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Tod und Leben

Gestern Abend die grandiose Aufführung von Johannes Brahms „Ein Deutsches Requiem“ im Gewandhaus mit dem Monteverdi Choir, dem Gewandhausorchester unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner; heute der 12. Todestag von Dorothea, meiner 2002 verstorbenen Frau; morgen der Ewigkeitssonntag – und vor 10 Tagen eine Bundestagsdebatte über die Frage der aktiven Sterbehilfe. Öffentlich wird vor allem debattiert, ob es erlaubt sein soll, das Ende seines Lebens selbst bestimmen zu können und dafür ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen – Selbsttötung mit medizinischer Indikation. Allerdings: Wer sich in das Brahms Requiem vertieft, das ja nicht nur eine großartige musikalische, sondern auch eine theologisch-biblische Komposition ist, dem müssen manche Debattenbeiträge schrecklich banal erscheinen. Denn Brahms reflektiert nicht, ob und wie ein Mensch am Ende seines Lebens leidet, ob er bei einem Unglück oder im Krieg umkommt, ob er freiwillig aus dem Leben scheidet oder ermordet wird. Brahms bedenkt vor allem die Endlichkeit des Lebens („Alles Fleisch ist wie Gras … das Gras verdorrt“) und die Aussicht darauf, dass das eigentliche Leben noch bevorsteht („Denn wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir“). Der 39. Psalm, Teil 3 des Requiems, macht dies besonders deutlich:

Herr, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss. Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben! Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird. Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich! (Psalm 39,4-8a)

Was für eine nüchterne, realistische Sicht auf die menschliche Existenz: Leben ist nichts, und erst Recht bewahren alle Sicherheitsmaßnahmen nicht vor Sterben und Tod. Trotzdem hat das Leben ein Ziel – auch wenn es kurz sein wird. So ist das Einzige, was als Trost im Leben und Sterben bleibt: die Hoffnung auf Gott. – Ich erinnere mich sehr genau an die letzten Tage im Leben meiner Frau, die Tage des Sterbens. Bis zuletzt hat sie trotz und gegen die schwere Krebserkrankung gelebt – und zwar gerne, auch wenn sie in der Krankheitszeit oft morgens aufwachte mit dem Gedanken: Ich muss sterben. Aber kaum kehrten die Lebenskräfte zurück, nahm sie an allem sehr bewusst und mit Freude teil. Sie wollte der Krankheit nur so viel Raum geben wie nötig. Als zwei Tage vor ihrem Tod die Schmerzen unerträglich wurden, linderte der Intensivpfleger diese mit einem starken Schmerzmittel, das sie zunächst in einen tiefen Schlaf versetzte. Ich war darüber erleichtert – und erschrocken zugleich. Denn es gibt ja nicht nur die Wünsche und Bedürfnisse des Kranken, sondern auch die der Angehörigen: die Sehnsucht gegen alle Vernunft, es möge doch noch ein Wunder geschehen und das Sterben abgewendet werden. Und wenn dann die letzte Phase anbricht und Hilfe zum Sterben geleistet wird, erlischt die eigene Hoffnung. Ein schmerzlicher Prozess. Genauso ist es mir ergangen, als einen Tag vor dem Tod alle Geräte abgeschaltet wurden: medizinisch absolut richtig, aber emotional kam ich mir vor wie der, der sich anmaßt zu entscheiden: Schluss! Und doch wusste ich aus den Gesprächen mit meiner Frau, dass dies in ihrem Sinn war. Und dann der Moment des Sterbens: nach einem langen Kampf, endend mit den Worten „Ich schaffe es nicht“ – der Übergang vom Leben zum Tod: ein Quantensprung, den zu erleben ich nicht missen möchte, wie nach dem letzten Atemzug aller Schmerz aus ihrem Gesicht wich und Frieden einkehrte, der Weg vom Tod zum Leben. Meine Frau starb zu Hause.

Warum ich das erzähle? Weil ich zum einen weiß, dass jede Krankheit zum Tode anders verläuft und niemand sagen kann: So empfinden oder das wollen Sterbende. Meine Frau stand der Schmerztherapie sehr kritisch gegenüber. Sie sagte: Solange ich Schmerzen habe, weiß ich, dass ich lebe. Darum bat sie darum, die Morphiumdosierung auf das Nötigste zu beschränken. Zum andern scheint mir in der gegenwärtigen Debatte etwas aus dem Ruder zu laufen. Denn es kann und darf bei der Sterbehilfe nicht in erster Linie um die Erleichterung und Legitimierung der Selbsttötung gehen – unabhängig davon, dass Menschen durch kein Gesetz daran gehindert werden können, aus den unterschiedlichsten Gründen ihrem Leben ein Ende zu setzen – vor der Zeit, die ihnen von Gott geschenkt ist. Das zu verurteilen, steht niemandem zu, aber wir sollten es nicht rechtfertigen und auch nicht befördern. Vielmehr muss die Hilfe zum und beim Sterben erweitert und professionalisiert werden. Das ist aber nicht allein mit dem überfälligen und notwendigen Ausbau der Palliativmedizin und der ambulanten und stationären Hospizarbeit getan. Es setzt voraus, dass wir das Sterben, die Vergänglichkeit, das Schwächerwerden, die Krankheit zum Tode – unabhängig vom Lebensalter – als zum Leben gehörig betrachten. Und nun ist entscheidend, dass dieser Teil des Lebens nicht künstlich verlängert und intensiviert wird, sondern dass wir respektieren, „dass es ein Ende mit mir haben muss.“. Darum gilt es, die Hilfe zum und beim Sterben als Teil des ärztlichen Auftrages, Leben zu ermöglichen, zu begreifen. So kann würdiges Sterben zugelassen werden. Dazu bedarf es aus meiner Sicht keiner neuen gesetzlichen Regelung. Stattdessen sind ganz viel ethische Verantwortung und eine nüchterne Sicht auf Leben und Tod erforderlich. Der 39. Psalm kann helfen, die Endlichkeit und das Ziel des Lebens neu zu bedenken.

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