Predigt über 2.Korinther 4,3-6
im Zusammenhang mit der 6. Kantate aus dem Weihnachtsoratorium
„Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“, BWV 248
Epiphanias
Thomaskirche Leipzig – 06. Januar 2014
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unser Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.
Die 6. Kantate des Weihnachtsoratoriums: Sie ist die politischste Kantate, die Johann Sebastian Bach komponiert hat. Ob Bach sich dessen bewusst war, ist eher zweifelhaft. Aber die Evangelisten Lukas und Matthäus werden gewusst haben, was sie taten, als sie das Geschehen von Bethlehem in die Weltgeschichte einordneten und damit klarstellten: in Zukunft wird das Leben nicht mehr allein durch die bestimmt und beherrscht, die sich als die selbst ernannten Macher der Geschichte verstehen. Zukünftig wird die Geschichte auch von denen mit geschrieben, die bis jetzt im Dunkeln wohnten, deren Leben aber durch Jesus Christus neu gewürdigt und anerkannt wird. Dass das fast zwangsläufig dazu führt, dass beide Geschichtsstränge sich ins Gehege kommen – das ist das Thema der Kantate „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“ – ein wunderbarer Beitrag zum Dekadenjahr „Reformation und Politik“, das heute Abend in der Nikolaikirche eröffnet wird.
Und nun ist interessant, wie das Aufeinandertreffen der Weisen aus dem Morgenland mit König Herodes in der Kantate reflektiert wird: Da wird zunächst die Widerstandskraft des Glaubens beschworen:
Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben,
So gib, dass wir im festen Glauben
Nach deiner Macht und Hülfe seh’n!
Dann werden in der Sopran-Arie die Machtverhältnisse zurechtgerückt:
Nur ein Wink von seinen Händen
Stürzt ohnmächt’ger Menschen Macht.
Mit spöttisch-überlegener Leichtigkeit wird der martialische Machtanspruch der Weltenherrscher entzaubert. Und schließlich endet alles in dem mehr als tröstlichen Zuspruch, dass Tod, Teufel, Sünd und Hölle nichts mehr auszurichten vermögen. Denn:
Bei Gott hat seine Stelle
das menschliche Geschlecht.
Doch wie gesagt: Diese gute Nachricht will uns nicht nur das Rückgrat stärken; sie ist gleichzeitig Auslöser von schwerwiegenden Konflikten. Wahrscheinlich hat Bach deshalb den Schlusschor nach der Melodie des Passionsliedes „O Haupt voll Blut und Wunden“ komponiert, wollte aber dennoch den Triumph der Freiheit über alle Diktatur durch die festliche Instrumentierung anzeigen. Ein wahrhaft politischer Schlusspunkt des Weihnachtsoratoriums. Er leitet sich aber ab von etwas ganz Wesentlichem, das über alles Politische hinausgeht: die Anbetung des Kindes. Sie bildet den Mittelpunkt der Kantate:
Ich steh an deiner Krippen hier
Das Weltgetümmel verstummt. Und alles konzentriert sich um das Kind in der Krippe. Dort muss sich niemand als der große Zampano aufspielen. Dort schenken wir dem Kind das, was wir schon längst von Gott empfangen haben. Und was ist es, was wir in Händen halten und nun hergeben sollen? Es ist all das, was uns zu einem frommen Leben und zu politischem Handeln veranlasst: der Frieden, die Gerechtigkeit, die Ehrfurcht vor dem Leben, die vom Kind in der Krippe ausgehen. Es ist das Licht, das wir als Freudenschein empfangen, und das uns eine Aufklärung der besonderen Art beschert.
Eigentlich ist das alles sonnenklar. Eigentlich sehnen wir uns nach der Glaubenskraft, die von diesem Licht ausgeht und die in der wunderbaren Tenor-Arie besungen wird:
Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken;
Was könnt ihr mir für Furcht erwecken?
Was kann mir schon passieren, wenn ich mein Leben im Licht des Evangeliums sehe, wenn ich mir darin gewiss bin, dass mir „von Gott ein Freudenschein (kommt)“? Dieser wird nicht im herrischen Aufmarsch der Bataillone sichtbar, sondern in der Anbetung, im Gebet um den Frieden, im Friedensgebet. Ja, eigentlich sollte es so sein … aber es ist eben immer auch anders – denken wir nur an die schrecklichen Predigten vieler Feldgeistlicher während des 1. Weltkrieges, in denen der Waffen strotzende Nationalstolz abgesegnet und Gott für Kaiser und Vaterland instrumentalisiert wurde. Auch heute ist im Alltag unseres Lebens so viel verdeckt von der Guten Nachricht und von der Geschichte, die Gott uns eröffnet. Dieses Problem wird auch im Predigttext für diesen Epiphaniastag reflektiert – ein Abschnitt aus dem 2. Korintherbrief des Apostel Paulus:
3 Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist’s denen verdeckt, die verloren werden, 4 den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes. 5 Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen. 6 Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
2. Korinther 4,3-6
Ein aufklärerischer Text. Nichts soll im Verborgenen bleiben. Alles soll der Erleuchtung der Welt, unserer Existenz dienen. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus – auch zu Zeiten des Paulus. Darum muss es uns nicht überraschen, dass Paulus seinen Gedankengang mit der Feststellung beginnt, dass sehr vielen Menschen der Sinn des Lebens verschlossen bleibt. „Ich weiß eigentlich nicht, warum ich auf der Erde bin. Für die meisten meiner Mitmenschen bin ich doch nur ein Störfaktor“, klagte in einem meiner letzten Seelsorgegespräche ein junger Mann, der sich voller Selbstzweifel Hilfe suchend an mich wandte. Natürlich habe ich den 35-jährigen nicht zu einem „Verlorenen“, zu einen Ungläubigen erklärt, dessen Lebensperspektive von Gott verdunkelt worden ist. Das wäre grausam. Aber ich habe versucht, dem jungen Mann zu verdeutlichen, dass, solange er die Rolle anzunehmen bereit ist, in die er sich von anderen gedrängt sieht, er nicht das erfahren kann, was jeder Mensch an der Krippe geschenkt bekommt: ein neues Bewusstsein von sich selbst. Vielleicht erinnern sich einige daran, dass das auch Thema am 1. Weihnachtstag war:
So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Galater 4,7
schreibt Paulus im Galaterbrief. Wer den Rollenwechsel vom Sklaven zum befreiten Kind Gottes nicht annimmt, der wird es schwer haben, das Licht wahrnehmen zu können, das die Finsternis eines sinnentleerten Lebens durchbrechen will.
Nun hatte aber Paulus nicht so sehr Menschen wie den jungen Mann im Blick, sondern Christen in Korinth, die ihn mit Vorwürfen überhäuften: er würde den Glauben nicht glanzvoll genug verkündigen. Wir wissen, dass Paulus eine nicht gerade eindrucksvolle, anziehende Persönlichkeit war und in den Gemeinden auch keine rhetorisch überzeugende Figur abgab. Wahrscheinlich erwarteten die Menschen damals von Paulus das, was auch bei uns gefragt ist: Wir sollen den Glauben möglichst mundgerecht darbieten, unterhaltsam, niederschwellig, angenehm, ohne Ecken und Kanten. Vom Krabbelalter bis zur Andacht im Pflegeheim – immer sollen die Menschen sich angesprochen und – wie es so schön heißt – hineingenommen fühlen. Doch geht das? Der Apostel Paulus wollte bekanntlich den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Freien ein Freier und den Sklaven ein Sklave sein. Und natürlich möchten auch wir als Pfarrerinnen und Pfarrer möglichst zu allen gesellschaftlichen Schichten und zu allen Altersgruppen einen Zugang haben und auf Zustimmung stoßen. Gerade die Weihnachtsgottesdienste stellen uns vor diese Herausforderung. Aber: Können wir vom Glauben reden, ohne auch die Geister zu scheiden, ohne von Licht und Finsternis zu reden? Oder anders gefragt: Wenn Menschen abweisend auf Kirche, auf unsere Gottesdienste, auf Predigten reagieren – liegt das nur an der Machart, also an unserem Vermögen oder auch Unvermögen, oder hat dies nicht auch Gründe, die in der Botschaft Jesu zu suchen sind? Dass sich ein Herodes in seiner Macht bedroht sah durch das Kind in der Krippe – das war doch nicht Folge eines ungeschickten Marketings der Weisen aus dem Morgenland? Vielmehr spürte Herodes instinktiv: Sein Einfluss, seine Herrschaft sind durch das Kind in der Krippe, sind durch die dort geborenen Werte bedroht. Denn wenn Gott das menschliche Geschlecht achten, stärken und aufrichten will, dann ist es aus mit dem selbstüberheblichen Machtanspruch eines Herodes und Augustus und ihrer Nachfolger im 20. und 21. Jahrhundert.
Und so kommen wir nicht umhin, wenn wir das Evangelium von Jesus Christus predigen, wenn wir bekennen, dass er der Herr dieser Welt ist, dass wir dann auch auf Menschen und Mächte stoßen, die diese Botschaft ablehnen und mit ihren Vertretern hart ins Gericht gehen – damals zur Zeit Jesu wie auch heute. Da kann es dann nicht mehr um Selbstdarstellung gehen, dann ist Wahrhaftigkeit gefragt. Ende Mai werden wir daran erinnern, dass vor 80 Jahren, also 1934, die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde – der erste grundsätzliche Widerspruch zum nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch. Eine Sternstunde für unsere Kirche. Die Folgen waren gravierend. Denn fortan stand die Frage auf der Tagesordnung: Von wem und durch was lassen wir uns in der Kirche bestimmen – von der gerade herrschenden Ideologie, in dem Fall vom absoluten und gewalttätigen Führungsanspruch eines Adolf Hitler, oder davon, dass wir uns den grundlegenden Werten der jüdisch-christlichen Glaubenstradition verpflichtet sehen. Carl Amery hat sie einmal so zusammengefasst: „die Botschaft von der Friedfertigkeit, von der Erhaltung des schwachen und gekränkten Lebens, von er Notwendigkeit der Diskussion und des Kompromisses“. Können Menschen an unserem Reden und Tun ablesen, dass uns durch Jesus Christus „frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt“ widerfährt, um dem Menschen frei dienen zu können – wie es in der 2. These des Barmer Bekenntnisses heißt? (Darüber habe ich übrigens vor 38 Jahren meine Ordinationspredigt gehalten.)
Und nun merken wir hoffentlich, was Paulus meint, wenn er schreibt:
… wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen.
Natürlich ist jede Predigt geprägt von der Persönlichkeit des Pfarrers und der Pfarrerin. Aber jeder sollte dem Prediger abspüren, dass er seine Worte nicht nur an die Gemeinde, sondern an sich selbst richtet; dass nicht er der ist, der die Botschaft schafft, sondern dass er Mittler einer Botschaft ist, von der er selbst ergriffen ist. Darum muss der Prediger von dem, was er sagt, selbst am meisten aufgewühlt und verunsichert sein. Das ist der beste Schutz davor, von oben herab Menschen abzukanzeln, platt Programme und Parolen nachzuplappern oder das Notwendige zu verschweigen.
Nun wird der Gedanke des Paulus, dass wir nicht uns selbst predigen, leider oft missverstanden – vor allem in die Richtung: es kommt eigentlich nicht auf den Prediger an. Natürlich kommt es auf diesen an, auf seine Persönlichkeit, auch auf die Qualität seines Redens. Nur ist die Frage: Was bestimmt sein Predigen? Hält er sich an das Wort der Bibel, das uns anvertraut ist? Mir sind drei Dinge wichtig:
• Wir müssen versuchen, so bibel-, zeit- und menschennah wie möglich zu predigen.
• Wir bewegen uns mit der Predigt im öffentlichen Raum. Gott sei Dank ist das so, denn so sind wir immer der notwendigen Kritik ausgesetzt.
• Es bleibt aber wahr: Nicht die Predigt entscheidet über das Wohl und Wehe dieser Welt, sondern Jesus Christus, an dessen Licht wir uns orientieren können.
In meiner Tätigkeit habe ich mich an die Empfehlung des Sozialethikers Rudolf Todt – er lebte im 19. Jahrhundert – zu halten versucht: Auf den Schreibtisch des Pfarrers gehört in die Mitte die Bibel, links eine Tageszeitung und rechts ein Buch über die Nationalökonomie. Wir müssen also schon eine Ahnung von wirtschaftlichen Zusammenhängen haben und wie das soziale Miteinander funktioniert. Wie sonst wollen wir dem Anspruch gerecht werden, dass das Evangelium sich an den ganzen Erdkreis richtet, alle Menschen erreichen und als Licht in der Finsternis leuchten will? Wie sonst können wir Jesu Botschaft von der Barmherzigkeit, seine Gerechtigkeit und seine Ehrfurcht vor dem Leben in die Welt tragen – wohl wissend, dass dies eine höchst politische Angelegenheit ist, tröstlich für die einen, Zumutung für die anderen? Aber – und das haben wir auch klar zu erkennen: Es ist nicht unsere Aufgabe, das politische Geschäft zu betreiben oder gar den Herodes dieser Welt den Krieg zu erklären. Es ist nicht unsere Aufgabe, anderen unseren Glauben aufzudrängen oder andere Glaubensweisen zu bekämpfen. Vielmehr haben wir zuerst und vor allem sehr genau darauf zu achten, wie wir selbst dem Evangelium gerecht werden und seine Grundsätze leben.
Darum darf das Evangelium nicht zerredet oder durch kirchliche Lehrmeinungen so fest verpackt und verschnürt werden, dass nichts mehr von seiner Leuchtkraft durchscheinen kann. Ich denke, dass Papst Franziskus derzeit dabei ist, die vatikanische Verpackung des Evangeliums zu entfernen, damit das Wesentliche zum Vorschein kommt. Wir sollten darüber froh sein und unsererseits fest verschnürten Päckchen aufdröseln. Wir sollten uns aber auch immer im Klaren darüber sein, dass mit Jesu Botschaft nicht alles und jedes begründet und gerechtfertigt werden kann. Ich kann eben nicht die bewusste Vernachlässigung von Menschen, Todesstrafe und Krieg rechtfertigen – auch nicht eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Andersdenkenden. Darum will Paulus die Botschaft Jesu nicht abhängig machen von bestimmten Verhältnissen oder von denen, die sie weitergeben – auch nicht abhängig machen von sich selbst. Die Botschaft Jesu ist aus sich heraus gut, hell, licht und strahlend. Wir brauchen nichts dafür zu tun, aber können alles davon ableiten. Das ist gemeint, wenn Paulus schreibt:
Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes …
So habe ich mein Wirken verstanden: etwas beizutragen zur Aufklärung, zum Verstehen des Lebens im Geiste Jesu – und das in einer Gesellschaft, in der wir zugemüllt werden mit Informationen, Entertainment und Konsum; also etwas beizutragen zur Helligkeit im Leben – ohne andere in die Finsternis zu verbannen, ohne uns vom Schwächeren her zu definieren. Mich wundert immer wieder, wie unkritisch heute und gerade in hiesigen Regionen von der Aufklärung gesprochen wird. Es sollte uns sehr nachdenklich stimmen, dass die Aufklärung – verstanden als der Vernunft folgende Emanzipation von der jüdisch-christlichen Glaubenstradition – die Verbrechen des 20. Jahrhunderts nicht verhindert hat – Verbrechen, wenn ich an Hitler, Stalin, Pol Pot, Mao denke, die eben nicht auf Religion zurückgeführt werden können, sondern darauf, dass sich Menschen selbst zum Gott erhoben haben. Wir brauchen nicht die Emanzipation von Gott, sondern vom Absolutheitsanspruch der Menschenmacht. Darum sind wir auf die Leuchtkraft des Evangeliums in allen Bereichen unseres Lebens angewiesen. Darum – und das sei mir dann am Schluss erlaubt – benötigen wir auch die Kanzel in der neuen Universitätskirche St. Pauli und zwar zum 02. Dezember 2014. Und darum ist es ein Segen, dass wir am Schluss jeder Predigt, aber auch am Ende einer Lebensphase uns unter die Bitte stellen:
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.