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In memoriam Christian Führer (05. März 1943 – 30. Juni 2014)

Losungswort am Montag, 30. Juni 2014

In der Finsternis erstrahlt den Aufrichtigen ein Licht, gnädig, barmherzig und gerecht. (Psalm 112,4)

Heute, an einem Montag, dem Tag der Friedensgebete, ist er gestorben: Christian Führer, der außergewöhnliche Pfarrer und herausragende Bürger Leipzigs – und für mich der Freund, der Bruder, der Kollege, der Weggefährte, der Mitstreiter und manchmal auch der Gegenpart. Denn so einig wir uns in Vielem waren, so haben wir doch auch manche Meinungsverschiedenheit ausgetragen und was noch wichtiger ist: ertragen. Christian Führer konnte vielen Menschen durch seinen tiefen Glauben, so viel Hoffnung vermitteln. Doch schließlich musste er, der immer vom langen Atem der Hoffnung predigte, um jeden Atemzug kämpfen. Das sagte er mir unter großen Mühen bei meinem letzten kurzen Besuch am vergangenen Donnerstag. Da war er schon vom Tod gezeichnet – der Tod, der schon im vergangenen Jahr mit dem Sterben seiner geliebten Frau Monika in sein Leben eingebrochen war und ihm so viele Aussichten verstellte. Er bewegte sich schon auf die neue Welt Gottes zu. Heute können wir nur hoffen, dass das Losungswort für diesen Tag für ihn in der Stunde seines Sterbens zur strahlenden Wirklichkeit geworden ist.

Christian Führer und ich haben es immer als einen Glückfall angesehen, dass sich unsere Lebenswege 1992 gekreuzt haben, dass wir zwischen Nikolai- und Thomaskirche Brücken bauen und nach der Friedlichen Revolution bei aller Unterschiedlichkeit durch politische Initiativen und Aktionen den Geist von 1989 aufgreifen und weiter wirksam werden lassen konnten. Dafür bin ich Christian Führer unendlich dankbar und darum bin ich aber auch sehr, sehr traurig, dass seine Stimme in unserer Stadt nicht mehr zu hören ist.

Das erste Mal sind wir uns im April 1991 im Zug begegnet. Christian Führer war aber nur mittels eines Artikels über ihn in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ anwesend. Ich befand mich auf der ersten Fahrt von Mannheim nach Leipzig. Nach der Lektüre sagte ich zu meiner verstorbenen Frau: Den möchte ich kennen lernen. Am 1. Advent 1991 war es dann so weit. Wir besuchten – damals schon auf die Pfarrstelle an der Thomaskirche gewählt – die Aufführung des Magnificat in der Nikolaikirche und sprachen Christian Führer vor dem Konzert an. Aus dieser ersten Begegnung erwuchs eine spannende, schöne und ertragreiche Freundschaft – gelebte Ost-West-Annäherung und eine sprudelnde Quelle der theologischen Orientierung und Erneuerung.

Christian Führer lud mich Anfang 1992 ein, am sog. „Überparteilichen Gespräch“ teilzunehmen, eine Art gehobener Ost-West-Stammtisch, den er zusammen mit Dr. Hess von der PDS ins Leben gerufen hatte – für mich eine hervorragende Einführung in die Leipziger Gemengelage der unmittelbaren Nachwendezeit: abgewickelte SED-Genossen, typische und mutige Vertreter der Friedlichen Revolution und ein paar Wessis wie mich, die im verfallenen Romanushaus versuchten, sich in die Gemütsverfassung der Leipziger hineinzutasten. Im September 1992 haben wir dann die ersten Kerzenmärsche zwischen Nikolaikirche und Thomaskirche organisiert, um gegen Ausländerfeindlichkeit zu protestieren. Wir haben dann weitere Aktionen gestartet: gegen die Waffenbörse im Sommer 1993, sind im Frühjahr 1993 vor die Betriebstore von Siemens und den Kirow-Werken gezogen, um die Metallarbeiter im Streik zu unterstützen. 1994 musste Christian Führer eine gesundheitliche Krise durchstehen, in der ich manche Vertretungsdienste in der Nikolaikirche übernommen habe. Damals wurde vom Landeskirchenamt der Versuch unternommen, ihn zu versetzen – eine Aktion, mit der sich das Landeskirchenamt nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. 1995 haben wir dann – auf Anmahnung von Matthias Klemm nach einem Bibelwochenabend – unseren Aufruf zu Umkehr und Orientierung „Das Schweigen überwinden – Friedenspolitik neu gestalten“ veröffentlicht – mit einer nicht geahnten Resonanz in der Öffentlichkeit. Ein Grundsatzpapier, das auch heute noch seine Gültigkeit hat und Eingang in sein letztes Buch „frech – fromm – frei. Worte die Geschichte schrieben“ gefunden hat.

Nach dem großen Deutschen Evangelischen Kirchentag 1997 in Leipzig waren wir dann zunehmend beschäftigt mit dem „Überlebenskampf“ der eigenen Gemeinden und dem Erhalt der Kirchgebäude. Personalreduzierungen, Neuordnung der finanziellen Basis, notwendige Renovierungsarbeiten und Gemeindeaufbau haben viele Kräfte gebunden. Dabei sind wir an der Thomaskirche Wege gegangen, die Christian Führer zunächst nicht gut heißen konnte und wollte. Aber gerade dieses kritische Verhältnis habe ich als besonders fruchtbar erlebt, weil es mich gezwungen hat, den eigenen Weg ihm gegenüber immer neu zu begründen und zu hinterfragen. Dennoch fanden wir auch in dieser Zeit immer wieder zu gemeinsamen Aktionen zusammen: Gegen den Kosovokrieg 1999 starteten wir Demonstrationen von der Nikolaikirche zum Thomaskirchhof. Unsere „10 Gedanken zur Orientierung und Diskussion“ wurden damals vollständig in BILD-Leipzig abgedruckt. Und dann – unmittelbar nach dem Tod meiner Frau – die Demonstrationen und Kundgebungen gegen den Irakkrieg von Januar bis März 2003. Für mich war das auf der einen Seite seelisch kaum zu ertragen, auf der anderen Seite hat es mich gezwungen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Jedenfalls bin ich Christian Führer sehr dankbar, dass er mich damals bedrängt hat mitzumachen. Es hat mich vor einem Absturz bewahrt.

Im Jahr 2006 hat Christian Führer noch einmal – stellvertretend für uns alle – in einer ganz wichtigen Sache die Richtigkeit und Notwendigkeit der Institution der Friedensgebete unter Beweis gestellt: als es um die Freilassung der zwei im Irak festsitzenden Geiseln ging. Da wurde weit über Leipzig hinaus sichtbar, welche Bedeutung auch in Zukunft die Nikolaikirche und der Nikolaikirchhof haben werden: ein Platz, an dem das tätige Gebet gepflegt wird, Hoffnung, die aus dem Glauben erwächst, spürbar ist und Menschen mit all ihren Ängsten und Nöten Zuflucht finden können. Dass dafür die Nikolaikirche steht, ist im Wesentlichen das Verdienst von Pfarrer Christian Führer. Er hat sich bei allem leiten lassen durch das, was beim Propheten Sacharja steht: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sacharja 4,6)

Jeder von uns hat auch seine Niederlagen durchstehen müssen. Gemeinsam mussten wir 2004 die Evangelische Sozialstation Leipzig, eine ihm am Herzen liegende diakonische Initiative nach der Friedlichen Revolution, aus wirtschaftlichen Gründen abwickeln. Auch hat jeder von uns seine Blessuren bei Auseinandersetzungen mit dem Landeskirchenamt davon getragen. Aber in einem waren wir immer gemeinsam unterwegs: wenn es darum ging, den Nazis zu widerstehen. Da gab es kein Wackeln. Da waren wir uns einig: Als Kirche stehen wir in einer großen Bringschuld – geht es doch auch darum, dass wir die Demokratie stärken, zu der die Menschen 1989 aufgebrochen sind. Darum haben wir auch einen gemeinsamen Aufruf zur Wahlbeteiligung an der Oberbürgermeisterwahl im Frühjahr 2013 verfasst – unsere letzte gemeinsame Aktion. Denn danach war sein Leben überschattet von der eigenen und der Krankheit seiner Frau und ihrem Sterben im August 2013.

An diesem so traurigen Tag bin ich unendlich dankbar dafür, dass durch unser gemeinsames Wirken die beiden Innenstadtkirchen über den Marktplatz hinweg ab 1992 in wichtigen Fragen an einem Strang ziehen konnten. Die Voraussetzung dafür war sicherlich, dass Christian Führer, der ’89er, und ich, der Alt ’68er, eine klare Vorstellung davon hatten, welche öffentliche Verantwortung, nämlich das prophetische Wächteramt, der Kirche in der Stadt zukommt. Unsere kirchlichen und theologischen Prägungen waren sehr unterschiedlich und jeder von uns beiden musste auch dem Profil und der Geschichte der „eigenen“ Kirche Tribut zollen. Aber wir waren beide davon überzeugt: Es gibt Zeiten und Themen, da darf es für Christen kein Schwanken zwischen Wenn und Aber geben. Dazu gehörte auch die klare Positionierung in Sachen Universitätskirche St. Pauli, die wir geteilt haben.

Und was bleibt? Christian Führer war ein charismatischer Pfarrer, wie es ihn nur selten gibt – beseelt von einer entwaffnenden und aufrüttelnden Jesus-Frömmigkeit, von der ich immer tief beeindruckt war. Er konnte Menschen zusammenführen und wandte sich besonders den Mühseligen und Beladenen in der Stadt zu. Mit seiner unerschütterlichen Hoffnung, die er durch und mit seinen Glauben ausstrahlte und immer wieder nährte, vermochte er unzählige Menschen aufzurichten und ihnen Orientierung zu geben. So traurig es ist, dass sein irdisches Leben viel zu früh zu Ende gegangen ist, so bleibt die Botschaft von Jesus Christus, der er sich ein Leben lang verpflichtet wusste: die Botschaft vom Licht der Gnade, der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit. Dieses Licht leuchtet auch jetzt.

Eine weitere Würdigung unter www.publik-forum.de

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