern, etc. “
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          Wenn Sie in solchen Sphären unterwegs waren, wundert es mich, dass Sie sich auf das in Ihren Augen offensichtlich niedrige Niveau der hiesigen Diskutanten herablassen.

  7. Ich stimme dem Kommentar von CW hinsichtlich deutscher Juden voll zu. Die jüdischen Bürger bedürfen ohne Zweifel unseres Schutzes.
    Die jüdischen Organe sollten lernen, nicht alles, was in Israel geschieht und getan wird , als von anderen nicht kritisier- weil nicht verstehbar, zu behandeln. So kommen wir nicht weiter. Die Politik der israelischen Regierung muss beurteilbar und kritisierbar sein, wie das mit anderen Staaten auch der Fall ist.

    (Für mich sollte im Übrigen keine Volksverhetzung straffrei bleiben, ob sie inländische oder ausländische Bürger betrifft. Dad ist aber
    heute nicht der Fall. )

    Vieles könnte und sollte klarer werden, wenn folgendes klar wäre, von allen Seiten: Es gibt ein unbestreitbares Existenzrecht von Juden im ehemaligen Palästina. (1). Es gibt aber auch ein unbestreitbares Existenzrecht der Palästinenser im ehemaligen Palästina (2). Beides basiert auf den Beschlüssen der UN von 1948. Daran kst sich zu orientieren.
    Ich habe nirgends gefunden, dass Israel dieses Prinzip, akzeptiert hat, noch dass die Palästinenser letztlich dem in Gänze zugestimmt haben.
    Für mich liegt es an Israel, der militärisch stärksten Formation, dieses Prinzip zu bestätigen. Dies ist einzufordern.
    Darüberhinaus: Völkermord und ethnische Vertreibung sind juristische Begriffe, die auch die zuständigen Gerichte neutral abzuarbeiten haben.

  8. Ich möchte der Haltung von Frank Lohmann
    meinen vollsten Respekt aussprechen, zeigt sie doch an , wie freundlich man die Meinngsbildung
    eines anderen Menschen achten kann und sie als eine Erweiterung und ggf. Korrektur der
    eigenen Meinung respektieren kann.

  9. Es ist ein grundlegendes Missverständnis, dass Israel oder der Zionismus etwas mit „sicherer Heimstadt der Juden“ zu tun habe.
    Umgekehrt wird ein Schuh daraus: schon Herzl wusste, dass die Leiden der Juden Instrument sein kann und muss für einen imperialen Kolonialismus, der den Interessen der Briten und heute der USA dient und sonst niemandem.
    Dass die Deutschen die letzten sind, die das verstehen werden, sei ihnen verziehen. Der Weltgeist ist eh längst weitergezogen.

    1. In anderen Worten: was wir heute erleben ist der Versuch, die Idee eines Erez Israel zu realisieren, die spätestens seit 1948 von Ben Gurion verfolgt wurde. Und kein Missbrauch durch Netanjahu.

      1. Falsch. „Eretz Israel“ steht für das historische Heimatland der Juden, das über das Staatsgebiets Israels hinausreicht. Ben Gurion verfolgte keine alttestamentarisch begründeten Ansprüche wie die Siedler heute im Westjordanland, abgesichert von der israelischen Armee. Er hielt sich 1948 nur nicht an den UN-Teilungsplan, sondern behielt darüber hinaus das eroberte Territorium innerhalb der sog. Grünen Linie, heute anerkanntes Staatsgebiet Israels. Netanjahu aber „missbraucht“ durchaus, nämlich die angeblich göttliche Landverheißung als tagespolitische Maxime.

        Und die Bedeutung von Theodor Herzl’s Judenstaat (1895) als „sichere Heimstatt“ ist – so – erst richtig deutlich geworden mit der Shoa und 400.000 Displaced Persons als ein Ergebnis des II. Weltkriegs. Jedenfalls dieses Leiden der Juden konnte Herzl schwerlich schon instrumentalisiert haben für imperialen Kolonialismus der Briten und heute der USA. Wenn Sie damit auf die Trump’schen Gaza-Pläne anspielen, Herr Kobel, so sehe ich den Weltgeist noch lange nicht weitergezogen.

  10. Lieber Christian,
    ich lese – allein schon, weil ich ihn aboniert habe – regelmäig deinen Blogg, halte mich aber normalerweise mit Bewertungen zurück, obwohl ich in den meisten Fällen deine Meinungen teile und deine Worte mir oft nachgehen. In diesem Fall ist es aber anders. Ich habe nämlich am 24.8.(dem sogenannten ‚Israelsonntag‘)
    in Leutzsch zu predigen und las deinen Blogg, nachdem ich die Predigt für diesen Anlass ‚fertig‘ hatte
    (wenn eine Predigt überhaupt jemals fertig sein kann – jedenfalls habe ich das ‚Amen‘ als Zwischenbilanz hingeschrieben. Nachdem ich aber deinen Blogg vom 26.7. gelesen habe, habe ich eine Frage bzw eine Bitte:
    Kann ich deine Gedanken den GDbesuchern in Leutzsch auf dem Wege weiterleiten, dass ich – nachdem ich darauf hingewiesen habe – deinen Blogg am Ausgang ausgedruckt zum Mitnehmen auslege?
    Ich sehe darin nämlich eine Weiterführung der in meiner Predigt ausgeführten Gedanken – sie gehen für mich also nach dem ‚Amen‘ weiter. Ich möchte dies aber nicht tun ohne deine Erlaubnis, die ich dich herzlich bitte, mir zu gewähren. Ich freue mich auf eine diesbezüglche Rückmeldung. Vielen Dank im Voraus und ‚Gute Nacht ! Frank

  11. Richtiger Vorspann bevor man zur unerträglichen Hungerkatastrophe und den unerträglichen Bildern in Gaza beginnt zu diskutieren und Stellung zu beziehen!
    Israel ist ein tief gespaltenes Land. Die Hamas mit ihrem bestialischen Verbrechen hat das Land zunächst unter dem folgenden Raketenhagel und zur Befreiung der Geiseln gezwungen zusammen zu stehen und in den Krieg gestürzt.

    Die Situation hat sich jetzt aber geändert. Wir sind gezwungen Stellung zu beziehen. Es geht heute nicht nur um die Würde und Befreiung der Verschleppten sondern auch um das Leben der hungernden Menschen im Gaza.
    Dazu das aktuelle SPIEGEL Gespräch:
    »Es reicht, wir haben genug getötet, wir haben genug zerstört«
    Der frühere israelische Premier Ehud Olmert kritisiert die Kriegsführung seines Nachfolgers Netanyahu in Gaza mit deutlichen Worten. Er hält den Krieg für illegitim, die Israelis hätten sich von ihrer Wut verzehren lassen.
    Ein SPIEGEL-Gespräch von Thore Schröder, Tel Aviv
    25.07.2025, 06.54 Uhr • aus DER SPIEGEL 31/2025

    Deutschland 1945/46 und Berlin 1948 wären verhungert, wenn die schwer belasteten Deutschen so mit Gleichgültigkeit behandelt worden wären wie die Bevölkerung in Gaza von Netanyahu!

  12. „Zusätzlich ist es zum Schulterschluss zwischen Benjamin Netanjahu und Donald Trump gekommen“
    _____________________________________________________________________________________
    Wobei zu beachten ist, dass Netanjahu durch seinen vorherigen Angriff auf den Iran Tump genötigt hat, ihm final beizustehen und die iranischen Atomanlagen zu bombardieren.

  13. „Nun zeigt die politische Wirklichkeit: Die Vorgänge im Nahen Osten und speziell die Rolle, die Israel im Nahen Osten spielt, lassen sich nur schwer trennen von dem, wie sich Menschen jüdischen Glaubens hier bei uns fühlen.“

    Das bedarf der Präzisierung. Zunächst: Die „Vorgänge im Nahen Osten“, besser Klartext: die Kriegsverbrechen Israels, sind zu trennen und sie müssen getrennt werden von der eigenen Haltung gegenüber den jüdischen Mitbürgern in Deutschland. Diese sind nicht verantwortlich zu machen für die Verbrechen der israelischen Regierung, gleich ob sie israelische Staatsbürger sind. Allerdings mögen sie sich betroffen fühlen, so wie sich die anständigen Israelis betroffen fühlen, die gegen die Regierung Netanjahu protestieren.

    Die jüdischen Mitbürger hier sollten aber – wie es jedermann sollte – Kritik an der israelischen Regierung, an der israelischen Armee und an den israelischen Siedlern nicht zum Anlass nehmen, Antisemitismus zu beklagen, von dem sie nun „wieder“ (wie ‘33 ff) bedroht seien. Diese Art von Opferrolle, die manche, besonders nichtjüdische Offizielle für jüdische Menschen im Zusammenhang mit „den Vorgängen im Nahen Osten“ in Anspruch nehmen, ist durch nichts zu rechtfertigen, nicht durch den echten, immerwährenden Antisemitismus und nicht einmal durch die (an einer Hand abzuzählenden) kriminellen Übergriffe propalästinensischer Aktivisten auf jüdische Menschen.

    Die insbesondere von pro-jüdischen Verbänden gleich nach dem 7. Oktober einsetzende militante Verteidigung israelischer Gewaltpolitik, ob in Gaza, ob im Westjordanland, mit der falschen Behauptung, es gehe um die Existenz Israels, und Kritik an Israel jetzt sei antisemitisch – die hatte nichts zu tun mit verständlichen Gefühlen, sondern es war und ist knallharter Imperialismus, dem – das ist der deutsche Beitrag, für den ich mich schäme – die Bundesregierung(en) mit Wegsehen, Entschuldigungen und Waffenlieferungen Vorschub leisteten und leisten. Ohne dass Abstand genommen wird vom Mythos des „bedrohten Israel“, ist eine Änderung dieser Nahostpolitik nicht zu erwarten.

    1. Vielen Dank für diese Präzisierung. Ich möchte es noch deutlicher sagen: Die Politik der Netanjahu-Regierung ist eben nicht „typisch jüdisch“, aber sie ist in jeder Hinsicht verwerflich. Darum dürfen Jüdinnen und Juden, die hier leben, nicht in Haftung genommen werden für die Politik der Netanjahu-Regierung. Gleichzeitig dürfen wir zu den Kriegsverbrechen, die im Gaza verübt werden, nicht schweigen.

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