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Leben abseits von Lockdown und Lockerungen

Die Infektionszahlen steigen, der Sieben-Tage-Inzidenzwert auch. Vor allem: Die Menschen, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben und klinisch behandelt werden müssen, teilweise auch auf den Intensivstationen, werden immer mehr. Es ist absehbar, dass die Krankenhäuser an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten. Das ist mehr als beunruhigend – vor allem deswegen, weil es sich in einer seit November 2020 andauernden sog. Lockdown-Situation ereignet. Auch wenn in der öffentlichen Debatte so getan wird, als stünde uns ein neuer Lockdown bevor, muss betont werden: Viele Menschen können seit über einem Jahr ihrem Beruf nicht mehr nachgehen, müssen ihre Geschäfte, Betriebe, Einrichtungen, Restaurants, Hotels geschlossen halten, sind längst an das Ende ihrer wirtschaftlichen Überlebensmöglichkeiten angelangt. Seit Monaten finden keine Publikumsveranstaltungen im kulturellen und Sportbereich statt. Trotzdem breitet sich das Corona-Virus weiter aus, derzeit mit dramatisch steigender Tendenz. Offensichtlich greifen die Lockdown-Maßnahmen nicht. Ist also der absolute Stillstand des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, familiären Lebens der einzige Ausweg? Dafür plädieren diejenigen, die die sog. No-Covid-Strategie propagieren. In einer freien Gesellschaft ist das aber kaum möglich. Denn dieser Stillstand würde bedeuten: Einschränkung aller Lebensaktivitäten und absolute Kontrolle des privaten Lebens.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist wohl nur möglich, wenn wir uns von zwei Begriffen verabschieden: „Lockdown“ und „Lockerungen“. Beide Begriffe stehen für eine Sackgassenpolitik. Weder schützt uns ein Lockdown nachhaltig vor den tödlichen Gefahren der Corona-Pandemie, noch können uns Lockerungen eine Rückkehr zur viel beschworenen Normalität versprechen. Denn diese Normalität wird es so nicht mehr geben. So wie wir gesellschaftliche Regeln finden und immer neu justieren müssen z.B. im Umgang mit Kriminalität oder Terrorismus, ohne dabei die Grundsätze der freiheitlichen Demokratie aufzugeben, so müssen wir in Zeiten der Pandemie das gesellschaftliche Leben neu ausrichten und dabei die demokratischen Grundrechte wahren. Dabei geht es neben der Güterabwägung immer auch um ein Leben mit den Bedrohungen und eine Debatte um die besten Strategien und Lösungen. Im Zentrum muss aber stehen: ein menschenwürdiges Leben all derer, die nicht vom Virus getroffen sind, zu ermöglichen (Prävention) und eine bestmögliche Behandlung derer zu gewährleisten, die am Coronavirus erkrankt sind (Intervention).

Nun ist seit Monaten bekannt (beachte das Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung vom 11.04.2021): Das Corona-Virus breitet sich dort aus, wo sich viele Menschen in geschlossenen Räumen über eine längere Zeit aufhalten. Das ist in Kitas und Schulen, in Büros und Betrieben, in Bussen, Straßenbahnen und Zügen und im privaten Bereich der Fall – besonders dort, wo große Familien in kleinen Wohnungen leben. Wer also das Infektionsgeschehen beeinflussen will, muss in diesen Bereichen Vorsorge treffen und für nachhaltige Veränderungen sorgen – durch weniger Kinder bzw. Schüler*innen in größeren Räumen, Installation von Raumluftreinigern in Klassenzimmern, Büros und Heimen, Belegungsbegrenzung in Wagons des ÖPNV. Die Realität sieht leider anders aus: Bis heute gibt es mW keinen Bus, keine Straßenbahn, keinen Wagon der Deutschen Bahn mit klarer Beschränkung und Sitz-Bezeichnung zulässiger Belegung. Das führt seit Monaten zu überfüllten S- und Straßenbahnen und Bussen während des Berufsverkehrs (und leeren Bahnen und Zügen außerhalb der Stoßzeiten), ohne dass diesem Missstand in irgendeiner der vielen Corona-Maßnahmenverordnungen Rechnung getragen wird. Ebenso mangelt es an Raumluftreinigungsgeräten in Schulen, Alten- und Pflegeheimen und Geschäftsräumen. Bleibt der private Raum. Hier wirken sich die sozialen Gegensätze fatal aus. Wer über eine ausreichend große Wohnung mit Balkon oder ein Eigenheim verfügt, ist natürlich im Vorteil gegenüber den sehr viel mehr Menschen, die in kleinen Wohnungen leben. Wenn aber diesen Menschen alle Außerhaus-Freizeitangebote durch den Lockdown verwehrt werden, konzentriert sich der jeweilige Lebensraum auf wenige Quadratmeter im Inneren. Dabei hat die Gesellschaft für Aerosolforschung (GAEF) darauf verwiesen, dass das Corona-Infektionsgeschehen open air gegen Null geht – bei Beachtung von Abstand und Vermeidung von großen Menschenansammlungen.* Also: Spielplätze zu schließen, Freibäder nicht zu öffnen, Menschen zu empfehlen, die Wohnung nicht zu verlassen, sportliche Betätigung insbesondere für Kinder und Jugendliche in Schulen und Vereinen zu verbieten, verstärkt das Infektionsgeschehen im Inneren. Denn solche Maßnahmen zerstören Akzeptanz und drängen Menschen in den viel zu kleinen privaten Bereich.

Unabhängig von Inzidenzzahlen ist hier eine Änderung der Maßnahmen angesagt. Gerade weil jetzt die wärmere Jahreszeit beginnt, muss es zu einer neuen open-air-Strategie kommen. Es wurde schon viel Zeit verschenkt. Natürlich wird eine Umsteuerung umso erfolgreicher sein, je stringenter die Teststrategie greift und je mehr Menschen sich impfen lassen. Aber auch danach werden wir weiter mit der Realität dieser und weiterer Pandemien leben. So bleibt uns abseits von „Lockdown“ und „Lockerung“ nicht erspart, diese Pandemie als das große STOP-Schild zu verstehen. Es muss uns dazu veranlassen, unser ganzes gesellschaftliches Leben auf den Prüfstand zu stellen. Das aber kann kein Infektionsschutzgesetz verordnen. Das müssen wir schon selbst in Gang setzen.

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* Ironie am Rande: Die Sächsische Posauenmission weist daraufhin, dass bei einer Inzidenzzahl von über 100 höchstens fünf Bläser*innen draußen spielen dürfen. Vielleicht wäre eine Orientierung an den Erkenntnissen der GAEF auch für die Bläserarbeit hilfreich.

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