Ich bin alles andere als ein „Nahost-Experte“. Aber ich versuche als wacher Zeitgenosse, Zusammenhänge zu sehen und vor allem vergangene Entwicklungen nicht zu vergessen.
Gestern hatte er seinen großen Auftritt: der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Mit einer wohl inszenierten Fernsehansprache sollte bewiesen werden, dass der Iran schon vor dem 2015 geschlossenen Abkommen Atomwaffen zu entwickeln versuchte und diese Aktivitäten fortsetzt. Damit wollte Netanjahu den Iran der „Lüge“ („IRAN LIED“ erschien als Folie hinter Netanjahu) bezichtigen. Um seine Anschuldigungen zu unterstreichen, enthüllt Netanjahu theatralisch einen Aktenschrank von oben bis unten mit Ordnern bestückt. Das soll den Eindruck erwecken, zwischen den Aktendeckeln befinden sich die tausendfachen Beweis-Dokumente. Daneben steht ein weiteres Regal mit Dutzenden CD’s, auf denen geheime Beweis-Dokumente gespeichert sein sollen. Das alles soll den Menschen weltweit der Eindruck vermitteln: Wir haben die Beweise in der Hand, dass der Iran weiter zu den „Schurkenstaaten“ gezählt werden muss, mit denen man keine Abkommen abschließen darf. Die Absicht ist klar: Netanjahu will das von ihm schon immer bekämpfte Atomabkommen mit dem Iran zu Fall bringen. Wie bestellt bedankt sich Donald Trump für diese Präsentation, die seine Vermutungen unterstütze. Der neue Außenminister der USA, Mike Pompeo, nutzt seine „zufällige“ Anwesenheit in Israel, um sich von der Richtigkeit der Dokumente zu überzeugen.
Irgendwie erinnert das alles an den 5. Februar 2003. Damals legte der Außenminister der USA, Colin Powell, in einem ebenfalls bis ins Letzte inszenierten Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat seine „Beweise“ dafür vor, dass der Irak Massenvernichtungswaffen herstellen würde, um den wenig später begonnenen Irak-Krieg zu rechtfertigen. Zweieinhalb Jahre später, im Oktober 2005, musste Powell reumütig zugeben, dass sein Auftritt auf Lügen basierte. Im Klartext bedeutete dieses Eingeständnis: Der im März 2003 begonnene Irak-Krieg begann (wie fast jeder Krieg) mit einem groß angelegten Betrugsmanöver. Die Folgen dieses verhängnisvollen Krieges sind inzwischen mit den Geflüchteten insbesondere aus dem Irak und Syrien in Europa angekommen – und der Nahe Osten befindet sich weiter im Aufruhr.
Auf diesem Hintergrund hat der gestrige Auftritt Netanjahus bei mir nur eine Frage ausgelöst: Welcher Krieg soll nun vorbereitet werden? Israel im Verbund mit den USA gegen Iran resp. gegen Syrien resp. gegen Russland? Einiges spricht dafür. Dass Trumps erste Auslandsreise ihn 2017 nach Saudi-Arabien führte, war sicher kein Zufall: Er schloss ein Aufrüstungs-Abkommen mit den Scheichs über 350 Milliarden Dollar (!) in den nächsten 10 Jahren. Saudi-Arabien ist der Erzfeind Irans. Beide Länder kämpfen seit langem um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Auch das erinnert an die Situation in den 80er Jahren, als Iran und Irak gegeneinander Krieg führten. Wen unterstützten damals die USA? Den Irak und Diktator Saddam Hussein. Preisfrage: Welcher Krieg droht nach einer möglichen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Iran und Israel/USA? Wahrscheinlich USA gegen Saudi-Arabien? Alles wie gehabt? Es kann einen nur schaudern.
Doch wenn wir schon einmal bei einer zurückblickenden Analyse sind: Anfang 2011 öffnete sich für eine kurze Zeit ein Fenster für eine ganz andere Entwicklung im Nahen Osten. Die innergesellschaftlichen Konflikte in der arabischen Welt brachen auf. Die Bürgerinnen und Bürger ließen sich nicht mehr ablenken von den Ungerechtigkeiten, den sozialen Verwerfungen, der Korruption mit dem Hinweis, dass an allem der große Feind Israel schuld sei. Plötzlich wurde klar: Nicht Israel ist der „Störenfried“ im Nahen Osten, nicht Israel ist der Schuldige dafür, dass insbesondere die jungen Menschen keine Aussicht auf gleichberechtigte Teilhabe an Bildung, Arbeit, Einkommen haben. Die Ursache für das Elend sind die katastrophalen Zustände in den autoritär regierten Gesellschaften, auch die religiösen Konflikte, die dafür herhalten müssen, die Misere ideologisch zu verkleistern. Damals gab es ein Zeitfenster, um entschlossen eine Neuordnung der politischen Verhältnisse in der arabischen Welt anzugehen, zu moderieren, zu initiieren – für Israel, für Europa, für die USA. Doch nichts geschah. Weder die USA noch Europa noch Israel hatten eine Vision, einen Plan – außer notfalls weiter auf militärische Interventionen zu setzen. Die traurigen Folgen dieses kollektiven Versagens: Mit dem IS stieß eine religiös-ideologische und militärisch erfolgreich operierende Macht ins entstandene machtpolitische Vakuum. Gleichzeitig versuchen die Weltmächte mit dem Syrienkrieg, die politischen Verhältnisse jeweils zu Gunsten ihrer Interessen neu zu ordnen. Das kann angesichts der Unterschiedlichkeit der Interessen nicht funktionieren. Dennoch wird abseits aller Menschenrechte und Friedenspflichten weiter ausschließlich militärisch operiert und damit vor allem die ungerechten Herrschaftsstrukturen und religiöser Fundamentalismus gestützt und geschürt.
In diesem Moment treten 2018 Israel und die USA mit einer neuen Option auf: Den Iran als politische Gestaltungsmacht im Nahen Osten militärisch auszuschließen. Die Gefahr eines neuen Krieges ist gegeben. Ebenso ist klar, dass am Ende einer solchen militärischen Operation noch mehr, über Jahrzehnte anhaltende Konfliktherde entstehen. Gleichzeitig werden weiter alle gesellschaftlichen, religiösen Grundwerte, die gemeinsam zu entwickeln Voraussetzung für eine Friedensperspektive sind, systematisch zersetzt. Dass diese in jeder Hinsicht verhängnisvolle Entwicklung von zwei Regierungspolitikern in Gang gesetzt wird, denen schwerste moralische, strafrechtlich relevante Verstöße vorgeworfen werden und die darüber hoffentlich bald stolpern, rundet das erschreckende Szenario nur ab. Wann wachen die auf, die es als erste in der Hand haben, hier Veränderungen zu initiieren: die Bürgerinnen und Bürger in Israel und in den Vereinigten Staaten? Wann endlich gibt sich Europa als die Macht zu erkennen, die aus einer jahrzehntelangen, an allen humanen Werten gescheiterten Zerstörungspolitik aussteigt? Wann endlich begreifen wir, dass im Nahen Osten nur eines eine Zukunftsperspektive hat: eine auf lange Zeit angelegte Friedenspolitik, die mit den Menschen im Nahen Osten eine neue politische Ordnung aufzubauen versucht – abseits jeder militärischen Option? Juden, Christen, Moslems haben dafür Ansatzpunkte, Europa auch. Es wird Zeit, dass wir das in den Fokus nehmen.
6 Antworten
Es ist doch erstaunlich, wie man ein Friedensangebot annehmen und dann durch rechthaberische Belehrung wieder verwerfen kann. Lieber Herr Flade – nochmal und ganz argumentativ: Wenn man sich durch sogenannte „permanente Widersprüche“ in einer Diskussion nervlich belastet fühlt, dann sollte man aus der Diskussion aussteigen, denn eine Diskussion besteht aus Argument und Gegenargument.
Und jemand, der andere Meinungen als „Schwachsinn“ bezeichnet, ist vielleicht nicht geeignet, Sanftheit zu fordern. Wollen Sie wirklich behaupten, Sie seien in einer Diskussion der Richter darüber, was „konstruktiver Widerspruch“ und was dies eben nicht ist? Und wollen Sie sich ernsthaft zum Bewerter von „Niveau“ machen?
Also Frieden gerne, sachliche Argumentation gerne – ich habe sie eben bei Ihnen bisher vermisst -, aber „Frieden schlägt man nicht aus“ + rechthaberische Belehrung passt nicht zusammen.
Und lieber Herr Wolff: Sie haben Recht, in Dresden liegt einiges im Argen. Aber Sie wissen natürlich genau, wie ich das gemeint habe. Aber wie Sie es richtig sagen: manchmal muß Polemik einfach sein (und ich geniesse sie auch im Gegensatz vielleicht zu … nein, ich lasse das!).
Mit den besten Wünschen für einen schönen Sonntag nach Leipzig und Dresden und hoffend auf kontroverse aber inhaltlich-argumentative Auseinandersetzungen in der Zukunft unter Vermeidung rechthaberischen nachtarockens,
Andreas Schwerdtfeger
Herr Schwerdtfeger:
Und ich setze ein zur dauerhaften Polemik notwendiges PS drauf: mir würde schon allein Ihr Lassen genügen – denn mir (und nicht nur mir; glauben Sie es einfach) gehen Ihre permanenten Widersprüche uns schon deshalb auf die Nerven, als diese eben in den einzeln behandelten Fakten, um die hier gestritten werden, allesamt nicht weiterbringen. Konstruktiver Widerspruch: ja!
Und ich schlage ein: Friedensangebote schlägt man nicht aus, man nimmt sie an. Versuchen wir es. Und was Dresden betrifft: da müssen Sie Chr. Wolff und mir und vielen anderen schon ob dieser Ihrer unnötigen Polemik (dürfte Ihr Niveau schlecht dienlich sein; ich wiederhole mich!) das Feld überlassen – Sie sollten auch in dieser Hinsicht sanfter und vor allem vorsichtiger sein mit solcherart Bemerkung – diese stören den Frieden!
MfG – Jo.Flade
Lieber Herr Flade,
merkwürdig, daß sie das auf sich bezogen haben! Aber es war mir ja klar – Sie lassen sich leicht provozieren und der Versuchung widerstehe ich nicht genug.
Unabhängig davon – wollen wir nicht Frieden schließen und uns nur noch aufs Argumentative beschränken: Sie begründen sachlich Ihre Meinung, wie ich es bisher schon tue – und ich verzichte auf polemische Attacken neben der Sachargumentation? Denn ich habe ja nichts dagegen, wenn Sie mir „Schwachsinn“ vorwerfen, solange eben dann der argumentative Beweis erfolgt. Und den vermisse ich bei Ihnen unentwegt und komplett, wie ja auch Ihr neuer Beitrag hier zeigt. Also: Ich biete Frieden gegen sachliche Argumentation (von mir aus dann auch mit ordentlich polemischen Attacken vermischt)!
Einen Gruß nach Dresden, wo mir nichts zu schaffen macht,
Andreas Schwerdtfeger
Wem in Dresden nichts zu schaffen macht, der lebt hinter noch einem ganz anderen Mond als den, hinter dem man viele Dresdner vermutet. Diese Polemik musste einfach sein. Christian Wolff
Herr Schwerdtfeger: Mit Ihrem:
„Bevor der kleine Wadenbeisser wieder zubeisst und sich in seinem Drang, ständig neue Beleidigungen ohne inhaltliche Argumentation ausdenken zu müssen, wieder zuschlägt,…“ unterbieten Sie ja bedauernswerter Weise das von Ihnen dauerhaft reklamierte Niveau. Wer so zuschlägt, fährt auf schmaler Spur. Ich scheine Ihnen tatsächlich zu schaffen zu machen. Es sei.
Ein heißes Wochenende – Jo.Flade
Bevor der kleine Wadenbeisser wieder zubeisst und sich in seinem Drang, ständig neue Beleidigungen ohne inhaltliche Argumentation ausdenken zu müssen, wieder zuschlägt, sei gesagt, lieber Herr Wolff, dass Sie hier einen Beitrag geschrieben haben, dessen Argumentation auch dann Respekt verdient, wenn man ihn inhaltlich nur teilweise teilt. Das Problem Ihrer Beschreibung ist das übliche:
1. Sie schwelgen in der Retrospektive Ihrer Interpretation und übersehen dabei, daß Politik immer – man mag sagen: leider – situationsgebundene Interessenvetretung ist. Und Interessenpolitik hat viel mit der jeweils augenblicklichen Realität zu tun, d.h. daß man in einer bestimmten Situation eine bestimmte Reaktion für richtig und notwendig hält, um die eigenen Interessen zu fördern. Daß also, um konkret zu werden, man politisch jemanden stützt, der sich später zum Feind entwickelt und nunmehr bekämpft werden muss, ist ein in der politischen Geschichte eher normaler Vorgang. Ihn in Murmeltier-Manier immer wieder zu beschreiben und zum großen Fehler zu erheben, ist nicht nur unproduktiv sondern auch unpolitisch.
2. Sie fordern die große friedenspolitisch angelegte Zukunftspolitik – und wer würde diese Forderung nicht unterstützen. Aber eine solche Politik bedarf der Definition – nicht unbedingt in konkreten Maßnahmen und Schritten aber doch in ihrer strategischen Methode. Und da eben versagen Sie, indem Sie sich zurückziehen auf die Bergpredigt und auf das Wort Gottes anstatt in politischen Kategorien zu definieren, wie das aussehen könnte. Sie haben einmal eine Art Nahost-KSZE ins Gespräch gebracht – das fand ich gut, aber dieser Vorschlag zeigt zugleich, die Begrenztheit der tatsächlichen Möglichkeiten: In Sachen Syrien gibt es die Dreier-Konferenz zwischen Rußland, der Türkei und dem Iran – sie ist zu parteiisch, um zu taugen; es gibt die Genfer Verhandlungen – sie stagnieren, weil die verschiedenen Parteien sich nicht an einen Tisch setzen; es gibt ungeschickte und unkoordinierte militärische Maßnahmen, deren Glaubwürdigkeit durch mangelnde parallele politische Initiativen unterminiert wird; es gibt eine moralisierende EU, die von den kriegführenden Parteien ebenso wie von den Opfern nur als zahlungskräftige Kriegsverlängerungspartei angesehen wird, weil sie weder die Mittel noch den Willen hat, mit der notwendigen Durchsetzungskraft in den Konflikt zur Friedensförderung einzugreifen; es gibt vor allem den augenblicklich wohl unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den verschiedenen muslimischen Richtungen, der in seiner Brutalität sogar den israelisch-arabischen Konflikt in den Hintergrund drängt und von dem es illusorisch wäre zu glauben, der Westen oder Rußland oder sonst jemand von außerhalb könne ihn friedlich oder mit Gewalt lösen – denn jede noch so gut gemeinte Initiative würde sofort von beiden Seiten als Einmischung und Wille zur Dominanz abgelehnt werden. Also definieren Sie mal, was Sie konkret mit Friedenspolitik meinen. Die Israelis jedenfalls – Netanjahu hin oder her – haben nicht viel Zeit und Raum, um konkrete Aggression, wie sie täglich passiert oder angedroht wird, mit geduldiger Friedenspolitik zu beantworten.
Mit herzlichem Gruß,
Andreas Schwerdtfeger