Alle wollen in Sachsen reden und die Menschen ernst nehmen: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), Landesbischof Carsten Rentzing. Man brauche ein Programm, wie man mit den Leuten ins Gespräch kommt, meinte Dulig am Dienstag im ARD Morgenmagazin. Das alles nach dem katastrophalen Ergebnis der Europa- und Kommunalwahlen in Sachsen. Nun reden sie aber schon seit Jahren am Küchentisch (Dulig), beim Sachsengespräch (Kretschmer) und in etlichen Kirchgemeinden. Kein Tag vergeht, wo #MPKretschmer nicht twittert, mit wem er sich gerade trifft und im Gespräch ist: alles ganz tolle Leute, großartige Menschen, engagierte Bürger. Aber wie erklärt sich dann das Wahlergebnis? Könnte es sein, dass die Herren, die ständig reden (wollen), irgendetwas übersehen? Könnte es sein, dass sie sich inzwischen zum Affen machen bei denen, die sie überzeugen wollen? Könnte es sein, dass ganz viele (ich denke an ´die 25-30 % der Wähler/innen in Sachsen) überhaupt nicht reden, sondern einfach nur in Ruhe gelassen, in einer dem Sachsen durchaus eigenen Selbstgenügsamkeit ungestört bleiben wollen und sich deswegen innerlich und äußerlich abschotten? Könnte es sein, dass in Sachsen einen Teil der Bevölkerung das alles nicht kümmert: die Demokratie, Europa, der Klimaschutz, die Zukunft? Könnte es sein, dass manchem schon die Friedliche Revolution 1989/90 viel zu anstrengend war und sie deshalb Helmut Kohl als Retter empfangen und wenig später „König Kurt“ (Biedenkopf) auf den Schild gehoben haben – so wie sie sich jetzt von Putin und den sächsischen Straches wieder Rettung erwarten, weil es nicht rund läuft?
Antje Hermenau liefert in ihrem Schnodder-Buch „Ansichten aus der Mitte Europas. Wie die Sachsen die Welt sehen“ unfreiwillig etliche Erklärungsmuster, warum (natürlich nur ein Teil) der Sachsen zwar nicht immun gegen den Rechtsextremismus, aber immun gegen freiheitliche Demokratie und kulturelle Vielfalt ist: „Die Sachsen möchten von einem regiert werden, der sich als Geschäftsführer der Sachsen GmbH versteht. Der … möchte bitte einfach dafür sorgen, dass alles ruhig und ordentlich läuft. Das hat die letzten 1000 Jahre mal mehr, mal weniger gut geklappt …“. Wer verstehen will, warum die AfD in Sachsen auf so viel Zustimmung stößt, sollte dieses Buch lesen. Eigentlich will Hermenau belegen, warum die Sachsen mit „rechts“ nichts zu tun haben. Doch auf jeder Seite liefert sie die Gründe dafür, warum rechtsnationalistische Gesinnung gerade in Sachsen auf so fruchtbaren Boden fällt. (siehe auch: http://wolff-christian.de/saechsische-gruesse-vom-gartenzaun-zum-interview-mit-antje-hermenau/ )
Natürlich müssen wir miteinander reden, kommunizieren, den streitigen politischen Diskurs pflegen – und zuhören. Aber wir sollten wissen, von welcher Position aus wir argumentieren. Wir sollten auch klar machen, dass Zuhören keine Einbahnstraße ist. Es ist ziemlich abwegig, das Wahlergebnis in Sachsen damit zu erklären, dass wir zu wenig miteinander geredet haben – wobei zu klären ist, wer eigentlich Gesprächspartner sein soll: die AfD-Wähler/innen oder die jungen Menschen von FridaysForFuture oder die vielen, die sich Tag für Tag in den Ortschaften, in denen der Rechtsnationalismus gar nicht mehr auffällt, für Vielfalt, Demokratie, Menschenwürde eintreten und ständig Anfeindungen ausgesetzt sind. Spätestens hier sollten wir merken, in welche Schieflage wir geraten, wenn wir das Reden zum politischen Allheilmittel erklären. Es könnte ja auch sein, dass das Wahlergebnis gar nichts zu tun hat mit „zu wenig reden“. Es könnte daran liegen, dass es in vielen Ortschaften Sachsens und das seit drei Jahrzehnten zu wenige überzeugte Demokraten gibt – unter den Lehrern, unter den Handwerkern, unter den Pfarrern, unter den Erzieherinnen, unter den Polizisten. Es könnte ja sein, dass viel zu viele – wie André Heller im Blick auf die FPÖ äußerte – „eine Verliebtheit“ an den Tag legen, „die Geschichte zu verdrehen, zu verleugnen, umzudeuten, eine Verliebtheit in das falsch Informiertsein, eine Verliebtheit in das Grobe, eine Verliebtheit in das machistische Gerieren und über Leute Darüberfahren“ (https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/sendung-vom-28-mai-2019-100.html) – und sie deswegen an Gesprächen gar nicht interessiert sind. Darum: Es ist eine schwere Fehleinschätzung, die Entscheidung der AfD-Wähler/innen als bedauerlichen Verkehrsunfall oder als Folge von zu wenig Kommunikation anzusehen. Nein, jedem Bürger, jeder Bürgerin, die AfD gewählt haben, sollten wir unterstellen, dass sie ihr Kreuz ganz bewusst an diese Stelle gesetzt haben: weil sie keine kulturelle Vielfalt, keinen Parlamentarismus, keine europäische Einigung wollen; weil sie autokratischen Systemen mehr vertrauen als der Demokratie; weil sie moralische Grundüberzeugungen zur Disposition stellen; weil sie die heutige Bundesrepublik mit der DDR gleichsetzen (und damit endlich mit ihrer DDR-Vergangenheit ins Reine zu kommen versuchen); weil in ihren Augen Merkel nicht besser ist als Honnecker; weil sie einem ganz biederen egoistisch-asozialen Nationalismus frönen, der nun das seit 1990 entstandene ideologische Vakuum ausfüllt.
Damit sollten wir in den Gesprächen jeden konfrontieren und durchaus auch zur Rede stellen. Doch fast noch wichtiger sind zwei Dinge:
- Es müssen politische Entscheidungen getroffen werden, die Zukunft eröffnen. Dazu gehören der Klimaschutz, das Ende der Braunkohle, die Revitalisierung des ländlichen Raums. Wenn die Landesregierung hier weiter zögerlich handelt, spielt sie den Leugnern des Klimawandels von der AfD in die Hände.
- In den kommenden Wochen gilt es die zu stärken, die sich vor Ort gegen die Rechtsnationalisten von Pegida/AfD stemmen, die jetzt schon den Druck spüren, den Rechtsnationalisten ausüben werden, sollten sie Gelegenheit dazu haben – wie kürzlich in Freiberg, als auf Druck der AfD eine Podiumsdiskussion zwischen der Publizistin Liane Bednarz und dem Freiberger Pfarrer Michael Stahl nicht im Theater stattfinden durfte.
Eines ist klar: Rechtsnationalisten haben ein gebrochenes Verhältnis zur Zukunft, weil sie angstbesessen am Vergangenen festhalten. Rechtsnationalisten werden als erstes die Pressefreiheit und kulturelle Vielfalt beschneiden und die drangsalieren, die für eine offene, demokratische Gesellschaft eintreten. Das muss jetzt kommuniziert, darüber muss jetzt geredet, gestritten werden – auch im Blick auf das AfD-Programm, das alle Ahnungen mehr als bestätigt (https://www.dnn.de/Region/Mitteldeutschland/Sachsen-AfD-legt-Regierungsprogramm-vor ). Zu diesen Gesprächen sollten wir uns aufmachen und die mitnehmen, die derzeit auf der Straße sind: die Schüler/innen von FridaysForFuture; die Studierenden, die nur noch sporadisch nach Hause ins Erzgebirge und in die Lausitz fahren; die Menschen, die aus aller Welt kommend jetzt hier leben und Integration suchen. Sie können face to face und vor Ort klar machen, warum jede Stimme für die AfD eine Stimme gegen Demokratie, Weltoffenheit, Zukunft, Klimaschutz, Menschenwürde ist.
8 Antworten
Sehr geehrter Herr Wolf, vielen Dank für Ihren Blog. Für so ein Gespräch plädierte ich vor 25 Jahren in Leipzig, wurde abgewimmelt.Nun also etwas zu Ihrem Thema:
Es sollte wohl allen etwas vernünftiger , voraussichtiger und damit bescheidener gehen mit weniger Auswahl und Pfennigfuchserei. Keine Partei traut sich, sowas im Programm zu püblizieren. Die Mühen der Vernünftigen hochleben lassen, gelungene Aufbauphasen zeigen ! Die Gutgehjahre nicht verdammen,aber als geschichtliche Ausnahme bestaunen ,auch deren Führer machten Fehler..Unter dem Namen Demokratie ist das Gebrabbel der Möchtegerns zu laut .Sie sind nicht für Vollidioten zu erklären, aber gut argumentierend zu bremsen. Leipzig erfreut derzeit sehr.
Es ist leider zu einfach, sich in seiner Ideologie festzusetzen und von anderen Meinungen abzugrenzen. Wenn ich nicht reden will und nur das hören/lesen will, was mir in den Kram passt, werden alle anderen Meinungen blockiert und ich finde mich auf den Kanälen, die Missmut und Hass verbreiten, mit meiner Meinung bestätigt. Gesprächsangebote erreichen dann leider nur die, die eigentlich nicht mehr überzeugt werden müssen.
„Natürlich müssen wir miteinander reden, kommunizieren, den streitigen politischen Diskurs pflegen – und zuhören. Aber wir sollten wissen, von welcher Position aus wir argumentieren.“ Das schreiben Sie, lieber Herr Wolff, und es ist richtig aber unvollständig: Denn neben der klaren eigenen Position, die Sie anmahnen, brauchen wir auch die Bereitschaft, die Position des anderen anzuerkennen. Sie dagegen plädieren: „Zu diesen Gesprächen sollten wir uns aufmachen und die mitnehmen, die derzeit auf der Straße sind: die Schüler/innen von FridaysForFuture“ – welch‘ lustige Idee, diejenigen mitzunehmen, mit denen man sowieso dergleichen Meinung ist!
Wir haben in Deutschland augenblicks einen „parteipolitischen Zeitenwandel“, der eigentlich niemanden erstaunen sollte, nachdem Union und SPD mit ein bißchen FDP-Beimischung über rund sieben Jahrzehnte das politische Bild bestimmt haben:
– die SPD läuft einer Klientel nach, die es, dank erfolgreicher Sozial- und Wirtschafts-Politik vergangener Jahrzehnte, nicht mehr gibt; ihre Vertreter repräsentieren nicht mehr den „Arbeiter“, auch nicht mehr den „kleinen Mann“, sondern vielmehr eine kleine ideologisch-intellektuelle Elite der Wohlhabenden ohne wirkliche Berufserfahrung außerhalb der Politik und mit einer Umverteilungsmentalität, die sie immer gerade oberhalb ihrer eigenen Situation ansetzen.
– die Union wirkt (ist?) altbacken und bieder – sie ist zudem (teilweise) einseitg verfilzt und es fehlt ihr der Mut, sich zu den eigenen Zielen und Vorstellungen zu bekennen, weil sie diese in der Tat auch nicht modern verkaufen kann.
– die FDP hat es noch nie verstanden, ihre durchaus guten und unserer Demokratie vielleicht am besten angenäherten Vorstellungen von der Selbstverantwortung und gewissensorientierten Freiheit des Menschen umzusetzen und sich stattdessen den Versprechungsorgien der anderen angeschlossen.
– Die LINKE, Zwillingsschwester der AfD, und eben diese AfD sind populistische Parteien, die sich nur – zugegeben – dadurch unterscheiden, daß die Rechten eher dumpf und die Linken eher verführerisch daherkommen; und insofern versteht man die Angst vor den Rechten durchaus und das Unterschätzen der Linken vielleicht auch.
– Bleiben die Grünen. Sie haben die Rolle der SPD übernommen und stehen überall da, wo sie Verantwortung ausüben müssen, in der politischen Mitte: Kretschmann, Palmer, Al-Wazir – sie könnten genauso gut in der CDU/SPD sein. Habeck hat sein politisches Mandat als Minister zugunsten der Partei aufgegeben und wird sich also erst als Politiker im Amt noch zeigen müssen; Trittin hat als grüner Umweltminister Castor-Transporte zugelassen, Fischer als grüner Außenminister einen Krieg geführt. Alles also – bei den Grünen – praktische Realpolitik, wenn sie erstmal (mit) am Ruder sind.
Aber wir haben nicht nur den „parteipolitischen Zeitenwandel“, sondern wir haben auch den „kommunikationspolitischen Zeitenwandel“, der die Bedeutung der Parteien ändert und mindert und die der Einzelpersonen steigert. Diese Herausforderung haben wir bisher weder mental noch organisatorisch und strukturell auch nur angefasst.
Ich grüße Sie,
Andreas Schwerdtfeger
Lieber Herr Wolff, Ihre Analyse ist das Beste, was ich zu dem Thema seit langem gelesen habe. Ich halte die Idee, man müsse den Wähler/innen der AfD und den Pegidagängern nur oft genug zuhören und mit ihnen reden, schon lange für einen Irrweg. (Als wir seinerseits jeden Montag gegen Hartz IV auf die Straße gegangen sind, hatten Politiker von CDU und SPD diesen Wunsch übrigens nicht.)
Im Gegenteil-man macht sie wichtig und bedeutsam, sie bekommen die Aufmerksamkeit, nach der sie lechzen, aber alle, denen sie Angst machen, stehen im Abseits.
Also danke, ich habe Ihren Text vielfach geteilt und bisher nur positive Reaktionen bekommen
Lieber Herr Wolff,
gestatten Sie mir noch einen Nachtrag zu meinen Einlassungen von heute Morgen. Es ist natürlich gut und richtig, sich der Versuche von Rechtsaußen erwehren, das gesellschaftliche Klima durch fremdenfeindliche Hetze und Schüren nationaler Egoismen zu vergiften. Ich habe aber meine Zweifel, ob es vernünftig ist, alle wesentlichen Probleme dieser Welt durch die „Kampf gegen Rechts“ – Brille zu betrachten. Glauben Sie, dass einst, in einer Zeit nach Merkel, wenn eventuell die ehemals braune Klientel von CDU und CSU in ihre alte Heimat zurückgefunden haben wird (auf das substanzlose völkische Gebrabbel der Leute aus Schnellroda werden viele verzichten können), die Probleme, die uns der Klimawandel und die daraus resultierenden sozialen Verwerfungen bescheren, leichter zu lösen sein werden? Es sind doch nicht irgendwelche Rechtsradikale, die in den USA Ergebnisse der Klimaforschung leugnen, sondern Milliarden schwere Konzerne wie Exxon und die Gebrüder Koch, die mit Hilfe üppig ausgestatteter Think Tanks sich ein gewünschtes Wahlverhalten der Bevölkerung erkaufen. In Deutschland ist es nicht nur die AfD, die derzeit Sammelbecken von Klimaleugnern ist. Es gibt auch das „Liberale Institute“ der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, das Beziehungen zu dem für seine pseudowissenschaftlichen Beiträge zur Klimaproblematik berüchtigten EIKE unterhält. Und ziemlich wenig hat es mit Rechtsextremismus zu tun, wenn uns tagtäglich die eng mit wirtschaftsliberalen Denkfabriken verwobene Mainstream-Publizistik versucht weiszumachen, wie sehr staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, z. B. um Klimaprobleme zu regulieren, des Teufels sind. Es wird ja dann auch gern die DDR- und neuerdings die Venezuela-Keule geschwungen, wie die Kühnert-Debatte gezeigt hat. Nichts für ungut, aber ich denke, dass eine zu starke Einengung der Diskussion auf Erscheinungen des Rechtsradikalismus in Deutschland, so wichtig sie auch ist, von tieferliegenden Problemen ablenkt.
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Lerchner
Lieber Herr Lerchner, ich sehe da keinen Gegensatz, sondern einen Zusammenhang. Für mich besteht zwischen dem unseligen Treiben von Konzernen wie Exxon und dem Rechtsnationalismus keinen Gegensatz, schon gar nicht kann ich erkennen, dass der Kampf gegen den Rechtsnationalismus ein „Ablenkungsmanöver“ ist. In Trump laufen die Fäden zusammen (und so war es schon Ende der 20-ziger Jahre). Beste Grüße Christian Wolff
„Könnte es sein, dass ganz viele (ich denke an ´die 25-30 % der Wähler/innen in Sachsen) überhaupt nicht reden, sondern einfach nur in Ruhe gelassen…“
Der Prozensatz an Spießern hier ist größer. Und Spießer wollen nicht gestört werden.