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Der Matthäikirchhof – von der Keimzelle der Stadt Leipzig zum lebendigen Ort der Demokratie

Die Stadt Leipzig will in den kommenden Jahren das Areal des Matthäikirchhofs „städtebaulich und inhaltlich zu einem nutzungsgemischten, urbanen Quartier mit besonderen öffentlichen Funktionen“ entwickeln. Dieser Prozess soll durch Bürger*innenbeteiligung und öffentliche Kommunikation dem gerecht werden, was der Matthäikirchhof werden soll: Ort der lebendigen Demokratie. Im Folgenden erinnere ich an die Matthäikirche und stelle meine Vorschläge zur Diskussion.

Die neugotisch umgestaltete Matthäikirche

Er ist einer der letzten Areale in der Innenstadt Leipzigs, der einer Neugestaltung harrt: der Matthäikirchhof, das älteste Siedlungsgebiet der Stadt Leipzig. Als „in urbe lipzi“ fand Leipzig 1015 seine Ersterwähnung in der Chronik des Bischof Thietmar von Merseburg (zur Entwicklung des Matthäikirchhofs siehe: https://www.leipzig.de/bauen-und-wohnen/stadtentwicklung/projekte/matthaeikirchhof/geschichte-des-matthaeikirchhofs/?L=0). Hier also begann die Geschichte der Bürger*innenstadt Leipzig. Das Areal wurde bis zur Bombardierung Leipzigs am 4. Dezember 1943 von der Matthäikirche geprägt. Im 13. Jahrhundert wurde sie als Klosterkirche der Franziskaner gebaut. Diese wurden auch „Barfüßer“ genannt. Daher rührt das „Barfußgässchen“, das noch heute den Marktplatz mit dem Matthäikirchhof verbindet. Nach Einführung der Reformation 1539 wurde das Kloster aufgelöst und die Ende des 15. Jahrhunderts spätgotisch umgestaltete Kirche entweiht. Sie diente den Leipziger Kaufleuten als Lagerhalle. Erst Ende des 17. Jahrhunderts und nachdem sich Leipzig von den Folgen des 30-jährigen Krieg und der verheerenden Pest 1680 erholt hatte, wurde das Kirchgebäude wieder seiner ursprünglichen Bestimmung als Gottesdienststätte zugeführt (1699). Sie nannte sich Neue Kirche bzw. Neukirche. Hier führte Georg Philipp Telemann (1681-1767) ab 1704 seine neue Kirchenmusik auf, während Thomaskantor Johann Kuhnau (1660-1722) Mühe hatte, die Thomaner für seine „alte“ Musik in der Thomaskirche zu begeistern. Im 19. Jahrhundert wurde die Neukirche neugotisch umgestaltet (1877) und in Matthäikirche umbenannt.

Blick auf die zerstörte Matthäikirche vom Barfußgässchen

In Folge der Bombardierung Leipzigs am frühen Morgen des 4. Dezember 1943 brannte die Matthäikirche vollkommen aus. Nur die Gedenktafel für die Gefallenen aus dem 1. Weltkrieg mit der zweifelhaften Inschrift: „Gott, dein Weg ist heilig“ blieb unversehrt. Nachdem sich ein Wiederaufbau der Matthäikirche als nicht realisierbar erwies, kam es 1948 zur Gemeindevereinigung mit der Kirchgemeinde St. Thomas. Der Kirchgemeinde St. Matthäi gehörten vor der Gemeindevereinigung 17.000 Menschen an, der Thomaskirche lediglich 7.000.

Das Stasi-Gebäude aus den 80er Jahren

Die Ruine der zerstörten Matthäikirche – im August 1948 wurde dort ein letzter Gottesdienst gefeiert – und viele weitere zerbombte Gebäude eröffneten der Stadt die Möglichkeit, das Areal neu zu konzipieren. Nachdem alle Versuche der Kirche, im Waldstraßenviertel ein Ausgleichsgrundstück für die Matthäikirche zu erhalten, gescheitert waren, enteignete der SED-Staat die Kirche und zahlte ihr eine geringe Entschädigungssumme. Danach wurde der Matthäikirchhof bewusst gegen die alte Wegestruktur bebaut – wie an anderen Stellen in der Innenstadt. In den 80er Jahren wurden der Erweiterungsbau für die Stasi und ein Gebäude für die Volkspolizei errichtet. Man achtete bei der Beräumung des Kirchengeländes peinlich darauf, die gesamten Kirchenfundamente zu beseitigen. Nichts sollte mehr an die ursprüngliche Nutzung erinnern.

Der Gedenkstein für die Matthäikirche

Nach der Friedlichen Revolution 1989/90 hatte die Kirchgemeinde St. Thomas einen vermögensrechtlichen Anspruch auf das Kirchengrundstück erhoben. Dieser wurde 1995 abgelehnt. Zu keinem Zeitpunkt wurde an einen Neubau der Matthäikirche gedacht. Wohl aber sollte bei der Neugestaltung des Matthäikirchhofs in angemessener Weise an die Matthäikirche erinnert werden. Darum hat die Kirchgemeinde 1998 mit Zustimmung der Stadt Leipzig einen Gedenkstein für die zerstörte Matthäikirche auf dem Matthäikirchhof errichtet – auch im Blick darauf, dass die Matthäikirche und damit die Historie dieses Ortes nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Die Vorsitzende des Kirchenvorstands der Kirchgemeinde St. Thomas, Pfarrerin Britta Taddiken, hat 2017 in einem offenen Brief an OBM Burkhard Jung geschrieben: „Die Matthäigemeinde wurde nach dem Abbruch der Ruine der Matthäikirche schlichtweg enteignet, Grund und Boden „holte“ sich der Staat. Dafür hat es meines Wissens nie einen Ausgleich in irgendeiner Form gegeben. Ich halte es insofern für angemessen, dass bei der Neugestaltung des Matthäikirchhofes auch für die Matthäikirche eine würdige Form des Gedenkens gefunden wird, die über die jetzige abseits gelegene kleine Gedenkstätte hinausweist. Denkbar wäre etwa, den Grundriss der Matthäikirche auf dem Areal des Matthäikirchhofs in baulicher Weise hervorzuheben bzw. zumindest auf dem Boden umrisshaft festzuhalten.“ Bei der Neugestaltung des Matthäikirchhofs und einer möglichen Integration von Teilen des auf dem Grundstück der Matthäikirche errichteten Stasi- bzw. Volkspolizeigebäudes sollte bedacht werden: Für diese Gebäude, in denen Menschen ihrer Würde und ihrer Rechte beraubt wurden, wurde ein Kirchengelände kalt enteignet – ein ähnlich politisch-propagandistischer Vorgang wie die Sprengung der Universitätskirche S. Pauli und der Neubau der Universität samt Marx-Relief an der Stelle des Ostchors der beseitigten Unikirche. Darum ist eine wie auch immer geartete Erinnerung an die Matthäikirche zwingend.

Dass die Stadt Leipzig nunmehr den Matthäikirchof als „Ort der lebendigen Demokratie“ gestalten möchte, ist nur zu begrüßen und verdient jede Unterstützung. Ob allerdings der Arbeitstitel für das Nutzungskonzept „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ glücklich gewählt ist, wage ich zu bezweifeln. Schon einmal, nämlich in den 90er Jahren, hat die Stadt Leipzig das Motto für die Erinnerung an den 9. Oktober 1989 „Aufbruch zur Demokratie“ ohne Not aufgegeben und damit dem Gedenken an die Friedliche Revolution Dynamik und Gegenwartsbezug genommen. Wohl sind Freiheit und Bürgerrechte sind konstitutive Bestandteile einer lebendigen Demokratie. Diese ist aber umfassender. Darum plädiere ich für das Motto „Ort der lebendigen Demokratie“.  Allerdings sollte die Fokussierung auf die Friedliche Revolution 1989/90 nicht dazu führen, den Matthäikirchhof seiner sonstigen Historie zu berauben und einem möglichen (Teil-)Erhalt des Stasi-Neubaus zu viel Gewicht beizumessen. Er kann getrost weichen. Aber es wird darauf ankommen, dass bei der Neugestaltung des Areals die Elemente Berücksichtigung finden, die die Stadt Leipzig seit Jahrhunderten prägen:

  • die politische und Geistesgeschichte von Stadt und Kirche,
  • die demokratischen Aufbrüche insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert,
  • die Bedeutung Leipzigs als Kulturstadt mit dem Schwerpunkt Musik.

Daraus ergeben sich folgende Nutzungsschwerpunkte für den Matthäikirchhof unter Wiederherstellung der alten Wegestruktur:

  • Zentrales Stasi-Unterlagen-Archiv für Sachsen.
  • Stasi-Museum, das allerdings in Struktur und inhaltlicher Ausrichtung dringend einer Erneuerung bedarf.
  • Schul-Museum, das jetzt schon ein Ort der gelebten Demokratie ist und durch die „Privatstruktur“ des Stasi-Museums immer wieder an Entwicklung gehindert wird. Völlig daneben ist der Vorschlag der CDU, für das Schul-Museum einen neuen Standort zu suchen.
  • weitere Institutionen, die der politischen und Demokratie-Bildung dienen.
  • Neubau der städtischen Musikschule.

Zusätzlich sollten ausreichend bezahlbarer Wohnraum, offene Verweilzonen (Spielplatz), eine zu bespielende open-air-Veranstaltungsfläche, Cafés und Restaurants entstehen. Insgesamt bietet sich so die Möglichkeit, den Matthäikirchhof nach seiner Umgestaltung als lebendiges, begeh- und bespielbares Freiheitsdenkmal zu betrachten, mit dem Schulmuseum und der Musikschule (Aus-)Bildungsstätten für die nachfolgenden Generationen anzubieten und so dem immerwährenden Aufbruch zur Demokratie „städtebaulich und inhaltlich“ Nachdruck zu verleihen.

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