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In Memoriam Niels Gormsen (9. August 1927 – 10. Juli 2018)

Es war erst vor wenigen Wochen: Niels Gormsen fuhr auf seinem Elektro-Rolli in die Thomaskirche, um die Samstag-Motette zu besuchen. Wenige Minuten nach Beginn der Motette schloss er die Augen. Besorgte Blicke trafen ihn: Geht es dem Mann schlecht? Nein, bei der Begrüßung erzählte er mir, dass er wohlauf sei dank der ärztlichen Betreuung in Borna. Aber wer Gormsen kannte, wusste, dass dieser Mann schon immer viele Veranstaltungen mit geschlossenen Augen, „schlafend“ verfolgte. Sprach man ihn darauf an, huschte ein mildes Lächeln über sein markantes Gesicht. So nahm Niels Gormsen bis ins hohe Alter hinein und allen körperlichen Einschränkungen zum Trotz als wacher Zeitgenosse aktiv am städtischen Leben teil. Oft genug erhob er seine Stimme, wenn sich wieder einmal in seinen Augen falsche Weichenstellungen im Städtebau anbahnten, und brachte dadurch seine Liebe zu seiner Wahlheimat Leipzig zum Ausdruck. Nun ist der ehemalige Baudezernent der Stadt Leipzig (1990-1995) am vergangenen Dienstag in Borna gestorben – im hohen Alter von fast 91 Jahren.

Niels Gormsen kenne ich seit Mitte der 80er Jahre. Er war seit 1973 Baubürgermeister der Stadt Mannheim. 1988 wurde er aber nicht wiedergewählt. Grund: Die SPD beanspruchte den Bürgermeisterposten für ein Parteimitglied, das „versorgt“ werden musste– ein für mich als Sozialdemokrat sehr unappetitlicher Vorgang. Denn die Kompetenz von Niels Gormsen war über die Parteigrenzen hinweg unbestritten. Es gab keinen sachlichen Grund, ihn nicht wiederzuwählen. Es spricht für die Souveränität Gormsens, dass er die Arbeit seines Nachfolgers anerkannte und positiv bewertete. Gormsen kandidierte daraufhin für den Stadtrat und engagierte sich vermehrt in der Evangelischen Kirche. Dort begegneten wir uns immer wieder. 1988/89 war er dann sowohl auf städtischer wie auf kirchlicher Ebene sehr hilfreich: Die Kita der Gemeinde, in der ich tätig war, benötigte dringend Räumlichkeiten für eine dritte Kita-Gruppe. Die Lösung war nur über einen Containeranbau zu erreichen. Doch zuvor musste verhindert werden, dass das Grundstück von der Kirche Mannheims anderweitig genutzt wird. Gormsen setzte sich für die dann immerhin 25 Jahre währende Lösung ein.

1990 ließ sich Gormsen vom damals gerade neu gewählten Oberbürgermeister Leipzigs Dr. Hinrich Lehmann-Grube (SPD) dazu bewegen, in Leipzig das Baudezernat zu übernehmen. Lehmann-Grube hat immer wieder erzählt, wie er auf einer Zugfahrt mit einem ihm bekannten Fachmann für Städtebau ins Gespräch kam. Diesem berichtete er, dass er dringend einen Baudezernenten benötigt. Der nannte den Namen Gormsen; der sei sozusagen „arbeitslos“. Lehmann-Grube rief Gormsen umgehend an und dieser sagte zu, nach Leipzig zu kommen. Da Gormsen der Herrnhuter Brüdergemeine angehörte, hatte er zumindest geistliche Wurzeln in Sachsen. Mitte 1990 zog Gormsen nach Leipzig, ohne seine Zelte in Mannheim abzubrechen. Bis 1995 wirkte er sehr engagiert und vollzog entscheidende, noch heute wirksame Weichenstellungen.

Als ich mich 1991 von Mannheim aus um die Pfarrstelle an der Thomaskirche Leipzig bewarb, legte es sich nahe, mit Niels Gormsen Kontakt aufzunehmen. Wir trafen uns Ende September 1991 im damaligen Café Concerto auf dem Thomaskirchhof zum Gespräch. Da mich Gormsen auch aus Mannheimer Zeiten kannte, fragte ihn direkt, ob er sich das vorstellen könne, dass ich die Pfarrstelle an der Thomaskirche übernehmen könne. Er antworte ebenso direkt: Predigen können Sie ja, und das andere wird sich ergeben. Er redete mir im weiteren Verlauf des Gespräches sehr zu, die Chance zu ergreifen. Er jedenfalls habe den Wechsel nach Leipzig nicht bereut. Einig waren wir uns in der rein gefühlsmäßigen Einschätzung, dass sich Leipzig als Stadt auf jeden Fall gut entwickeln wird.

Schneller als gedacht, habe ich dann 1992 das Gespräch mit dem Baudezernenten Gormsen gesucht. Das war umso einfacher, als Gormsen zur Kirchgemeinde St. Thomas gehörte. Für mich war ziemlich grotesk, dass der südliche Thomaskirchhof regelmäßig zugeparkt war – die Autos standen rings um das Bachdenkmal bis an die Stufen des Bach-Portals. Das war in einer Zeit, da der passionierte Fahrradfahrer Gormsen eine autofreie Innenstadt präferierte, aber die meist aus Westdeutschland kommenden Geschäftsführer der Kaufhäuser am liebsten die Autos bis zur Kasse vorfahren lassen wollten. Gormsen hat dann sehr schnell durch das Setzen von Pollern dafür gesorgt, dass Plätze wie der Thomaskirchhof von Autos freigehalten wurden. Aber er handelte sich dafür viel Kritik ein. Ebenso wurde er wegen der sog. „Keksdosen“ kritisiert, die abgerundeten Ecken an Neubauten – wobei er die Verantwortung dafür von sich wies. Gormsen war ein Kommunalpolitiker, der stark auf die Ideen anderer setzte und Bürgerbeteiligung initiierte. Dabei verband er bürgerschaftliche Kommunikation und Entscheidungskraft miteinander. Das hat Leipzig insgesamt gut getan. Niels Gormsen gehörte zu den Menschen, die unmittelbar nach friedlichen Revolution aus Westdeutschland gekommen sind, sich aber nicht „auf Besuch“ wähnten, sondern die sich ganz den neuen Herausforderungen stellten und dabei die vorhandenen Kompetenzen der Leipziger Bürgerinnen und Bürger achteten und nutzten. Für ihn war auch klar, dass er nach seiner aktiven beruflichen Tätigkeit in Leipzig blieb – nicht zuletzt deshalb, weil er sich weiter für die städtebauliche Entwicklung dieser großartigen Stadt engagieren und im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder „zu neuen Ufern“ aufbrechen wollte.

Neben seinem wunderbaren „Skizzenbuch“, in dem er seine Stadtansichten sammelte, ist Gormsen zu verdanken, dass er zusammen mit dem Fotographen Armin Kühne Leipzig als eine „Stadt im Wandel“ dokumentierte. Jene, die noch immer und schon wieder allzu nostalgisch auf die Zeit vor 1990 zurückblicken und die der neuen Architektur nichts abgewinnen können, sollten sich die erschienenen Bände zu Gemüte führen. Da kann jeder erkennen, was in den vergangenen fast drei Jahrzehnten in Leipzig erhalten, erneuert und geschaffen werden konnte. Dass Niels Gormsen sich in den vergangenen Jahren vehement gegen Abrisse (kleine Funkenburg) und für den Erhalt historischer Bausubstanz (Höfe am Brühl) eingesetzt und zu Wort gemeldet hat und dabei vor demonstrativen Aktionen nicht zurückschreckte, ist seinem liberalen, demokratischen, streitbaren Geist zu verdanken, der in Leipzig gedeihen kann wie in kaum einer anderen Stadt – aber leider zu Lebzeiten solcher Zeitgenossen nie wirklich gewürdigt wird. Für Niels Gormsen war es ein großes Glück, dass er nach dem Tod seiner Frau Traute, die in Mannheim lebte, vor eineinhalb Jahren noch einmal heiraten konnte, seine langjährige Leipziger Weggefährtin Hella Gormsen geb. Müller. In ihr fand er in den vergangenen Jahren für all sein Wirken den notwendigen Rückhalt und Unterstützung.

Mit dem Tod von Niels Gormsen hat Leipzig einen großen, engagierten Kommunalpolitiker und Bürger verloren. Für sein reiches Wirken können wir nur dankbar sein. Es bleibt in vielfältiger Weise lebendig. Dass der Trauergottesdienst für Niels Gormsen in der Thomaskirche stattfindet, entspricht seiner Verankerung im christlichen Glauben und seiner engen Verbindung zu diesem Gotteshaus, das er bis zuletzt zu Gottesdiensten und Motetten aufgesucht hat. Er war glücklich darüber, dass er von seiner Wohnung aus einen direkten Blick auf die Thomaskirche hatte – fast so wie einstmals Felix Mendelssohn Bartholdy.

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