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Krieg? Nein! Aber Umkehr zu den Grundwerten

Es war mehr als makaber: Im ZDF lief am 13.11.15 der Krimi „Wem gehört die Stadt“ aus der Serie „Soko Leipzig“. Ein Baudirektor wird von jungen Leuten entführt, um den Abriss von besetzten Häusern zu verhindern. Unter den Entführern ist Henner, ein gewalttätig agierender Protestler. Während dieser sich immer mehr in seinem Richtigkeitswahn verrennt, läuft ein rotes Band über den Fernseher „Schießereien in Paris. Mehrere Tote. Näheres im Heute Journal“. Da stoßen auf grausame Weise virtuelle und reale Welt aufeinander – und wir können sie oft nicht mehr auseinanderhalten. In Paris waren zu allem entschlossene Gewalttäter am Werk und haben am Ende 128 Menschen getötet – einfach so. Nein, nicht einfach so: Sie haben sich eine ideologisch-religiöse Welt zurechtgezimmert, in der der Terror fast zwangsläufig, vor allem aber gerechtfertigt erscheint – so wie Henner, der für eine angeblich gerechte Sache eiskalt Menschenleben auslöschte.

Nach dem Krimi wurde das ganze Ausmaß des tatsächlichen Terroranschlags offenbar. Paris wurde eine traurige, tief verunsicherte Stadt, und auch wir sind erschrocken, geschockt und mehr als verunsichert. Wie mit dieser Tat umgehen? Wie Haltung bewahren? Wie weiter mit der Auseinandersetzung um islamistischen Terror, Flüchtlinge, Pegida/Legida, die Grundwerte unserer Verfassung? Gar nicht so einfach, Antworten zu finden. Ein ehemaliger Konfirmand schrieb mir gestern eine Mail – aufbauend auf seinem Konfirmationsspruch „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21):

Es sollte allen Beteiligten klar sein, dass man Terrorismus nicht mit Krieg allein bekämpfen kann. Aber heißt das auch, dass man Terrorismus ohne eine militärische Auseinandersetzung unterbinden kann. Ich denke an dieser Stelle an Bonhoeffers Verantwortungsethik. Diese besagt: Handle so, dass die Maxime deines Handelns den Fortbestand der Menschheit nicht gefährdet. Das heißt, dass man auch mal Lügen darf, wenn ein Menschenleben davon abhängt. Heißt es auch, dass man Terroristen, mit denen sich nicht verhandeln lässt und die gewillt sind, möglichst viele Menschen zu töten, selbst töten darf? Ich weiß es nicht und erbitte Ihre Antwort. Ich denke, man sollte zunächst alle friedlichen und deeskalierenden Maßnahmen einleiten und durchsetzen. Wenn diese aber keine ausreichende Wirkung zeigen, weiß ich momentan leider nicht mehr weiter.

Zunächst: Wie wohltuend, dass ein Konfirmationsspruch einen jungen Menschen von den ganz einfachen Antworten abhält. Wie wohltuend, dass hier der Zweifel, die Unsicherheit zunächst einmal das Grundsätzliche in den Vordergrund stellt: das Böse mit Gutem überwinden. Wie wohltuend, dass das Bild, das nun als Symbol für den Widerstand gegen den Terrorismus um die Welt geht, nicht eine durchgestrichene Moschee, nicht ein geXter Islamist ist, sondern der Pariser Eiffelturm als Friedenszeichen: Nein, wir lassen uns nicht in einen Krieg hineinziehen. Nein, wir begeben uns nicht auf die Gewalt- und Terrorebene der Täter. Nein, wir bleiben dabei: Nur wenn wir so unterschiedlichen Menschen bereit sind, in Frieden zusammenzuleben, in Frieden unsere Interessensauseinandersetzungen zu führen, in Frieden unseren unterschiedlichen Glauben zu leben – nur dann gibt es Zukunft und Hoffnung für alle. Sage bitte niemand, das sei blauäugig. Oder behaupte er dies bitte erst dann, wenn er sich mit folgenden Fragen auseinandergesetzt hat:

  • Wie kann es sein, dass der 2001 erklärte „Krieg gegen den Terror“, der 15-jährige Krieg in Afghanistan, der 2003 erlogene Krieg im Irak, als Ergebnis hat: ein Afghanistan, aus dem nun die Menschen massenhaft vor den Taliban nach Europa fliehen; einen zerstörten, zerrissenen Irak, der in Terror und Gewalt versinkt; ein Syrien, das seit vier Jahren in einem Bürgerkrieg untergeht; einen Nahen Osten, der der größte Umschlagplatz für Rüstungs“güter“ ist und eben einen IS, der seinen grauenhaften Terror nach Europa trägt?
  • Wie ist das zu bewerten, dass wenige Stunden nach den schrecklichen Terroranschlägen führenden Politikern und Kommentatoren nichts anderes einfällt, als sich weiter in der Sackgasse dieser fatalen Kriegslogik zu verrennen: mehr Waffen, mehr Krieg, mehr Militär?
  • Wäre es nicht angebracht, erst einmal innezuhalten und zu fragen: Was muss an unserer Politik als gescheitert angesehen werden angesichts der Tatsache, dass der Terror nicht weniger geworden ist? Warum haben die, die 2001 09/11 zu verantworten haben, trotz des „Krieges gegen den Terror“ größeren Zulauf erhalten – nicht nur im Nahen Osten? Welche politischen Strategien verheißen Zukunft und Frieden für die Menschen im Nahen Osten und in Europa? Wie kann eine politische Ordnung aussehen, die die Zustimmung der Menschen im Nahen Osten findet, an der sie also beteiligt sind?

Nur wenige Stunden nach dem Terroranschlag von Paris scheint sich jeder bestätigt zu fühlen in seinen Ängsten und Absichten: zu viele Flüchtlinge, zu viel Islam, zu offene Grenzen, zu wenig Kriegführung, zu viel Freiheit, zu wenig Überwachung. Markus Söder tönt „Paris ändert alles“, um aber nur das sattsam Bekannte zu wiederholen. Und das alles bekommt eine Überschrift – präsidial formuliert in Paris und Berlin: Krieg. Was bezwecken ein François Hollande oder Joachim Gauck mit diesem Wort? Soll ich meinem ehemaligen Konfirmanden raten: Pass mal auf, vergiss deinen Konfirmationsspruch. Das ist was fürs Gemüt, aber nichts für die Realpolitik. Soll ich ihm erklären: So läuft eben die Politik: der von Bonhoeffer als „ultima ratio“ (letzte Möglichkeit) gedachte Tyrannenmord erhält heute als Normalität des Krieges die Priorität. Jetzt ist Härte gefragt. Mit dem Guten kommst du nicht weit, und mit Jesus kannst du in dieser Welt schon gar nichts anfangen. Jedoch: Merken wir eigentlich nicht, dass wir damit jungen Menschen wie uns selbst die Grundlagen dessen unter den Füßen wegziehen, worauf sich unsere Werte aufbauen, die angeblich durch Krieg verteidigt werden müssen? Was ist denn von diesen Werten in den Regionen, in die wir sie implementieren wollten, übrig geblieben? Könnten sich nicht alle, die jetzt reden, angewöhnen, die Werte immer genau zu benennen, um die es geht – um sich dann auch fragen zu lassen, ob ihre Politik diesen Werten entspricht? Welche Werte also sind in Afghanistan und im Nahen Osten verteidigt worden bzw. sollen verteidigt werden: die Demokratie, die Freiheit, die Nächsten- und Feindesliebe, die Barmherzigkeit, die Vielfalt und Offenheit der Lebensentwürfe, die Menschenrechte?

Das Friedenszeichen, das jetzt viele Menschen hochhalten – es zeigt an: Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Wir brauchen mehr Friedens- und Demokratieinitiativen in unseren Gesellschaften. Wir brauchen mehr Glaubwürdigkeit, die den Terroristen weltweit das Wasser abgräbt. Dieses Zeichen und vor allem die Menschen, die es tragen, sind eine deutliche Kampfansage an den IS und andere Terroristen. Und vielleicht sollten wir daran denken, dass der mordende Henner aus dem Freitag-Krimi, sollte er vor Gericht gestellt werden, bei uns Gott sei Dank immer noch als Mensch behandelt wird – die wohl größte Provokation für alle, die aus Menschen ideologisch Unmenschen machen. Wer hier auch nur einen Zentimeter zurückweicht, wird sich schnell wiederfinden in der Sackgasse derer, die das „Heil“ immer in dem zum Monster verzerrten Menschen sehen, den sie auszugrenzen und zu vernichten suchen.

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