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Deutung und Zukunftsgestaltung statt Rückkehr zur Normalität

Seit 14 Monaten werden die privaten Gespräche wie die öffentliche Kommunikation von einem Thema beherrscht: die Corona-Pandemie. Wer Nachrichten hört, die Zeitung aufschlägt, die Gesprächsfetzen vorübergehender Menschen beim Spaziergang aufschnappt – immer geht es um das Corona-Virus, seine krankmachende Gewalt und die damit verbundenen Einschränkungen und Veränderungen des öffentlichen wie persönlichen Lebens. Eine Frage allerdings wird kaum erörtert: Welche Botschaft geht von dieser Pandemie aus? Wie deuten wir das globale Wüten des Virus unter den Menschen im Blick auf die Zukunftsaussichten dieser Welt? Dass diese Fragen im politischen Diskurs nur eine untergeordnete Rolle spielen, ist wohl auch eine Folge davon, dass in den Kirchen diese Fragen viel zu selten erörtert werden bzw. vielen Menschen die biblischen Deutungsmuster globalen Geschehens nicht mehr erinnerlich sind. Die Kirchen haben sich in den vergangenen Monaten mehr mit Corona-Schutzverordnungen beschäftigt als mit der wichtigen Frage: Können wir in dem gegenwärtigen Geschehen eine Botschaft Gottes erkennen, wie kommunizieren wir diese, wie setzen wir Glauben und Gottvertrauen ein? In der Bibel wird an vielen Stellen genau das reflektiert: Was bedeuten ein zusammenbrechender Turm zu Babel, Symbol für Gigantismus des Menschen, hereinbrechende Naturkatastrophen wie die Sintflut, eine Gewalttat wie der Mord des Kain an seinem Bruder Abel? Wie sollen wir Kriege jenseits machtpolitischer Konstellationen deuten? In der Bibel werden menschliche und politische Verwerfungen sowohl im kritischen Rückblick wie hoffnungsvoll vorwärts reflektiert: Welche gesellschaftlichen Fehlentwicklungen haben zu einem Krieg geführt und welche Konsequenzen müssen aus einer Katastrophe gezogen werden, um zukünftig ihre Zerstörungsgewalt zu verhindern oder zumindest zu begrenzen? Doch auch in der Bibel wird berichtet, wie die Sehnsucht der Menschen nach Normalität dazu führt, diese Fragen nicht auszudiskutieren, sie eher zu verdrängen, nur unzureichende Konsequenzen aus katastrophalem Geschehen zu ziehen und schnell zu vergessen. Die biblischen Propheten hat diese Flucht des Menschen aus seiner Verantwortung nicht davon abgehalten, ihm abzufordern, sich auf die Ursprünge alles Seins zu besinnen, die Grundwerte eines menschenwürdigen Zusammenlebens mehr zu beachten und den eigenen Lebenswandel entsprechend zu erneuern. Dafür stehen die 10 Gebote, das Doppelgebot der Liebe, das Leben und Wirken Jesu und die Endlichkeit alles Seins – als jederzeit abrufbare Anknüpfungspunkte für ein sinnvolles, der Schöpfung Gottes angemessenes und dem Nächsten zugewandtes Leben.

Wenn wir mit dieser Perspektive an die Deutung der Pandemie gehen, dann können wir uns weder in Verschwörungsphantasien verlieren, noch zu den Leugner*innen der Corona-Pandemie zählen lassen, noch zu den falschen Propheten gehören, die uns eine schnelle Rückkehr zur Normalität versprechen, wenn wir uns jetzt nur für einen Moment an bestimmte Regeln halten. Vielmehr wird es darauf ankommen, dass wir die Pandemie als einen massiven, korrigierenden Eingriff in eine Lebensweise verstehen, die eine mindestens so zerstörerische Gewalt aufweist wie das Corona-Virus selbst. Allein die Tatsache, dass im vergangenen Jahr laut SIPRI weltweit 1981 Milliarden US-Dollar für Rüstung, Kriegsvorbereitung und -führung ausgegeben wurden, zeigt an, wie Leben vernichtend unsere „Normalität“ tatsächlich ist. Also sollten wir Vieles von dem, was uns im vergangenen Jahr an Lebensveränderung abverlangt wurde, als Chance begreifen und weiterführen. Die Corona-Pandemie hat uns für eine gewisse Zeit aus dem Hamsterrad eines kapitalistischen Turbolebens herausgenommen. Gott sei Dank! Sie hat allerdings auch viele Menschen in tiefes Leid gestürzt – die am Virus Erkrankten und Gestorbenen wie diejenigen, deren berufliche Existenz bedroht ist, ohne dass eine gerechte Verteilung der Lasten zu erkennen ist. Gott sei es geklagt! Beiden Erfahrungen sollten wir Nachhaltigkeit verleihen und die Schwachstellen im gesellschaftlichen Zusammenleben erkennen:

  • ein personell ausgedünntes und auf Gewinnmaximierung orientiertes Gesundheitswesen;
  • umwelt- und gesundheitsschädliche Ernährung (unmäßige Fleischproduktion und -konsum);
  • soziale Gegensätze, die zu unterschiedlicher Betroffenheit durch das Virus und Gefährdungslagen führen;
  • Missachtung der Bedürfnisse und Bildungserfordernisse von Kindern und Jugendlichen;
  • das Verständnis von Kultur einschließlich Religion als im Zweifelsfall zu vernachlässigenden, entbehrlichen Größen.

Es kann unserer Gesellschaft nur gut tun, wenn wir wieder durchbuchstabieren: Was bedeutet es, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern auch von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes kommt (Die Bibel: Matthäus 4,4)? Säkular gedacht steht hinter dieser Frage: Ohne Kultur, ohne die politisch-metaphysische Frage nach der Deutung einer Pandemie, wird es keine wirkliche Erneuerung geben, sondern im besten (?) Fall nur die Rückkehr zur Normalität. Natürlich können die Folgen einer Pandemie nicht ohne die medizinischen Erkenntnisse und ihre Möglichkeiten bekämpft werden. Aber aller wissenschaftlicher und technischer Fortschritt allein reicht nicht, um dem eigenen Leben und der Zukunft Sinn und Deutung zu geben. Darum benötigen wir Perspektiven, die über das Brot hinausgehen und uns vor den Sackgassen der Normalität bewahren. In einer solchen Sackgasse sehe ich derzeit die offizielle Corona-Politik in all ihrer Widersprüchlichkeit, aber auch den gesellschaftlichen Diskurs, der sich aktuell im Für und Wider sogenannter Impfprivilegien verheddert. Dabei stehen neben wirksamen Maßnahmen gegen den globalen Klimawandel ganz konkrete Veränderungen an. Nur zwei Beispiele:

  • Sofort müssten die Vorschriften für Bau und Betreibung von Kitas und Schulen geändert werden: größere Räume für kleinere Gruppen!
  • Ebenso müssten die Mindestgrößen im sozialen Wohnungsbau den Erfordernissen angepasst werden. Keine Wohnung ohne Balkon!

Davon ist leider wenig zu hören. Meine These: Wenn wir die Frage nach der Deutung einschneidender Ereignisse ad acta legen, werden wir zielstrebig die Bedingungen für eine nächste Katastrophe schaffen. Zumindest das sollten die Kirchen als ihr ureigenes Thema auf die Tagesordnung des gesellschaftlichen Diskurses setzen.

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