Ein groteskes Schauspiel, das sich montags in Leipzig und Dresden abspielt: Da scharen sich um ihre Datschenseligkeit besorgte Menschen um zwielichtige Gestalten aus dem Türsteher-Milieu, schwingen im besten Fall die Deutschland-Fahne und ergehen sich in den absurdesten Verschwörungstheorien. Um sich jeder Diskussion zu entziehen, meiden sie die Presseöffentlichkeit und pflegen eine anmaßende Wahrheitsattitüde. Politische Botschaften werden schon lange nicht mehr gesendet – es sei denn, man zählt die sich häufenden gewalttätigen Übergriffe auf Asylunterkünfte dazu. In diesen materialisieren sich der dumpfe Hass und die militante Abwehr von Pluralität in unserer Gesellschaft, die Grundlage der Pegida/Legida-Denke ist. In Leipzig finden die Legida-„Spaziergänger“ – Gott sei Dank – kaum noch Resonanz. Daran wird auch der Auftritt der selbst ernannten Pegida-Ikone Lutz Bachmann am kommenden Montag nichts ändern. Darum ist es richtig, dass sich die Stadtgesellschaft vom harten rechten Legida-Kern nicht länger das Leben diktieren lässt. Denn es wäre mehr als schädlich, sich von Pegida/Legida in ein billiges „Räuber-und-Gendarm-Spiel“ treiben zu lassen. Eigentlich kann man die Rösler-Truppe ob ihrer Borniertheit nur noch auslachen – wobei einem zugegebenermaßen das Lachen in dem Moment im Halse stecken bleibt, in dem man sich der entsetzlichen Realität nationalistischer Überlegenheitsideologie und ihrer millionenfachen Verbrechen erinnert, von der Deutschland vor 70 Jahren befreit wurde, und in dem man vor der grausamen Wirklichkeit nicht länger die Augen verschließt, der Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, heute ausgesetzt sind.
Darum bekommt die montägliche Grosteske einen mehr als bitteren Beigeschmack. Denn zeitgleich spielen sich seit Wochen im Mittelmeer unvorstellbare Dramen ab: Hunderte, Tausende Flüchtlinge werden von Schleppern auf Schiffen zusammengepfercht, sind dem Untergang geweiht und verrecken elendig– und Europa schaut zu, wie die Lebensnot von Kindern, Frauen und Männern schamlos ausgenutzt wird, so als ob es ein stillschweigendes Agreement zwischen kriminellen Banden und den europäischen Staaten geben würde: Löst ihr die Probleme auf eure Weise, dann erreichen die Flüchtlinge erst gar nicht europäisches Festland. Dieser himmelschreiende Skandal müsste uns alle auf die Straßen rufen. Stattdessen – jedenfalls in Sachsen – trotten Hunderte den nationalistischen, fremden- und religionsfeindlichen Parolen aus dem NPD-Fundus hinterher – und können immer noch auf Verständnis hoffen.
Was ist zu tun? Auf jeden Fall weiter klar und unmissverständlich den Pegida/Legida-Parolen entgegentreten (zum Beispiel am kommenden Donnerstag, 30.04.2015, ab 18.00 Uhr auf dem Marktplatz beim „Courage-Konzert“), das Recht auf Asyl einklagen und fordern, dass den Schlepper- oder besser: Terrorbanden das Handwerk gelegt wird. Das wird nur funktionieren, indem schon in den Fluchtländern die Möglichkeit geschaffen wird, Asylanträge zu stellen und dann eine menschenwürdige Überfahrt in die EU-Länder zu gewährleisten. Zum andern gilt es, beharrlich und kreativ vor Ort das Zusammenleben der Verschiedenen zu gestalten und einzuüben. Da hat sich inzwischen insbesondere durch die Kirchen an vielen Orten sehr viel Gutes entwickelt. Ich war in der vergangenen Woche in London. Bei jeder Fahrt in der U-Bahn oder im Buss habe ich gedacht: Jeder der montäglichen „Spaziergänger“ sollte einen Tag stundenlang durch London fahren, um zu sehen, wie multikulturelles Zusammenleben funktioniert, wenn sich die Menschen als Menschen verstehen, die in ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander angewiesen sind. Da ist zum Beispiel hinter jeder Theke der allgegenwärtigen Fast-Food-Kette „Pret A Manger“ die Welt versammelt – und jede und jeder wird vom indischen, arabischen, afrikanischen Migranten freundlich, kompetent, zuverlässig bedient. Da war es eine verschleierte junge Muslima, die meiner Frau im vollbesetzten Bus wie selbstverständlich ihren Sitzplatz anbot. Da ist kein Raum für Angst oder Furcht. Doch gegen diese Vielfalt und Normalität des multikulturellen Zusammenlebens wird von den Nationalisten (auch in England) bewusst Angst geschürt. Und warum? Weil sie sich nicht darauf einstellen und damit auseinandersetzen wollen, dass es außer der eigenen Überzeugung und Lebensweise auch noch anderes auf dieser Welt gibt. Wohl gemerkt: Das Zusammenleben mit anderen zu bejahen, bedeutet nicht, alles und jedes gut zu heißen. Toleranz ist sehr viel mehr als Gewährenlassen. Aber jede Auseinandersetzung setzt Verschiedenheit voraus und benötigt Respekt. Das ist für Jede und jeden jeden Tag eine neue Lernaufgabe – aber eine, die sich lohnt.
2 Antworten
Lieber Herr Wolff – Sie scheinen nicht sehr oft in England zu sein oder vielleicht auch nur in den Touristenvierteln Londons und schon wird Ihr Wunschdenken wieder zur Gewissheit. Ich bin regelmässig alle zwei Jahre in England und die Realität sieht anders aus – auch wenn ich mich über Ihre positiven Worte über England, das quasi meine zweite Heimat ist, sehr freue.
In Wirklichkeit hat das Land erhebliche Probleme auf dem Sektor Ausländer-Integration; es hat (vielleicht im Gegensatz zu uns) gewaltige Probleme mit Ausländerkriminalität; die Bevölkerung würde nie auf die Idee kommen, in England „Multikulti“ einzuführen; und die englische Terrorismus-Furcht und -Erfahrung ist ein klar auf Ausländer ausgerichtetes Bedrohungsgefühl. Das ist die Realität.
Warum empfinden Sie das vielleicht an ders? Weil
1. die Engländer mit diesem Problem im Vergleich zu uns viel sachlicher umgehen und nicht zur Dauerhysterie neigen;
2. die englischen Medien dieses Problem nüchterner und realistischer sehen und nicht jeden Vorfall ins Grundsätzliche steigern;
3. die englische Politik und Justiz bei krassen Vorfällen mit Schnelligkeit und (vergleichsweiser) Härte reagiert und somit abschreckend wirkt (siehe die brutalen Überfälle auf englische Soldaten vor ihren Kasernen in der jüngeren Vergangenheit);
4. das Problem in der Tat auch leichter beherrschbar ist, weil die überwiegende Masse der Ausländer (oder ausländische Wurzeln Habenden) aufgrund ihrer Herkunft aus dem Commonwealth englisch spricht und geschichtlich bis zu einem gewissen Grad einen britischen Hintergrund hat;
5. schliesslich englische Städte – und besonders London – zu den best-überwachten Städten der Welt gehören. Sehen Sie sich nur mal die Dichte der Videokameras in London an, dann wissen Sie, warum friedliches Zusammenleben so gut klappt: Friedensstörer sind im Nu identifiziert. Ihren Aufschrei, wenn es in DEU so wäre, möchte ich mal hören!
Mit einem herzlichen Gruss,
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Schwerdtfeger, schön, dass wir uns darin einig sind, dass England schon lange eine multikulturelle Gesellschaft ist (das muss nicht erst „eingeführt“ werden) – mit allen Problemen, Herausforderungen, Chancen. Genau das habe ich an ein paar kleinen Beispielen beschrieben abseits allen Wunschdenkens und wissend, dass das Zusammenleben von Menschen immer auch konfliktreich ist (das fängt ja schon am Familientisch an). Mit besten Grüßen Christian Wolff