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Goldene Konfirmation

Heute vor 50 Jahren wurde ich in der Mutterhauskirche der damaligen Diakonissenanstalt in Düsseldorf-Kaiserswerth konfirmiert, und vor 22 Jahren war der 15. März wieder ein Sonntag – da wurde ich in der Thomaskirche Leipzig durch den damaligen Superintendenten Johannes Richter auf die 2. Pfarrstelle der Kirchgemeinde St. Thomas-Matthäi eingeführt. Beides sind für mich Ereignisse, um inne zu halten – zumal die Losung für den 15. März 2014 das beschreibt, was ich in den vergangenen 50 Jahren und auch während meiner Tätigkeit an der Thomaskirche erlebt habe:

Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. (Psalm 84,3)

Über meine Konfirmation habe ich mich sehr gefreut – nicht nur, weil ich den ersten Anzug trug (neu gekauft, und nicht weitergegeben von meinen beiden älteren Brüdern), sondern auch, weil ich mich endlich eigenständig in der Gemeinde bewegen konnte. Ich habe Geschenke erhalten, die mich bis heute begleiten: Da ist vor allem der von meinem Vater handgeschriebene Tauf- und Konfirmationsspruch, der, so lange ich denken kann, über meinem Bett hängt:

Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? (Psalm 27,1)

Dieser Zuspruch begleitet mich, so lange ich denken kann. Er vermittelt mir bis heute ein großes Grundvertrauen, Lebensmut und Angstfreiheit. Gerade in den nicht wenigen, vor allem auch politischen Auseinandersetzungen, die ich durchzustehen hatte, war dieses Wort ein Rettungsanker in Momenten der Einsamkeit, Verunsicherung und Isolation. Vor allem aber verleiht mir dieses Wort einen langen Atem und Widerstandskraft. Dafür bin ich sehr dankbar und über diese Rückenstärkung freue ich mich jeden Tag neu.

Neben Alpenveilchen, ein Buch über die Olympischen Winterspiele 1964 und einen Bildband von Jörg Zink bekam ich ein Abonnement für das Schauspielhaus und 35 DM geschenkt. Mit diesem Geld ging ich am nächsten Tag in die Buchhandlung und kaufte mir eine kleine Wortkonkordanz zur Bibel und von William Shirer die beiden Bände „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“ – eine der ersten umfassenden Darstellungen und Analysen des Nazi-Deutschlands. Die beiden Bände habe ich verschlungen, und die Lektüre hat mich elektrisiert: Wie konnte es zu diesem so umfassenden und unvorstellbaren Verbrechen kommen? Außerdem habe ich die von Hans Bruns neu übersetzte Bibel erworben – und damit war dann das Geld aufgebraucht. Das war damals die aktuellste Bibelübersetzung. Bruns kam aus dem evangelikalen Lager. Warum ich mir die kaufte? Weil ich der Überzeugung war, dass man das Luther-Deutsch jungen Menschen nicht mehr zumuten könne, und noch viel radikaler die Frage stellte: Müsste die Bibel nicht heute neu geschrieben werden? Warum beschäftigen wir uns ausschließlich mit den Glaubenserfahrungen von Menschen, die vor 2000-3000 Jahren gelebt haben? Heute steht die Bruns-Bibel nicht mehr in meinem Bücherschrank, und ich habe inzwischen den Wert der Luther-Übersetzung schätzen gelernt (obwohl ich auch in der Thomaskirche immer wieder zu anderen Übersetzungen gegriffen habe – vor allem die von Walter Jens und von mir bearbeitete aus verschiedenen Kommentaren). Auch halte ich mich relativ strikt an die Ordnung der den Sonn- und Feiertagen zugewiesenen Predigttexte aus der Bibel. Dennoch beschäftigt mich die Frage des Konfirmanden Christian Wolff bis zum heutigen Tag: Wird der eigene Glaube nicht ganz wesentlich geprägt durch die Erfahrungen der Menschen, die um uns sind? Darum ist es für mich unstrittig, dass neben der Bibel die Auseinandersetzung mit dem politischen und gesellschaftlichen Geschehen und wache Wahrnehmung dessen, was Menschen bewegt, zur Glaubensbildung gehören. So kann die Wirklichkeit auf dem Hintergrund der biblischen Botschaft kritisch reflektiert werden. Und so gelangen wir zur geistigen und geistlichen Tiefe, gesellschaftlichen Aktualität und Zurüstung für verantwortliches Handeln.

Die Konfirmation am 15. März 1964 (damals war in Westdeutschland der Schuljahreswechsel noch an Ostern) beendete einen zweijährigen Katechumenen- und Konfirmandenunterricht. Diesen hatten wir bei Pfarrer Walter Brünger. Er war kriegsblind. Jeden Dienstag und Freitag ging ich für eine Stunde ins sog. Jugendheim zum Unterricht. Am Ende der beiden Jahre stand jeweils eine Prüfung, die vor dem Presbyterium der Gemeinde abgelegt werden musste. Eine intensive Zeit, in der wir sehr viele Lieder, Psalmen und die fünf Hauptstücke des Kleinen Katechismus auswendig zu lernen hatten und dadurch im Haus des Glaubens heimisch wurden. Beim Aufsagen im Unterricht waren wir natürlich der Versuchung ausgesetzt, ins Gesangbuch oder in die Bibel zu schauen – aber meiner Erinnerung nach hat es kaum jemand von uns gewagt. Zu groß war der Respekt vor einem Mann, der uns nicht nur am Händedruck erkannte, sondern der den kompletten Gottesdienst, einschließlich Lesungen, auswendig vollzog. Beeindruckend war für mich, wie gut er Schreibmaschine schreiben konnte. Jedem von uns Konfirmanden hat er zum jeweiligen Konfirmationsspruch einen persönlichen Brief geschrieben, den er uns im Konfirmationsgottesdienst überreichte. Allein das vermittelte mir das Gefühl: nicht nur die Konfirmation ist etwas ganz Besonderes – auch der Glaube verleiht dem Leben eine große Werthaltigkeit.

In den 37 Jahren meiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer wurde der Konfirmandenunterricht zu einem meiner Arbeitsschwerpunkte – vor allem auch hier in Leipzig. Ich habe immer einen relativ konservativen, inhaltlich an der Bibel und am Katechismus ausgerichteten Konfirmandenunterricht gemacht. Den Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich zu vermitteln versucht, dass der Glaube eng mit der politischen und Geistesgeschichte und dem Leben heute verbunden ist. Darum spielten die politischen und kirchlichen Gedenktage und ihre Einordnung in den Glauben eine große Rolle. Dabei habe ich zwei pädagogische Grundregeln versucht zu befolgen: 1. Ich nehme die Jugendlichen ernst. 2. Jeder kann und soll das aussprechen können, was er meint, denkt, glaubt, wovon er derzeit überzeugt ist – unabhängig davon, wie ich selbst dazu stehe und ob er mit seinen Äußerungen Glaubensüberzeugungen in Abrede stellt. Ich habe nur eines verlangt: Jeder Jugendliche muss seine Meinung mit den ihm gegebenen Möglichkeiten begründen. Damit habe ich insgesamt gute Erfahrungen gemacht. Und woran bemisst sich der Erfolg des Konfirmandenunterrichtes? Sicherlich nicht daran, wie oft Jugendliche nach der Konfirmation den Gottesdienst besuchen. Ich selbst habe in den Jahren nach meiner Konfirmation auch mein kirchliches Engagement auf Sparflamme gesetzt. Der beginnende politische Aufbruch der ’68er hat mich mehr interessiert. Aber ein wichtiges Kriterium sollte sein, dass das, was junge Menschen in der Zeit der Pubertät und der inneren Weichenstellungen über den Glauben und die Kirche erfahren und gelernt haben, nach Jahren, schließlich auch nach fünf Jahrzehnten, positiv abgerufen werden kann.

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