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Predigt im Friedensgebet Kreuzkirche Dresden am Tag der Deutschen Einheit

Im März 2016 erhielt ich die Einladung von der Dresdner „AG 8. Oktober“, im Friedensgebet in der Kreuzkirche Dresden am Tag der Deutschen Einheit die Predigt zu halten. Dieses Friedensgebet findet jedes Jahr im Gedenken an die Friedliche Revolution von 1989 eigentlich am 8. Oktober statt. Da in diesem Jahr der Freistaat Sachsen Ausrichter der zentralen Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden war, wurde das Friedensgebet auf den 03. Oktober 2016 vorverlegt. Aus bis jetzt unbekannten Gründen tauchte das Friedensgebet im Dresdner Programm zum Tag der Deutschen Einheit nicht auf, auch wurde auf das Friedensgebet erst am 28. September 2016 in einer Pressemitteilung der Landeskirche verwiesen. Dennoch nahmen 400 Menschen am Friedensgebet teil. Leider reiht sich das in die anderen Merkwürdigkeiten des Tages ein: Da wurden alle Versammlungen und Kundgebungen in der Innenstadt untersagt – Pegida darf aber aufmarschieren und wird von der Polizei mit „Wir wünschen einen erfolgreichen Tag für Sie“ ermuntert. Und beim Gedenken an den „Steinen des Anstoßes“ im Anschluss an das Friedensgebet wertet es der 1. Bürgermeister der Stadt Dresden Detlef Sittel (CDU) als Ausdruck für das Funktionieren der Demokratie, dass Menschen hemmungslos pöbeln und hetzen können. Da möchte ich gleich die Mail nachschieben, die mich heute Morgen erreichte: „Heil Christian Wolff! Bist du vollkommen VERBLÖDET, Alterchen? Wahrscheinlich wartet schon das Pflegeheim auf dich und du willst sicherstellen, dass irgendein Moslemtrottel dir auch jeden Tag den Arsch auswischt. Am besten jemand aus Aleppo, pfffff, HAHAHAHAHAHA!“ Ausdruck von Demokratie? Irgendwie scheint man in Dresden immer noch nicht begriffen zu haben, dass das Miteinanderreden das eine ist, das andere aber ist die klare Positionierung derer, die nicht bereit sind, den Bachmanns, Festerlings, Höckes, Petrys die Demokratie zum Fraß hinzuwerfen.

Predigt

Es gehört zu den wunderbaren Folgen der Friedlichen Revolution und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, dass in den vergangenen 26 Jahren viele Kirchen in Ostdeutschland vor dem Verfall bewahrt werden konnten. Mehr noch: Zerstörte Gotteshäuser wie die Frauenkirche konnten wieder aufgebaut werden und neue Kirchen wie die katholische St. Trinitatis Kirche in Leipzig bereichern das städtische Leben. Doch noch wichtiger ist: Nach der Vernichtung jüdischen Lebens in der Nazi-Zeit, eine wesentliche Ursache für die Teilung Deutschlands, konnten die Synagoge in Dresden und das Begegnungszentrum der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig neu errichtet werden. Und hoffentlich sind wir alle froh und dankbar dafür, dass unter den Bedingungen der freiheitlichen Demokratie auch Religionsgemeinschaften wie der Islam oder der Buddhismus ihre Gebets- und Gotteshäuser in unseren Städten einrichten und bauen können. Gerade weil die Religionsfreiheit in unserer Verfassung verankert ist, gehört Religion in den öffentlichen Raum. Denn wir werden nur dann in Frieden zusammenleben, wenn wir uns gegenseitig ermöglichen, Gottesdienst zu feiern, für die Menschen zu beten und die religiöse Identität zu wahren. Ja, es war und ist so: In wirtschaftlichen Blüte- und in Friedenszeiten können Gotteshäuser erhalten und neu gebaut werden. Das Umgekehrte ist aber auch wahr: In Not- und Kriegszeiten zerfallen sie oder werden zerstört. Wo aber Kirchen, Synagogen oder Moscheen in ideologischer Verblendung dem Erdboden gleichgemacht werden, wie das in der Nazi-Zeit, 1968 bei der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli in Leipzig und jetzt durch die Zerstörung von Moscheen durch den IS der Fall war und ist, ist das immer Ausdruck der Verkommenheit einer Gesellschaft, der Anfang vom Ende. Denn mit der Zerstörung von Gotteshäusern wollen autokratische Systeme die Menschen in ihrem Innersten treffen und das ausschalten, wofür in Sakralbauten gebetet wird: für den Frieden, für Barmherzigkeit, für die Ehrfrucht vor dem Leben. Darum müssen wir es als schrilles Alarmsignal werten, wenn heute wieder Synagogen angegriffen oder – wie in Parchim, Dresden, Potsdam geschehen – der Zugang zu einer Moschee zugemauert, ein Sprengstoffanschlag verübt oder ein Schweinekopf abgelegt werden.

Warum ich das an den Anfang stelle?

  • Zum einen können wir an diesem Tag das feiern, was Grundvoraussetzung und Ausdruck der freiheitlichen Demokratie ist: die Pluralität, die Vielfalt des gesellschaftlichen und religiösen Lebens. Für diese Vielfalt haben Menschen vor 27 Jahren auch in dieser Kirche gebetet und sind auf die Straße gegangen. Um Pluralität zu erreichen, haben sie sich im Ruf vereint „Wir sind das Volk“ – wir, die so unterschiedlichen Menschen mit ihren oft gegensätzlichen Interessen.
  • Zum andern hat die „Arbeitsgruppe 8. Oktober“ mich gebeten, der Predigt einen Vers aus dem 2. Buch Chronik zugrunde zu legen. In diesem eher unbekannten Teil der Hebräischen Bibel wird chronologisch die frühe Geschichte des Volkes Israel erzählt. Im 7. Kapitel heißt es:

Wenn … dann mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen. (2. Chronik 7,14)

Der Hintergrund dieses Verses ist schnell erzählt: Unter der Regentschaft des bedeutenden König Salomo – wir befinden uns im 10. vorchristlichen Jahrhundert – konnte das zentrale Heiligtum, der Tempel in Jerusalem, gebaut und eingeweiht werden. König Salomo hatte gerade ein großes Weihegebet über den imposanten Sakralbau gesprochen. Danach kam es zu einem gigantischen Opferritus, untermalt von prachtvoller Musik mit Harfen und Trompeten. Der Festakt dauerte sieben Tage (nebenbei: da nimmt sich die Einheitsfeier an einem verlängerten Wochenende in Dresden eher bescheiden aus). Der Chronist hält fest, dass die Menschen nach der Festwoche fröhlich von dannen zogen, erfüllt von großartigen Eindrücken. Dann antwortete Gott auf Salomos Gebet und auf all das, was Jerusalem sieben Tage in Atem gehalten hatte: „Wenn … dann mein Volk … sich demütigt, … so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen.“ Doch worauf bezieht sich das „Wenn … dann“? Die Antwort finden wir im Vers zuvor: „Siehe, wenn ich den Himmel verschließe, dass es nicht regnet, oder die Heuschrecken das Land fressen oder eine Pest unter mein Volk kommen lasse … und (wenn) dann mein Volk … sich demütigt … so will ich … ihr Land heilen.“

Nach dem Glücksgefühl, dass mit der Tempelweihe eine neue Zeit angebrochen ist, nach dem Wunder der Friedlichen Revolution und der deutschen Einheit, stellt Gott hier nüchtern die Verbindung zum Alltag her: Es wird auch in Zukunft nicht alles rund laufen, es wird Trockenheit geben, Heuschrecken werden ihr Unwesen treiben und Krankheiten das Volk tief verunsichern. Das ist ja eine Grunderfahrung nach der Euphorie 1989/90: auch im neuen Deutschland wird nur mit Wasser gekocht, es wird zwischen Rechtsstaat und Gerechtigkeit eine Lücke klaffen, Menschen werden leiden und sterben. Und was die Heuschrecken angeht – da brauchen wir nur an den real existierenden Kapitalismus denken: wie er sich durch die Völker frisst. Kein Wunder, dass sich Menschen schwer damit tun, zwei Welten in Einklang zu bringen: auf der einen Seite das Geschenk der Freiheit, die Freude über Vielfalt, auf der anderen Seite die Widersprüche, die unter freiheitlichen Bedingungen vor allem sozial aufbrechen. Wie da das eigene, zerrissene Leben als eine Einheit erfahren, als geheilt empfinden? Wie die eigene Identität wahren, wenn Vielfalt bedeutet, dass der Andere sich in seiner Verschiedenheit auch entfalten können darf und mir mit seinem Lebensentwurf im Wege steht?

Aber – und das ist das Entscheidende: Wenn jetzt trotz Demokratie, trotz offener Grenzen, trotz Vielfalt des Lebens und eines weltweit gesehen enormen Wohlstands dennoch mancher enttäuscht, ja frustriert ist über seine Lage, wenn bei ihm vom Aufbruch 1990 kaum etwas nachhallt, dann gibt es eine Alternative zur stummen Verbitterung, zum verweigernden Groll, zur enthemmten Wut im Echoraum des Internets, zu Ignoranz und verlogener Inkompetenz der Populisten – eine Alternative, die mir neue Orientierung verleiht: Demut, Gebet, die Suche nach Gott, Umkehr. Waren das nicht auch die Wegmarkierungen bei der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung im April 1989 hier in Dresden? Wir sollten uns ihnen neu anvertrauen.

Demut – Was Demütigung bedeutet, muss man denen, die unter dem herrischen Wahrheitsanspruch einer Einheitspartei gelitten haben, nicht erklären. Erniedrigung, gewaltsame Anpassung an eine Ideologie ist aber das Gegenteil von Demut. Diese beinhaltet biblisch gesehen zweierlei:

  1. Die Anerkennung Gottes als des einen Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Ihm allein sind wir verantwortlich und darum gegenüber jedermann frei. Aber wenn wir Gott als den Schöpfer alles Lebens anerkennen, dann gilt das wirklich für alle. Dann sind Hindhus, Moslems, religionslose Menschen, Geflüchtete, Menschen mit Behinderungen, Schwule und Lesben, Sterbende keine Unglücksfälle der Schöpfung. Vielmehr ist ihr Leben genauso mit Recht und Würde gesegnet wie mein eigenes. Daraus erwächst Demut vor dem, was Gott vermag: barmherzig und gnädig zu sein.
  2. Daraus folgt das Zweite: Demut führt zur Solidarität mit den Gedemütigten. Etliche werden die berühmte Federzeichnung von Oskar Kokoschka aus der Nachkriegszeit kennen. Sie zeigt den gekreuzigten Christus, wie er sich zu den durch Hunger und Krieg gedemütigten Kindern hinunter beugt, um ihnen die Gnade Gottes, also das Leben zuzusprechen. Das ist das Leitbild für uns Christen – auch heute. Es geht nicht um Deutschsein, sondern um Menschsein, wenn es um‘s Christsein geht.

Gebet – Niemandem, der in dieser und anderen Kirchen vor 27 Jahren die Friedensgebete miterlebt hat, muss man erklären, welche Kraft vom Gebet ausgeht. Aber wir sollten heute viel mehr darüber sprechen, dass wir in den Kirchen mit unseren Gebeten die ganze Welt in den Blick bekommen. Nirgendwo sonst wird so global gedacht, gerät die Welt so in den Fokus wie durch das Gebet für den Frieden. Im Gebet machen wir ernst damit, dass nichts und niemand gleichgültig sind. Da lassen wir den kalt-verächtlichen Banal-Vorwurf, dass wir nicht die ganze Welt retten können, produktiv werden: Gott kann es – und nimmt uns dafür in seinen Dienst. Er kann Wunder geschehen lassen. Darum machen wir im Gebet nicht Halt vor den dunklen Ecken unserer Welt und unserer eigenen Existenz. Wir hoffen auf Erneuerung, Veränderung! Ich möchte mir keine Welt vorstellen, in der nicht mehr gebetet, dafür aber umso mehr gehetzt wird. Denn wer nicht betet, dem geht nicht nur der lange Atem verloren. Er droht mit Gott auch den Nächsten aus dem Blick zu verlieren und in einem asozialen Egoismus national-völkischer Verblendung zu verkümmern.

Gott suchen – Darum ist die Suche nach Gott so wichtig, denn sie beinhaltet nichts anderes als die Suche nach der eigenen Identität. Diese Identität finden wir eben nicht in einer aufgeblasenen Gefühlsrhetorik von Nation, Volk, Rasse. Wir finden sie in dem, der uns bei unserem Namen ruft – und auch in größter Fremdheit nicht allein lässt. Als das Volk Israel nach Babylonien verschleppt wurde, 1000 Kilometer vom inzwischen zerstörten Tempel entfernt, dort wie auf gepackten Koffern sitzend ausharrte und dabei war, eine Parallelgesellschaft zu bilden, da rief ihnen der Prophet Jeremia zu: Integriert euch, gründet Familien, sucht der Stadt Bestes – aber behaltet euren Glauben! Vertraut dem Gott, der sagt: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“ (Jeremia 29,13b)

Umkehr – Wer in diese Suchbewegung eintritt, muss – wie es im Predigttext heißt – „von bösen Wegen kehren“. 1988/89 war das der Auslöser für das Nachdenken über die eigene Situation: „Gottes Ruf zur Umkehr“. Diese beginnt damit, die eigene Situation und eben auch das Böse, das Misslungene, nüchtern einzuschätzen und Auswege in Richtung Schalom aufzuzeigen. Denn wer umkehrt, sieht sich weniger als Opfer, sondern erkennt sich als Beteiligter, als Akteur. Darum haben wir zu fragen:

  • Wie steht es um die Demokratie? Für sich genommen ist sie die dem christlichen Glauben angemessene Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens und bedarf darum unserer Wertschätzung und Beteiligung. Als Kirche können wir das nicht oft genug betonen.
  • Wie steht es um die Gewaltlosigkeit? Diese wird weniger durch die infrage gestellt, die blindwütig kriegerische Gewalt ausüben, als durch die, die meinen, ohne militärische Gewalt sei kein Frieden zu erreichen und für die darum der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ nach wie vor eine Provokation darstellt.
  • Wie steht es um Pluralismus, um die Vielfalt in unserer Gesellschaft? Verstehen wir Verschiedenheit als Gottes Gabe oder als Bedrohung?
  • Wie steht es um die Gerechtigkeit? Klagen wir diese nur für uns selbst ein oder fördern wir sie durch globales Teilen und Beteiligung aller an Bildung, Arbeit, Einkommen?

Wenn wir in diesem Sinn umkehren, dann setzen wir die Heilungskräfte frei, die Gott damals dem Salomo zugesagt und die Jesus Christus bekräftigt hat. Lasst uns also nie vergessen, wozu Kirchen, Synagogen, Moscheen, wozu Gottes- und Gebetshäuser in unseren Städten stehen: um den Ort zu finden, an dem wir auf das hören, was für uns alle gut ist: „Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8) Amen.

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